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Viele Türken kennen Euro nicht

Von Susanne Güsten, Istanbul

Wirtschaft

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"Euro? Was ist denn das?" Der Mann vor der Wechselstube in der türkischen Metropole Istanbul ist verlegen. Von der europäischen Gemeinschaftswährung hat er noch nie gehört. Er deutet auf die zusammen gefaltete Zeitung in seiner Hand. "Hab' ich noch nichts drüber gelesen." Hilfe suchend wendet er sich an einen in der Nähe stehenden Fischhändler, denn der weiß Bescheid. "Das ist das neue Geld in Europa, die D-Mark wird verschwinden", klärt er seinen Landsmann auf. "Da steckt der IWF dahinter."

Keine Frage - in der Türkei ist die Aufklärungsarbeit vor der Euro-Einführung noch optimierbar. Obwohl auf Bankkonten und unter Kopfkissen in der Türkei schätzungsweise 20 Mrd. DM (10,23 Mrd. Euro/141 Mrd. Schilling) liegen, die nach der Einführung des Euro als Zahlungsmittel ausrangiert werden, wissen viele Türken nur wenig über das große Währungsprojekt der Europäer, auch wenn die meisten nicht so ahnungslos sind wie der Kunde der Istanbuler Wechselstube. Viele andere kennen den Euro sehr wohl, trauen ihm aber nicht so recht.

Die neue Europa-Währung ist so manchem in der Türkei richtig unheimlich. Die Türken sind es gewohnt, ihre Lira-Einkünfte schnell in D-Mark oder US-Dollar umzutauschen, um sie vor der galoppierenden Inflation in Sicherheit zu bringen. Dabei war die D-Mark bisher für viele genauso gut wie der Dollar, doch das ändert sich jetzt. "D-Mark wird kaum noch getauscht, alle wollen Dollar", sagt die Wechselstuben-Betreiberin Gülcin Polat. Für die immer häufiger auftretende Spezies des Dollar-Anhängers gibt es sogar schon einen eigenen Begriff: "dollarci".

"Die Leute haben das Gefühl, dass der Euro nicht so gut sein wird, wie die D-Mark es war", sagt der Volkswirt Sertan Kargin von der Garanti-Bankasi. "Viele werden ihre D-Mark-Beträge direkt in Dollar umtauschen, wenn es so weit ist." Nach Einschätzung von Banken-Experten könnte das die Bemühungen der türkischen Zentralbank untergraben, den seit Beginn der Wirtschaftskrise im Februar unaufhaltsamen Anstieg des Dollar-Kurses zur türkischen Lira zu bremsen.

Trotz der Vorliebe für den Dollar gehört der Euro für tausende Türken schon jetzt zum Alltag. Vor den Zweigstellen der türkischen Zentralbank bildeten sich in den vergangenen Wochen lange Schlangen von türkischen Gastarbeitern auf Heimaturlaub, die ihre D-Mark-Konten in Euro umwandeln wollten. Vertreter der Zentralbank versuchten dem Ansturm Herr zu werden, indem sie die Kunden auf die Möglichkeit des schriftlichen Antrags per Post aufmerksam machten, aber es nutzte nur wenig. "Sie wollen es lieber persönlich machen", sagt ein Bank-Mitarbeiter.

Die türkischen Gastarbeiter in Westeuropa werden vom kommenden Jahr an eine wichtige Rolle bei der Einführung des Euro in der Türkei spielen. So wie sie bisher D-Mark oder Schilling nach Anatolien schickten, um die Verwandtschaft daheim zu unterstützen, werden sie spätestens nach dem Ende der Übergangsphase im März 2002 ihre Ersparnisse in Euro in die Türkei senden. Bis dahin muss also auch der Familienteil in Anatolien bei seiner örtlichen Bank über ein Euro-Konto verfügen.

Auch die westeuropäischen Touristen werden dazu beitragen, den Euro in die Türkei zu bringen. In diesem Jahr tragen die Urlauber noch ihre D-Mark, Schilling oder Franc zu den Wechselstuben in Antalya und anderswo. Im kommenden Jahr werden sie Euro in der Tasche haben.

Der Hauptteil des Euro-Transfers in die Türkei wird jedoch in offiziellen Bahnen ablaufen. Vom 1. Dezember an können Banken in Ländern außerhalb der Euro-Zone mit Euro-Geldscheinen versorgt werden. Das wird im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den Zentralbanken und durch die Kooperation von Privatbanken vorbereitet. Dann findet der heikelste Teil der Euro-Mission statt: Geldscheine und Münzen werden mit Flugzeugen und Lastwagen in die Türkei gebracht, wo sie bis zum Tag X in Tresoren lagern.

Wenn der Euro am 1. Jänner Realität wird, werden auch die Türken trotz aller Skepsis die neue Währung beschnuppern wollen. "Aus Neugier wird dann einiges getauscht werden", sagt die Wechselstubenbetreiberin. Ein Kunde glaubt, dass sich der Argwohn der neuen Währung gegenüber schnell legen wird: "Vor allem die ärmeren Leute kennen den Euro ja noch nicht - aber das kommt schon."