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Das höchste Amt im Staat ist ein gefundenes Fressen für sprachlich kreative Geister. Für die aufrichtig Ehrfürchtigen genauso wie die hemmungslosen Spötter.
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Historisch Bewanderte nennen ihn "Ersatzkaiser", "Wahlmonarch" oder "Nachlassverwalter der Monarchie", sogar "oberster Mandarin" war schon zu lesen. Bürokratische Geister sprechen am liebsten vom "Eröffner", "Unterschreiber" und "Händeschüttler", "Exekutivorgan der Regierung", "Staatsoberhaupt ohne Unterbau", "Protokollpräsident" oder "Staatsnotar". Wieder andere ziehen es vor, vom "ersten Botschafter der Nation", "Hüter der Verfassung", "pouvoir neutre", "Nothelfer" und "Krisenmanager" zu sprechen.
Einigen ist er entweder ein "schlafender Riese" oder "gefesselter Riese", eine "Autoritätsreserve" oder "Reserveautorität", mitunter auch eine "moralische Autorität". Beobachter mit dramatischer Ader nennen ihn auch gerne "Gefangener der Hofburg", weitaus nüchterner klingt da schon "Bestätigungsorgan", "Oberlehrer des Landes"; Spötter heißen ihn "Bundesklagemauer" und "Großintegrator", politisch Unkorrekte bevorzugen "Moralprediger der Nation", gerne auch "Staatsprediger".
Nachdenkliche und sonstige Bedenkenträger taufen ihn "Fragesteller und Sinngeber der Republik" und "Wächter und Mahner der Republik". Anhänger einer patriarchalischen Weltsicht bevorzugen "Landesvater" oder "Bundesvater", Republikaner dagegen "Bürgerpräsident". Und ganz Hinterfotzige haben sogar den "Kleinbürgerpräsidenten" auf ihren Lippen.

Die Liste der Umschreibungen für das höchste Amt im Staat, die der emeritierte Wiener Verfassungsrechtler und intime Kenner der Institution, Manfried Welan, zusammengetragen hat, ließe sich noch länger gestalten. Und die Substanz dieses Staatsorgans wäre wohl noch immer nicht auf den Punkt gebracht. Sein Reiz liegt im Vagen, in der Konjuktivform seiner Machtfülle.
Es ist nicht ohne Ironie, dass die Verfassungsreform von 1929 den Bundespräsidenten zum starken Mann befördern wollte - und sich nach 1945 ebendieser verfassungsrechtliche Muskelprotz mit Schattenboxen begnügen muss. Im politischen Normalfall erweisen sich die beeindruckenden Machtbefugnisse - freie Hand bei der Auswahl des Kanzlers, Entlassung der gesamten Bundesregierung - des Bundespräsidenten als bloßer Schall und Rauch. Tatsächlich ist das Amt in seinen rechtlichen Kompetenzen lediglich eine Rückversicherung - um einen weiteren Namen für den Einen einzufügen - für Krisensituationen.
Allerdings haben wir mittlerweile schon Probleme, uns existenzielle politische Krisen auch nur halbwegs drastisch - und damit realistisch - vorzustellen. Vielleicht verweigern wir deshalb mitunter dem Amt den Respekt, den es eigentlich verdient.