Ilja Ponomarjow über seine Lage in Russland, die Sanktionen, die Opposition und die bevorstehende Parlamentswahl.
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"Wiener Zeitung": 2014 haben Sie als Abgeordneter im russischen Parlament gegen die Annexion der Krim gestimmt. Seit ein Strafverfahren gegen Sie läuft, halten Sie sich im Ausland auf. Bereuen Sie Ihre Entscheidung manchmal?Ilja Ponomarjow: Dass mein Abstimmungsverhalten der Grund für die Verfolgungen ist, ist natürlich offensichtlich. Aber natürlich bereue ich es nicht. Denn leider habe ich Recht behalten, dass es zu einem Blutvergießen kommen wird. Dass unsere Völker, die eigentlich Verbündete sein sollten, zu Feinden geworden sind - und das für eine noch sehr lange Zeit. Dass ich damals so gestimmt habe, ist sehr wichtig, um eines Tages wieder mit einer Aussöhnung zu beginnen.
Sie waren damals allerdings der einzige von 450 Abgeordneten, die im Parlament dagegen stimmten.
Trotzdem halte ich es nach wie vor für wichtig, dass ich gezeigt habe, dass es keine einstimmige Entscheidung war.
Kurz darauf wurde ein Strafverfahren gegen Sie eröffnet. Wie ist der derzeitige Stand?
Ein russisches Gericht hat mich im Sommer 2014 verurteilt, Geld aus dem Projekt "Skolkowo" (einem unter Präsident Dmitri Medwedew forcierten IT-Park bei Moskau, Anm.) gestohlen zu haben. Ich wurde verurteilt, zehn Prozent der angeblich gestohlenen Summe - also 750.000 Dollar - zurückzuzahlen. Allein das ist ja schon sinnbefreit; entweder man hat gestohlen - und muss alles zurückzahlen, oder man hat es nicht getan. Im vergangenen Jahr wurde ich in einem weiteren Verfahren in Abwesenheit verurteilt. Außerdem wurde in Russland öffentlich eine Interpol-Fahndung gegen mich angekündigt. Da ich mich international frei bewegen kann, denke ich, dass das nicht geschehen ist.
Wenn wir annehmen, dass die Strafverfolgungen gegen Sie politisch motiviert sind: Was will Präsident Putin damit bezwecken?
Der Kreml kann ein Votum gegen die Krim-Annexion nicht ungestraft lassen, möchte aber keinen Märtyrer erschaffen. Und allein durch die Tatsache, dass ich mich im Ausland aufhalte, können die jetzt sagen, dass ich geflohen bin und schon immer ein ausländischer Agent war.
Denken Sie manchmal, es wäre besser gewesen, sich wie Ihr Kollege Dmitri Gudkow der Stimme zu enthalten, um so einer möglichen Verfolgung zu entgehen?
Wozu brauchen wir zwei Ponomarjows oder zwei Gudkows? Dima (Gudkow, Anm.) macht sein Ding, und das ist super, und ich mache meines. Außerdem halte ich es für sehr wichtig, dass die Ukrainer sehen, dass es in der russischen Politik Vertreter gibt, der sie unterstützen. An uns wird es liegen, eines Tages wieder die Beziehungen und den Frieden aufzubauen.
Sie sind jetzt gerade in Kiew. Aber wo im Exil haben Sie Ihre Zelte aufgeschlagen?
Von Mitte 2014 bis Mitte 2015 habe ich die meiste Zeit in den USA verbracht. Für mich hat sich damals die Frage nach meinem physischen Überleben gestellt. In Russland wurden all meine Konten eingefroren. 21 Dollar hatte ich in der Tasche: Das war mein Startkapital. Dann habe ich angefangen, einigen Start-ups zu helfen und Vorträge zu halten. Und im vorigen Jahr habe ich begonnen, in der Ukraine zu arbeiten. Ich pendle zwischen den USA und der Ukraine und lobbyiere bei US-Investoren für die Ukraine, vor allem im Energiebereich.
Was ist aus Ihrer politischen Tätigkeit geworden? Engagieren Sie sich weiterhin?
Ich setzte mich dafür ein, dass die Ukraine unabhängig wird von russischer Energie. Das ist auch Politik. Die Ukraine muss die Möglichkeit haben, auf eigenen Beinen zu stehen. Und das wird sich wiederum auf die Situation in Russland auswirken.
Wie sehen das denn Ihre Kollegen in Russland?
Die wissen ja schon lange, dass ich zur "fünften Kolonne" gehöre (lacht). Meine Kollegen in der Opposition unterstützen mich. Und die, die nicht wirkliche Kollegen sind, die meinen jetzt: "Wir haben ja schon immer gesagt, dass er ein Anhänger der (ukrainischen; Anm.) Junta ist".
De jure besitzen Sie Ihr Mandat in der Duma weiterhin. Doch jetzt wurde eigens ein Gesetz verabschiedet, es um Ihnen zu entziehen.
Das Gesetz tritt vermutlich im Mai in Kraft. Im Gesetz gibt es eine Frist von 30 Tagen, das heißt, dass sie Anfang Juni mit der Prozedur beginnen könnten. Ob sie das machen oder nicht, das weiß ich nicht. Ich habe auch keine Möglichkeit, darauf Einfluss zu nehmen.
Im September gibt es Parlamentswahlen in Russland. Nach den letzten Wahlen 2011 ist es zu Massenprotesten gekommen, die Sie ja selbst mitorganisiert haben. Wie schätzen Sie die Lage diesmal ein?
Was das Protestpotential an sich angeht, so ist das eigentlich seither größer geworden. Protest formiert sich aber nur dann, wenn die Leute denken, dass sie - wenn sie schon das Risiko politischer Repression auf sich nehmen - auch etwas verändern können. Das ist aber derzeit nicht der Fall. Deswegen erwarte ich keine Proteste. Außerdem wird der Machtapparat versuchen, die Wahl so fair wie möglich darzustellen.
Ihr Kollege Dmitri Gudkow behauptet, dass viele in der Duma, dem russischen Parlament, unzufrieden sind, aber dennoch schweigen.
Absolut. Es gibt viele Unzufriedene in den Reihen der herrschenden Elite. Die Sache ist nur die, dass sie sich stets auf die Seite des Starken schlagen - und der einzige, den sie für stark halten, ist nun einmal Wladimir Putin.
Sie haben wiederholt die westlichen Sanktionen gegen Russland kritisiert, weil sie Putin nur weiter stärken würden. Wie sollte der Westen denn Ihrer Ansicht nach reagieren?
Die Sanktionen helfen Putin nur, die wirtschaftlichen Probleme in Russland auf die Strafmaßnahmen abzuwälzen. Nur persönliche Sanktionen gegen den russischen korrupten Apparat können erfolgreich sein. Aber die Europäer wollen einfach nicht streiten. Sie versuchen, zwischen allen Stühlen zu sitzen. Die Sanktionen zielen aber nicht auf einen Regimewechsel in Moskau, sondern auf den Ukraine-Konflikt. Dadurch hat sich der Konflikt zumindest territorial nicht noch weiter ausgebreitet. Ich denke nicht, dass die Sanktionen da großen Einfluss hatten. In Russland gab es in keiner Sekunde die Absicht, Kiew einzunehmen. Russland braucht die Ukraine als einen loyalen, pro-russischen Staat. Aber für Russland ist es unmöglich, die Ukraine mit kriegerischen Mitteln unter Kontrolle zu kriegen. Putin hatte ja nie die Absicht, den Donbass zu annektieren. Er wollte lediglich eine instabile Zone schaffen, um mehr Einfluss zu haben.
Wie wird die Lage in der russischen Elite gesehen?
Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier spricht davon, dass man mit Russland die Beziehungen wieder aufnehmen muss. In Moskau denkt man, dass die Sanktionen spätestens 2017 aufgehoben werden. Wenn das geschieht, wird Putin zeigen können, dass er im Recht war. Die Interessen der finanziellen Elite in Europa werden siegen. Für die Ukraine bedeutet das nichts Gutes: Russland wird noch so lange ein Gegner sein, so lange sich die Macht im Kreml nicht ändert.
Zugleich ist die russische Opposition schwach und zerstritten.
Die Opposition ist das aufgrund persönlicher Ambitionen einzelner Leute. Aber ich denke, keiner derjenigen, die sich heute für Führungsfiguren halten, werden sich auf lange Sicht an der Spitze der Opposition oder des Landes halten.
Sie meinen etwa Alexej Nawalni, der politsch eher rechts steht, während sie dem linken Spektrum zugerechnet werden?
Nawalni ist ein talentierter Einzelgänger. Aber ist eigentlich kein Politiker, sondern ein Blogger, und das ist er geblieben. Aber ein Politiker ist jemand, der eine Koalition um sich herum bilden kann. Das gelingt ihm aber nicht. Deswegen wird er immer eine Gruppe ihm ergebener Anhänger haben, vielleicht sogar viele, aber für eine Führungsrolle reicht das nicht.
Die Panama-Papers belasten auch den Umkreis von Putin. Wie werden diese Enthüllungen in der russischen Elite aufgenommen?
Dass Putin ein sehr reicher Mensch ist, ist für die Russen nichts Neues. Die Panama-Enthüllungen sind aber gut, weil sie die Nervosität in der russischen Elite steigern. Heute kann es Putin treffen, morgen sie selbst. Je mehr es von diesen Enthüllungen gibt, desto besser.
Zur Person
Ilja Ponomarjow (40)
hat vor seinem Einstig in die Politk mehrere IT-Unternehmen in Russland gegründet, mit 24 Jahren wurde der studierte Physiker Vizepräsident des einst größten russischen Ölkonzerns Yukos von Michail Chodorkowski. Der in Moskau geborene Ex-Kommunist gehörte bis 2013 der sozialdemokratischen Partei Gerechtes Russland an, seit 2007 sitzt er in der Duma.