Redewettbewerb "Sag’s Multi" zu "Meine Zukunft - unsere Zukunft".
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Wien. Arkadi Jeghiazarya geht auf die Bühne des Mehrzweckraums im Wiener Bertha von Suttner Gymnasium, begrüßt das Publikum und die Jury und fängt an zu erzählen, wie er die Welt zum Besseren verändern möchte. Ganz selbstverständlich wechselt der 16-Jährige immer wieder zwischen Deutsch und seiner Muttersprache Armenisch. Der Schüler spricht von seinem sozialen Einsatz, wo er etwa Zeit mit sonst einsamen Senioren verbringt, um gemeinsam mit ihnen "zu chillen", und von der Freude dieser Menschen über seine Gegenwart. Er selber kennt das Gefühl von Einsamkeit und von Nicht-Zugehörigkeit, als er nach Österreich kam, und betont daher die Wichtigkeit für mehr Miteinander.
Zukunftsthemen auf Armenisch, Italienisch, Urdu
Arkadi Jeghiazarya ist einer von 406 Schülern, die bei der vierten Ausgabe des Redewettbewerbs "Sag’s Multi" mitmachen. Insgesamt beteiligen sich 86 Schulen aus allen Bundesländern außer Kärnten und Vorarlberg, 45 verschiedene Sprachen sind während des Wettbewerbs zu hören. Am 19. März 2013 werden 15 Sieger im Festsaal des Wiener Rathauses gekürt. Das Leitthema für die Vorträge des vom Verein Wirtschaft für Integration (VWFI) veranstalteten Wettbewerbs ist "Meine Zukunft - unsere Zukunft".
"Warum hat die Elterngeneration zugelassen, dass die Welt so aussieht, wie sie ist?", fragt sich Luca Bonamore (16), der auf Deutsch und Italienisch vorträgt. Für ihn steht fest, dass seine Generation die Welt sanieren müsse, obwohl diese für den Zustand nicht verantwortlich sei. Die vorige Generation hätte ihren Spaß gehabt, kritisiert er. Egoismus sei zwar negativ konnotiert, aber: "Wir sollten für uns planen, damit wir in einer schöneren Welt, die dann unsere sein wird, leben können." Auch Farah Mohamma und Yvonne Samsarova wollen sich für eine bessere Welt einsetzen. Etwa mit der Vermeidung von Plastik oder indem sie mehr der U-Bahn als mit dem Auto fahren, um die Umwelt zu schonen, sagt die 18-jährige Mohamma, deren Muttersprache Urdu ist. Weiters möchte sie im Alltag gute Stimmung verbreiten und andere Menschen mit ihrer Fröhlichkeit anstecken. Schließlich gäbe es genügend Leute, die grundlos grantig zueinander sind. Samsarova erläutert die fünf Kernziele der EU bis 2020 und appelliert an das Publikum, sofort damit anzufangen, diese Ziele zu verwirklichen. "Wir alle sind die EU", unterstreicht die Schülerin mit bulgarischem Migrationshintergrund, "die Zukunft fängt jetzt an."
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An Österreichs Schulen werde die nicht-deutsche Muttersprache von SchülerInnen zu wenig gefördert, kritisiert Maria Marizzi, Lehrerin am Bertha von Sutter Gymnasium. Muttersprachliche Kurse finden beispielsweise nicht an allen Schulen statt, zum Nachteil derer, die nicht auf diese Schulen gehen. Jüngeren Schülern könne man es nicht zumuten, nach dem regulären Unterricht quer durch Wien zu fahren, und bei älteren SchülerInnen spießt es sich oftmals mit dem Nachmittagsunterricht. Die Französisch-, Deutsch- und Deutsch als Zweitsprache-Lehrerin verweist auf Schweden, wo muttersprachliche Lehrer in die Schule kommen, selbst wenn nur ein oder zwei Schüler diese Sprache sprechen. "Da wird für Bildung noch Geld in die Hand genommen", betont sie gegenüber der "Wiener Zeitung". Viele österreichische SchülerInnen, die eine nicht-deutsche Familiensprache haben, können sich oftmals nur rudimentär in ihrer Muttersprache verständigen, weiß sie aus Erfahrung. Dass SchülerInnen mit einer anderen Erstsprache als
Deutsch wenig Interesse am Unterricht in ihrer Muttersprache haben, liege neben
den ungünstigen schulischen Rahmenbedingungen vor allem an der geringen
gesellschaftlichen Wertschätzung ihrer Sprache. Daher laste der
Muttersprachenerwerb zum größten Teil auf den Schultern ihrer Mütter und Väter,
die dies je nach Bildungshintergrund und sozialer Situation mehr oder weniger
leisten können, ergänzt Marizzi.
Kaum Wertschätzung für andere Muttersprachen
Zum einen fehle das Bewusstsein der Eltern, dass man die Sprache lernen müsste, und zum anderen fehle die Wertschätzung an den Schulen. Das Ergebnis: Viele Schüler haben kein Interesse, ihre Muttersprache besser zu sprechen, ist sich Marizzi sicher. Die Teilnahme an "Sag’s Multi" ändert die Sichtweise der Jugendlichen. "Viele haben an ihrer Muttersprache hart gearbeitet und haben sich Hilfe aus der Verwandtschaft geholt, um den Wortschatz zu verbessern", berichtet Marizzi von ihren Schülern, von denen bis jetzt immer zwei bei "Sag’s Multi" gewonnen haben. Auch heuer sind noch zwei Schüler im Rennen.
Neben der Weltverbesserung an sich werden in dieser Finalrunde am Bertha von Suttner Gymnasium auch Probleme in den Herkunftsländern der Schüler angesprochen. Serap Kaya (16) spricht den Lehrer- und Schulmangel in weiten Teilen der Türkei an. Für eine gute Ausbildung muss man oft lange Wege in Kauf nehmen und bereit sein, viel Geld zu zahlen. Kaya erzählt von einem Mann, der seine 22 Kühe verkaufte, um seinen Kindern eine gute Schulbildung zu ermöglichen. Sie wendet sich an das Publikum: "Wenn wir alle im Monat fünf Euro auf die Seite legen, dann können wir einen Verein gründen und etwas für die Zukunft dieser Kinder unternehmen." Ein weiteres Problem sei die frühe Verheiratung von Mädchen, die dann als Hausfrau eingesetzt werden und keine Bildung genießen können. "Jeder sollte aber eine Chance erhalten", sagt die 16-Jährige. Auch in der alten Heimat von Farweh Rasuli (19) in Afghanistan hat nicht jedes Mädchen Zugang zur Bildung. In der Familie hätte zudem der Mann das Sagen ohne Rücksprache mit seiner Frau, viele Männer seien gewalttätig. Die Unterdrückung der Frau in Afghanistan wird in Österreich oft belächelt, dabei sei die Emanzipation in Österreich auch noch nicht so lange her. Viele seien sich dessen nicht bewusst. Bis 1975 durften Frauen ohne Zustimmung des Ehemannes hierzulande etwa kein Konto eröffnen, schildert sie.
Schüler, die in die Finalrunde kommen, haben die Möglichkeit, gefördert zu werden, verweist Meri Disoski, Geschäftsführerin des VWFI, auf das Programm "Konnex". Beruflich etablierte "Paten" aus den Bereichen Wirtschaft, Medien oder Kunst und Kultur begleiten die Jugendlichen, um sie bei ihrer beruflichen Orientierung und der Erweiterung ihrer sozialen Kompetenzen zu unterstützen.