Mit vielen Feierlichkeiten haben die neuen NATO-Mitgliedsstaaten Polen, Tschechien und Ungarn am Freitag ihren Beitritt zum westlichen Verteidigungsbündnis begangen. Nach den Feiern kehrt bei den | frischgebackenen Mitgliedern nun wieder der Alltag ein. So bedeutet der Beitritt noch nicht ein Ende des Umstellungsproblems. In Polens Vorzeige-Garnison etwa müssen die Flugzeuge handgepflegt | werden. "Es ist tragisch", sagt der Kommandant des Fliegerbataillons in Minsk Mazowiecki, "aber wir haben nicht einmal Geld, um Bohrmaschinen anzuschaffen. Unsere Mechaniker müssen jede Schraube von | Hand eindrehen".
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 25 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Auch sonst mangelt es in Minsk Mazowiecki an allen Ecken und Enden. Das Fluggerät ist veraltet und in der Nutzung extrem kostenintensiv. Anders als ihre westlichen Kollegen können sich Polens
Piloten den Luxus von Übungsflügen daher nur selten leisten. 60 Stunden in der Luft pro Mann und Jahr sind der Schnitt.
Die NATO fordert von ihren Leuten im Prinzip das Dreifache. Doch die Militärstrategen in Brüssel und Washington werden sich damit abfinden müssen, daß die drei neuen auf Nachsicht angewiesen sind.
Erst in 15 Jahren, ist aus dem polnischen Verteidigungsministerium zu erfahren, wird Polen jenen Standard an Ausrüstung erreicht haben, den heute Griechenland, Portugal oder Spanien aufweisen. Und
selbst um dieses bescheidene Ziel zu erreichen, sind gigantische Geldmengen notwendig: Militärs schätzen den Geldbedarf auf umgerechnet 220 Mrd. Schilling, davon allein 160 Mrd. Schilling für den
Ankauf von NATO-kompatiblem Kriegsgerät.
Die anderen Beitrittsstaaten haben auch so ihre Probleme. In Tschechien stehen Außen- und Verteidigungsministerium unter Beschuß, weil sie die geheimdienstlichen Vorbereitungen für einen NATO-
Beitritt verschlampt haben sollen. Jetzt fürchten Beobachter, daß vertrauliche NATO-Papiere in Hände von unbefugten Personen geraten könnten. Abgesehen davon gibt es in Tschechien auch relativ große
politische Widerstände gegen eine NATO-Mitgliedschaft. Während zum Beispiel Polen die NATO in erster Linie als eine Absicherung gegen den unberechenbaren Nachbarn Rußland versteht, sind derartige
Überlegungen in Tschechien eher rar. Nur jeder zehnte Tscheche fühlt sich von Moskau bedroht. Und noch ein weiterer Faktor unterstützt die relativ emotionslose Haltung zur NATO: Bis 1992 war selbst
Präsident Vaclav Havel ein erklärter Gegner von Militärpakts jeder Couleur. Er trat für ihre Auflösung ein.
In Polen und Ungarn sind NATO-Skeptiker deutlich seltener. In Ungarn, dem einzigen Beitrittsland, in dem eine Abstimmung über den Beitritt stattfand, haben gerade 15 Prozent dagegen gestimmt. Ungarn
ist auch jenes Land, das in seiner Kooperation mit der NATO besonders weit geht. Schon 1996 stellten die Magyaren den Flughafen Taszar als Stützpunkt für Lufteinsätze über Bosnien zur Verfügung. Von
den zuständigen Politikern wird das als Zeichen einer vorbildlichen Zusammenarbeit Ungarns mit seinen neuen Bündnispartnern verstanden.
Die Begeisterung für die NATO kann manchmal allerdings auch reichlich absurde Züge annehmen. Der Pressesprecher der polnische Armee, Oberst Zdzislaw Gnatowski, jubelte vor kurzem über einen ganz
besonderen Aspekt der Osterweiterung: "Mit der Umstellung auf NATO-Normen werden wir das Aluminium-Eßgeschirr unserer Soldaten gegen Edelstahl austauschen. Die Truppen werden außerdem auch mehr
Salate und Gemüse im Rahmen ihrer Verpflegung bekommen."
Jene 10 Prozent der polnischen Armee, die bis zum Jahresende direkt in die NATO-Strukturen eingegliedert werden, können sich bereits jetzt über derartige Vergünstigungen freuen. Das Edelstahlgeschirr
"Made in NATO" soll dem Vernehmen nach sogar zu einem begehrten Tausch- und Handelsobjekt unter den Jungmännern geworden sein. In anderen Bereichen geht die Umstellung nicht ganz so schnell. Doch
westeuropäische Rüstungskonzerne drängen bereits in den Osten. Und sie tun es recht ungeniert. "Ihr müßt Euch endlich entscheiden, wo ihr dazugehören wollt", stellte jüngst der Verkaufschef des
Rüstungskonzerns Lockheed Martin die polnische Offizierselite vor die Entscheidung und versuchte ihnen den Kauf von Flugsimulatoren für amerikanische F-16-Flugzeuge schmackhaft zu machen.
Andere Firmen stehen Lockheed Martin bei ihrem Werben um den Osten nicht nach. Die DASA will alle polnische Mig-29-Maschinen auf Weststandard umrüsten, und British Aerospace überlegt sogar, bei der
Flugzeugfabrik Mielec einzusteigen. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion war Mielec ein Topbetrieb der polnischen Rüstungsindustrie. 40 Flugzeuge pro Monat wurden hier produziert, darunter auch die
legendären An-2 "Rübenbomber". Heute stehen auf dem Gelände von Mielec 17 halbfertige "Iryda"-Maschinen herum, die einst eine neue Epoche in der polnischen Militärluftfahrt einläuten sollten. Doch
mit dem Eintritt Polens in die NATO dürfte der Traum vom neuen polnischen Superbomber ausgeträumt sein. Immerhin sind die "Iryda"-Pläne inzwischen auch schon gut 20 Jahre alt. Sie sind noch in jener
Zeit entstanden, als sich der Warschauer Pakt bester Gesundheit erfreute.