May könnte das Parlament absichtlich ins Boot geholt haben, um nicht alleine für den Brexit verantwortlich zu sein, sagt die Politologin Melanie Sully.
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"Wiener Zeitung": Was ändert die Entscheidung des Gerichtshofes in London? Im Parlament werden ohnehin nur die schottische SNP, Liberaldemokraten und ein paar Labour-Rebellen gegen den Brexit-Antrag stimmen.Melanie Sully: Es muss nun von der Regierung die Gesetzesvorlage kommen. Labour hat angekündigt, Abänderungsanträge einzureichen, um bestimmte Arbeiterrechte abzusichern und damit seine Wähler zu schützen. Das liegt nicht im Interesse der Konservativen, es ist durchaus möglich, dass das Parlament diese Abänderungsanträge nicht akzeptiert. Zudem herrscht im Parlament die Ansicht, dass der Brexit ein Volksentscheid war, gegen den man sich nicht querlegen darf. Auch ist die Zeit sehr knapp. Es ist nicht gesagt, dass die Regierung Theresa Mays mit dem harten Brexit Artikel 50 bis Ende März auslösen kann.
Manche sagen, dass May, die ursprünglich für den Verbleib in der EU war, den harten Brexit absichtlich forciert, um ihn zu verhindern. Denn dann, so die Theorie, würde das Parlament dagegen stimmen oder zumindest dagegen vorgehen. Was halten Sie davon?
Viel, aber ich glaube an andere Motive. Alle rätseln darüber, wieso May sich auf das königliche Vorrecht berufen hat (das ein Vetorecht des Parlaments ausschließt, Anm.). Es ist sehr unangenehm, als Premierministerin in die Geschichte einzugehen, die Großbritannien aus der EU geführt hat. May war nie leidenschaftlich für oder gegen die EU, sie war da pragmatisch. Vielleicht hat sie das Parlament absichtlich provoziert und ins Boot geholt, damit sie nicht alleine die Entscheidung treffen muss. Wäre sie diplomatisch vorgegangen und hätte das Parlament von Anfang an eingebunden, dann hätte es keine andere Wahl gehabt als zu sagen: OK, starten wir. Jetzt, wo sich das Parlament übergangen fühlt, kann May sagen: Es war nicht allein meine Entscheidung. Vielleicht stellt das Parlament neue Bedingungen, auch Neuwahlen sind möglich, wenn kein überzeugender Plan vorgelegt wird. May sollte nichts dagegen haben, sie führt in den Meinungsumfragen.
Ist eine Abstimmung nach den Verhandlungen mit Brüssel möglich, wie Labour das fordert?
May hat das vorige Woche versprochen, aber das ist sinnlos, denn nach zwei Jahren verlässt das Vereinigte Königreich ohnehin die EU. Da hilft es nicht, großzügig das Parlament einzubinden. Und selbst wenn es das Verhandlungsergebnis ablehnen würde, was dann? Zurück nach Brüssel und sagen, wir wollen etwas Besseres? Da wird es heißen: Vergesst es. Und drin bleiben geht auch nicht. Es ist also jetzt die Zeit für eine Entscheidung durch das Parlament, danach ist es zu spät. Nach dem Auslösen von Artikel 50 muss Großbritannien Gas geben.
Also kein Exit vom Brexit?
Ich glaube nicht. Man darf nicht vergessen, dass die rund 16 Millionen, die beim Referendum für den Verbleib gestimmt haben, auch nicht für den Status quo waren, sondern Reformen in der EU sehen wollten. Der entsprechende Deal dazu vom Februar 2016 ist jetzt gestrichen, den gibt es nicht mehr. Käme noch ein Referendum, die Menschen würden ihre Meinung nicht ändern. Zudem hat sich in der EU seit Juni nicht viel Positives getan. Auch beim Thema Brexit gibt es keine konsequente Linie, sondern unterschiedliche Aussagen aus unterschiedlichen Staaten. Ein Ausstieg vom Brexit ist nicht zu erwarten.
Der irische Finanzminister Michael Noonan sagt, die Verhandlungen mit Brüssel werden mindestens sechs Jahr dauern. Nach zwei Jahren muss der Deal aber stehen.
Es gibt alle möglichen Zeitrahmen, von bis zu zehn Jahren ist die Rede. Es könnte Übergangsregelungen geben, dann die Abkommen müssen lange verhandelt werden. EU-Mitglied ist Großbritannien dann aber nicht mehr. Die vielen EU-Gesetze müssen überprüft und dann aufgenommen werden - oder eben nicht. Das wird dauern.
Zur Person
Melanie Sully
ist britische Politologin und Direktorin des Wiener Instituts für Go-Governance. Sie lehrte Politikwissenschaft an der Diplomatischen Akademie und war zuvor Konsulentin für die OSZE und den Europarat in Straßburg. Sully ist Mitglied des Royal Institute of International Affairs in London.