Was Expertinnen und Experten im Gesundheitsausschuss zur Impfpflicht sagen, ist klarerweise nicht aus einem Guss.
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Es ist ungewöhnlich ruhig - und zwar nicht nur für das Thema Impfpflicht. Am Josefsplatz hat sich ein gutes Dutzend Menschen beim Denkmal von Joseph II. versammelt, ruhig der Dinge ausharrend. Hinter der taillenhohen Absperrung sind gezählte zehn Polizeifahrzeuge zu sehen, die wohl bis zu einhundert Polizistinnen und Polizisten fassen könnten.
Ungewöhnlich ruhig ist es aber auch im Großen Redoutensaal der Hofburg, dem Ausweichquartier des Parlaments - trotz öffentlichen Gesundheitsausschusses zur Impfpflicht. Statt des typischen Summens vor einer typischen Nationalratssitzung sind an diesem Tag nur die 23 der 183 Abgeordneten aus dem Ausschuss, einige Regierungsmitglieder, darunter Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein und fünf von den Parlamentsfraktionen entsandte Expertinnen und Experten im Gesundheitsausschuss im Parlament.
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Es handelt sich um die von ÖVP und Grünen jeweils gemeinsam entsandten Expertinnen Susanne Rabady, Vizepräsidentin der Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM), und Christiane Wendehorst, Professorin für Zivilrecht an der Universität Wien. Die SPÖ lässt mit Christian Sebesta als früherem ärztlichen Direktor des Donauspitals einen Mediziner zu Wort kommen. Die Neos und die FPÖ schicken mit Konrad Lachmayer, dem Vizedekan der Fakultät für Rechtswissenschaften an der Sigmund Freud-Universität, bzw. Völkerrechtler Michael Geistlinger beide Rechtsexperten ins Rennen. Sie stellen sich einen Tag nach der Präsentation des überarbeiteten Gesetzesentwurfs zur Impfpflicht unter dem Vorsitz des FPÖ-Gesundheitssprechers Gerhard Kaniak den Fragen der Ausschussmitglieder.
Typisches Beispiel für österreichische Demokratie
Dieser hatte sich bereits gemeinsam mit seiner Kollegin Susanne Fürst und mit Geistlinger bei einer Pressekonferenz vor dem Hearing Luft gemacht: Dass sich die Regierungsparteien ÖVP und Grüne rund 24 Stunden vor dem Gesundheitsausschuss mit der Präsentation des überarbeiteten Entwurfs "schon vorab einbetoniert haben", sei eine "Missachtung des Parlamentarismus". Er verstehe das "als Verhöhnung und Geringschätzung der Experten": "Wenn etwas undemokratisch ist, dann dieses Vorgehen", polterte Kaniak schon vorab im FPÖ-Medienzentrum.
Geistlinger hatte im Rahmen der einstündigen Pressekonferenz nur knappe zehn Minuten, genau diese hatte der Völkerrechtler dann nochmals im Plenum für einen Einstiegsvortrag. "Auch ein Experte ist ein Mensch" stellte er zum Einstieg fest, in seinem Fall offenbar einer, der dem Ninja-Pass mit negativen Testresultaten für Kinder nicht viel abgewinnen kann: "1,2,3 wir sind frei, welchem Geisteskind kann so etwas Niederträchtiges einfallen?", fragte er. Sachlicher erklärte er im Mittelteil, dass er in der Impfpflicht "leider den Artikel 8 der Menschenrechtskonvention verletzt sehe". Aber nicht nur den, auch das Recht auf Gewissensfreiheit, eine "anthroposophische Grundhaltung" zum Beispiel. Rudolf Steiners Schülerinnen und Schüler wurden abgeholt. Um schließlich mit dem Beispiel seines Wohnortes zu enden, "kein einziger Infizierter musste ins Krankenhaus", auch er selbst nicht. Und: "Ich bin über 65."
Sachliche Argumentation, die nicht mehr fruchten wird
Wegen der immer wieder drohenden Überlastung des Gesundheitssystems sei die Impfpflicht "sachlich zulässig und gerechtfertigt". Damit sei es nicht getan, auch jeweilige Verordnung müsse der Verfassung entsprechen. Die von den Regierungsparteien nominierte Kollegin Wendehorst ergänzte später die hohe Flexibilität des Gesetzes, weil man es an die Infektionslage anpassen müsse, als großes Plus. Gegen das Argument der Verletzung des Artikels 8 führte sie ins Feld, dass "Selbstbestimmung ein sehr, sehr wichtiges Gut" sei, es gehe aber um eine Nutzen-Risiko-Abwägung. Und: Die Impfungen seien im Moment noch "das einzige Mittel, das bis Herbst 2022 als wirksamstes Mittel im Kampf gegen die Pandemie zur Verfügung stehen wird".
Bei ihrem Fachgebiet, der Medizin, blieben auch Rabady und Sebesta. Die Allgemeinmedizinerin führte insbesondere die "Entlastung der kritischen Infrastruktur, die eine Abmilderung der Verläufe als Lösung bringt" ins Feld, die eine hohe Durchimpfungsrate mit sich bringe. Der Spitalsarzt Sebesta wollte den Ausschuss auf "eine Reise durch die evidenzbasierten Fakten mitnehmen". Sie führte von den 70 Prozent der Covid-19-Erkranktem mit leichtem Verlauf, 18 mit mittlerem und 12 Prozent mit schwerem Verlauf.
Nicht alle Entscheidungen sind evidenzbasiert
Sebesta sprach auch von harmlosen Impfreaktionen. Als er die Fälle von allergischen Reaktionen, die "sehr selten, aber doch lebensbedrohlich sein können und intensivmedizinisch behandelt werden müssen", als sich im Promillebereich bewegend bezeichnete, gab es im Plenum die ersten sichtbaren Reaktionen - in Form von Kopfschütteln mancher FPÖ-Abgeordneter.
Viele Reaktionen löste dann der FPÖ-Abgeordnete Gerald Hauser aus, der seine Fragemöglichkeit auch zu einem Statement nutzte. Im Brotberuf Lehrer an einer Bundeshandelsschule und Bundeshandelsakademie, rechnete er aus eingemeldeten Impfreaktionen, darunter auch Nebenwirkungen, die allerdings erst wissenschaftlich ausgewertet werden müssen, 20 Millionen Betroffene hoch - was Abgeordnete anderer Fraktionen nicht unwidersprochen stehen lassen wollten und als falsch titulierten.
Ein Beschluss der Impfpflicht am Donnerstag im Nationalrat ist allerdings ohnehin sehr wahrscheinlich. Denn sowohl SPÖ-Klubobfrau Pamela Rendi-Wagner als auch Beate Meinl-Reisinger, Klubobfrau der Neos, waren bereits am Sonntag bei der "leider notwendig gewordenen" Impfpflicht mit an Bord. Sie sind bekanntermaßen ebenfalls demokratisch legitimiert - auch wenn die nun drei Dutzend Trommelnden am Josefsplatz sich weiter gegen die Impfpflicht stemmen.