Einbürgerungen in Europa nehmen zu, langsam gleichen sich Gesetze an.
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Wien. Rein äußerlich haben sich die Reisepässe der EU-Staaten nahezu angeglichen. Sie sind bordeauxrot, und in goldener Schrift ist in den Landessprachen der Hinweis auf die Europäische Union eingeprägt, dazu das jeweilige Staatswappen. Die Wege zu diesem Dokument, das Reise- und Niederlassungsfreiheit bedeutet und daher für ihre Besitzer von großem Wert ist, diese Wege sind in der EU doch unterschiedlich.
Schon beim Erwerb der Staatsbürgerschaft bei der Geburt gibt es keine einheitliche Gesetzgebung innerhalb Europas, sondern gleich zwei echte Denkschulen: zum einen das Abstammungsprinzip ("ius sanguis"), das unter anderem in Österreich angewandt wird, zum anderen das Territorialprinzip ("ius soli"), das etwa in Großbritannien, Deutschland, Belgien und Portugal vorherrscht.
Beim Abstammungsprinzip entscheidet die Herkunft der Eltern über die Staatsbürgerschaft, beim "ius soli" der Ort der Geburt. "Wobei diese Prinzipien nicht so ausschließend sind, wie es häufig dargestellt wird", ergänzt Politikwissenschafter Gerd Valchars, der sich auf Staatsbürgerschaftsrecht spezialisiert hat.
"Der internationale Trend ist die Kombination dieser Prinzipien", sagt Valchars. Irland, das früher automatisch die Staatsbürgerschaft an jedes im Land geborene Kind vergab, knüpft diese nun an die Voraussetzung, dass ein Elternteil drei Jahre von vier Jahren vor der Geburt in Irland gelebt hat. In Deutschland muss ein Elternteil sogar acht Jahre Aufenthalt im Land vorweisen können und zudem ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzen.
Dass die von der österreichischen Regierung geplante Gesetzesnovelle bisher keine Ergänzung durch das Territorialprinzip erfahren hat, wurde unter anderem von den Grünen kritisiert. Valchars - er ist auch Vorstand der Grünen Bildungswerkstatt Wien - erklärt: "Von den 6700 im Jahr 2011 Eingebürgerten waren ein Drittel Kinder, die in Österreich auf die Welt gekommen sind." Und das "ius soli" wird wohl auch in den kommenden Jahren für die österreichische Gesellschaft an Bedeutung gewinnen, zumal die Zahl der Einbürgerungen stark abgenommen hat.
Keine Antwort auf Migration
Im Jahr 2003 gab es fast 45.000 Einbürgerungen, acht Jahre und eine Gesetzesnovelle später eben nur noch 6700. Und auch die Einbürgerungsquote ist von sechs Prozent (aller Ausländer) auf 0,7 Prozent gesunken. Österreich arbeitet damit auch entgegen dem europäischen Trend. Denn seit Jahren nehmen die Einbürgerungen in den EU-27 zu.
Da Österreich ausschließlich das Abstammungsprinzip anwendet, kann es sogar vorkommen, dass die zweite hier geborene Generation als Pass-Ausländer auf die Welt kommt, obwohl die Eltern nie woanders gelebt haben. Valchars sieht deshalb bereits "seit langem" ein demokratiepolitisches Problem.
"In Wien sind bereits 21 Prozent der Wohnbevölkerung im Wahlalter von Wahlen ausgeschlossen." In anderen europäischen Agglomerationen ist das nicht viel anders, in Berlin sind es knappe 15 Prozent, die nicht mitbestimmen dürfen.
"Die EU fördert Mobilität und Migration, gleichzeitig verlieren viele Menschen Teile ihrer Staatsbürgerschaftsrechte, das konnte die EU bisher nicht verhindern", sagt Valchars. Eine EU-Bürgerschaft ist derzeit völlig unrealistisch, innerhalb Europas ortet der Forscher allerdings eine gegenseitige Annäherung der verschiedenen Gesetzeslagen. Zum einen wird die Wartedauer auf die Staatsbürgerschaft generell kürzer, zum anderen werden die Kriterien, vor allem bei Sprache und Verdienst, strenger.
Die Gesetzgebungen der Länder zu vergleichen, sei jedoch schwierig, da etwa eine kurze Wartedauer an überstrenge Kriterien gebunden sein kann. So zeigt sich etwa auch, dass die Schweiz, die einen 12-jährigen Aufenthalt verlangt, ehe ein Antrag auf einen Pass gestellt werden kann, eine der höchsten Einbürgerungsraten in Europa aufweist.
Strenge Kriterien
Das bei Florenz beheimatete "Observatory on Citizenships" des Europäischen Hochschulinstituts, bei dem Valchars mitwirkt, hat versucht, verschiedene Indikatoren herauszudestillieren und die Gesetzgebungen der jeweiligen Länder auf einer Skala zwischen sehr liberal und sehr streng einzustufen. Dabei zeigt sich, dass Österreich im EU-Vergleich hohe Hürden eingezogen hat, vor allem beim Kriterium des Verdienstes - so darf innerhalb von drei Jahren keine Mindestsicherung bezogen werden - und beim lupenreinen Leumund, den Antragsteller vorzuweisen haben. Selbst Verwaltungsstrafen, etwa Fahren ohne Führerschein oder Schwarzarbeit, sind Ausschlussgründe. Auch bei den zu bezahlenden Gebühren ist Österreich ein Hochpreisland. Während in Belgien oder Frankreich der Antrag überhaupt kostenlos ist, in Schweden 135 und in Deutschland 255 Euro kostet, sind in Österreich - je nach Bundesland - 1000 bis 2000 Euro zu bezahlen. Der EU-Pass: auch ein teures Stück Freiheit.