Großparteien buhlen um Kleine. | Umfragen geben FPÖ bessere Karten. | Droht am Ende wieder Rot-Schwarz? | Wien. Totgesagte leben länger. Zumindest über das Osterwochenende hat sich die Koalition gerettet. Wie es dann weiter geht, steht aber in den Sternen. Neuwahlen noch vor dem Sommer scheinen dennoch ausgeschlossen - so weit man in dieser Konstellation etwas ausschließen kann. Wie aber geht es weiter, welche Regierungsoptionen stehen überhaupt zur (Aus-)Wahl?
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Große Koalition: Weiter so wie bisher
Die Erfahrung lehrt, dass es meistens anders kommt als man denkt. Deshalb ist ein Wahltermin zum regulären Termin 2010 nicht so unwahrscheinlich. Und auch nach Neuwahlen ist eine Fortsetzung der großen Koalition trotz beidseitiger Antipathie alles andere als unwahrscheinlich. Es könnte schlicht an politischen Alternativen fehlen - vor allem dann, wenn das BZÖ den Wiedereinzug in den Nationalrat schaffen und es keine Mehrheit für eine Zweiparteien-Koalition jenseits der großen Koalition geben sollte. Bekanntlich wollen weder die Grünen mit FPÖ/BZÖ noch die FPÖ mit den Grünen/BZÖ gemeinsam regieren. Lediglich den Orangen ist solcher Dünkel unbekannt.
Glaubt man den Umfragen, könnte sich bei einer Neuauflage der großen Koalition höchstens die Führungsfrage neu stellen, wenn die ÖVP Platz eins zurückerobert. Aber auch Favoritensiege sind ja alles andere als ausgemacht.
Inhaltlich dürfte sich ebenfalls kaum etwas ändern: Große Würfe werden weiterhin den Antrittsreden vorbehalten bleiben. Sollte die ÖVP die Nase vorn haben, wird das Spiel lediglich mit vertauschten Rollen fortgesetzt: Womöglich gewinnt dann eben die SPÖ die Regierungsverhandlungen und lässt anschließend schwarze Wahlversprechen mit einem Lächeln auf den Lippen scheitern.
SPÖ-Solo: Heinz Fischers Drahtseilakt
Sollte die Koalition scheitern, müsste aber auch dies nicht zwangsläufig zu Neuwahlen führen. Theoretisch ist eine SPÖ-Minderheitsregierung auf Zeit möglich. Für Bundespräsident Heinz Fischer wäre diese Variante jedoch ein Drahtseilakt mit höchster Absturzgefahr, ist doch ein solches Experiment ohne seine Zustimmung nicht möglich.
Für Fischer stünde in diesem Fall viel auf dem Spiel: seine Glaubwürdigkeit als überparteilicher Bundespräsident. Fischer hat sich seit seinem Amtsantritt als Fürsprecher stabiler Mehrheiten, ergo der großen Koalition, positioniert. Durch die Angelobung einer SPÖ-Minderheitsregierung mit Expertenbeiwerk käme er in den Geruch, verlängerter Arm seiner ehemaligen Partei zu sein; seine aus heutiger Sicht ungefährdete Wiederwahl 2010 würde dadurch erschwert; und schließlich wäre auch er zusätzlich beschädigt, sollte das Experiment scheitern.
Inhaltlich hängt eine Minderheitsregierung am seidenen Faden parlamentarischer Mehrheiten. Aus diesem Grund ist ein bereits zuvor ausgehandelter Pakt über eine zumindest zeitlich befristete Tolerierung durch andere Parteien notwendige Voraussetzung. Ohne einen solchen hätte auch der bisher einzige Fall einer Minderheitsregierung nicht funktioniert: 1970 tolerierte die FPÖ ein SPÖ-Kabinett unter Kreisky im Gegenzug für eine minderheitenfreundliche Wahlrechtsreform. Auch diesmal werden Grüne, FPÖ und BZÖ zweifellos einen politischen Preis für ihre Unterstützung verlangen. Kritiker sehen in dieser Konstellation Tür und Tor für populistische Wählergeschenke geöffnet, Befürworter versprechen sich eine neue parlamentarische Dynamik wechselnder Mehrheiten. Der Wahrscheinlichkeitsfaktor ist dennoch begrenzt: Das Risiko für alle Beteiligten ist schlicht zu hoch.
Rot-Grün: Beliebt, aber nie realisiert
Rot-Grün gilt als Wunschtraum einer ganzen Politikergeneration der beiden Parteien. Nur im Praxistest hat diese Koalitionsvariante bisher versagt - sei es aus mangelnden Mehrheiten oder wegen des fehlenden politischen Willens. In Salzburg etwa hätte Gabi Burgstaller mit einem solchen Bündnis politisches Neuland betreten können, sie verzichtete darauf und holte die schwer gedemütigte ÖVP ins Boot. Inhaltlich gäbe es bei Rot-Grün kaum unüberwindbare Probleme. Aus heutiger Sicht wird sich diese Konstellation aber auch 2010 kaum ausgehen.
Schwarz-Grün: Ein gutbürgerlicher Traum
Der Traum bürgerlicher Bohémiens und alternativer Konservativer ist seit einigen Jahren ein schwarz-grünes Bündnis. 2002 scheiterte es in letzter Minute - an grüner Angst vor der Regierungsverantwortung, behaupten die Schwarzen - an überzogenen ÖVP-Forderungen, entgegnen die Grünen. Seit 2003 existiert jedenfalls in der Oberösterreichischen Landesregierung ein Pilotversuch für die Bundesebene mit leidlichem Erfolg.
Programmierte Stolpersteine muss man mit der Lupe suchen, Großparteien haben es schließlich noch selten an der notwendigen inhaltlichen Flexibilität mangeln lassen, wenn es um den Machterhalt geht. In diesem Fall würde eben die ökosoziale Komponente einen Aufschwung erleben bei gleichzeitiger Reduktion des Law&Order-Faktors auf ein - angesichts der freiheitlichen Konkurrenz - notwendiges Minimum. Scheitern könnte ein solches Projekt - sofern es sich denn rechnerisch ausgeht - an der linksalternativen Basis der Grünen, für die die ÖVP ein Gräuel darstellt.
Mitte-Rechts: Neuauflage mit Hürden
Seit den 80er Jahren gibt es im Parlament eine stabile Mehrheit der Parteien Rechts der Mitte, zumindest dann, wenn man FPÖ und BZÖ als Rechtsparteien kategorisiert. Diese verfügen zwar unleugbar über eine martialische Linie weit rechts der Mitte in Sachen Ausländer und Sicherheit. In sozialen Fragen frönen Blau und Orange jedoch einem linken Populismus.
Aber wie dem auch sei: Eine Neuauflage von Schwarz-Blau hat aus heutiger Sicht gute Chancen auf eine parlamentarische Mehrheit. Fragt sich nur, ob die FPÖ unter Heinz-Christian Strache Lust auf ein solches Déjà-vu hat. Tatsächlich gilt die derzeitige ÖVP-Führung um Molterer und Schüssel in der FPÖ als nicht koalitionsfähig, vermutet man in diesen Reihen doch den Spiritus rector der freiheitlichen Spaltung im April 2005. Umgekehrt hat sich auch in der ÖVP die Leidenschaft für Schwarz-Blau seit dem Amtsantritt Straches massiv abgekühlt.
Inhaltlich dürfte der radikale Anti-EU-Kurs der FPÖ ein zentraler Stolperstein auf dem Weg zu Schwarz-Blau III sein; auch die linkspopulistische Sozialpolitik stößt bei der Volkspartei nicht auf Gegenliebe. Mehr Gemeinsamkeiten finden sich in den Bereichen Sicherheit, Integration und Kriminalitätsbekämpfung. Bliebe nur noch das Kernproblem sämtlicher freiheitlicher Koalitionsspekulationen: Es mangelt der FPÖ an ministrablem Personal.
Rot-Blau: Für Linke ein Sündenfall
Keine Koalition mit der FPÖ: Das ist in der SPÖ seit 2004 geltender Parteitagsbeschluss. Allerdings hat sich die politische Großwetterlage seit damals grundlegend verändert. SPÖ und FPÖ behandeln einander mit auffälliger Schonung abseits des üblichen Parteiengeplänkels; offenkundig wurde dies etwa, als der Kanzler Straches Kriegsspiele im Military-Look als Jugendtorheiten abtat. Ansonsten läuft die rot-blaue Achse vorwiegend über das Parlament, wo sich SPÖ-Klubchef Cap ausgezeichnet mit Strache versteht.
Inhaltlich liegen die Stolpersteine für eine Neuauflage für eine SPÖ-FPÖ-Koalition nach der Ära Sinowatz/Steger (1983-86) in der Integrations- und Ausländerpolitik. Vor allem für die linksliberale SPÖ-Klientel, weniger für deren Stammwähler aus dem Arbeitermilieu, wäre ein solcher Schwenk ihrer Partei inakzeptabel. Mehr Gemeinsamkeiten gibt es zweifellos in der Sozial- und Wirtschaftspolitik, wo im Zweifel auf beiden Seiten der Ruf nach einem starken Staat laut wird. Bleibt nur die Frage, ob sich Rot-Blau auch rechnerisch im Parlament ausgehen wird.