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"Vier Kandidaten mit zehn Kindern"

Von Walter Hämmerle

Europaarchiv

Die Kandidatur von Hans-Peter Martin hat für einige Bewegung im bisher trägen österreichischen EU-Wahlkampf geführt. Dabei stößt der selbst ernannte Kämpfer gegen das EU-Spesenwesen weniger in der Sache als vielmehr mit seinem Stil auf bisweilen heftige Ablehnung bei den politischen Mitbewerbern und zahlreichen Medien. Die "Wiener Zeitung" sprach mit Martin über sich und sein Unterfangen.


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"Wiener Zeitung": Woher nehmen Sie das Geld für Ihren Wahlkampf?

Hans-Peter Martin: Im Moment ist es so, dass jeder aus seiner eigenen Tasche finanziert. Ein Wahlkampfbudget im herkömmlichen Sinn haben wir nicht.

"Wiener Zeitung": Bekommen Sie Spenden?

Hans-Peter Martin: Wir bekommen Sachspenden, aber auch serienweise Briefe von Menschen, die uns kleinere Geldsummen überlassen wollen. Die haben wir bis jetzt allerdings nicht angenommen.

"Wiener Zeitung": Wie gehen Sie damit um, dass nun auch Ihr Charakter Gegenstand der Berichterstattung geworden ist?

Hans-Peter Martin: Das ist fast ausschließlich ein ostösterreichisches Phänomen. Noch dazu handelt es sich dabei meist um aufgebauschte Geschichten von vor 20 Jahren. Insgesamt ist das eine treffende Illustration von Hellers Satz, nach dem Wien die Welthauptstadt des Neides und der Niedertracht ist.

"Wiener Zeitung": Es lässt Sie also kalt?

Hans-Peter Martin: Viele Freunde haben mir das prophezeit.

"Wiener Zeitung": Haben Sie eigentlich viele Freunde?

Hans-Peter Martin: Ich glaube, ich habe sogar sehr viele Freunde in den verschiedensten Ländern, nur haben diese nicht die Neigungsstrukturen ostösterreichischer Journalisten.

"Wiener Zeitung": Wo würden Sie sich nach den Kategorien von links und rechts politisch einordnen?

Hans-Peter Martin: Diese Kategorien sind auf europäischer Ebene nicht mehr gültig.

"Wiener Zeitung": Was sind Sie dann?

Hans-Peter Martin: Ich halte mich für einen liberalen sozialen Demokraten, der auch aus Überzeugung immer wieder in die Kirche geht, um zu beten.

"Wiener Zeitung": Sie sind ausgezeichnet in diesen Wahlkampf gestartet. Haben Sie noch ausreichend Überraschungen parat, um das Interesse der Medien bis zum Wahltag wach zu halten?

Hans-Peter Martin: Über die öffentliche Aufmerksamkeit können wir uns im Moment jedenfalls nicht beklagen. Es geht aber um Vertrauen, wenn mehr als die Hälfte der Bürger sagt, sie sind mit keiner der Parteien mehr zufrieden.

"Wiener Zeitung": Sind Sie für diese ein authentisches Angebot?

Hans-Peter Martin: Ich denke schon. Wir sind vier Kandidaten mit zehn Kindern und vielen Aufs und Abs im Leben.

"Wiener Zeitung": Das haben Sie aber sicher auch als Spitzenkandidat der SPÖ 1999 von sich geglaubt.

Hans-Peter Martin: Ich war nie Mitglied der SPÖ. Damals wurde ich von den Sozialisten missbraucht und habe mich auch missbrauchen lassen.

"Wiener Zeitung": Es fällt auf, dass Sie die SPÖ, die sich schon längst in Sozialdemokratische Partei umbenannt hat, immer als Sozialisten bezeichnen.

Hans-Peter Martin: Das mache ich sehr bewusst, weil insbesondere in Österreich diese Partei strukturell nicht zukunftsfähig ist und von den Mauscheleien ihrer Funktionäre lebt. Gerade in einer globalisierten Welt braucht es aber tolerante Netzwerke ...

"Wiener Zeitung": ... halten Sie sich selbst für einen toleranten Menschen?

Hans-Peter Martin: Ja, das glaube ich schon.

"Wiener Zeitung": In Österreich ist fast jeder mit jedem per Du. Trotzdem siezen einander die Politiker in der Öffentlichkeit. Sie aber bleiben beim Du.

Hans-Peter Martin: Ich erlebe dieses scheinheilige Sie in der Öffentlichkeit oft als Wunsch, das Verhabertsein nicht öffentlich werden zu lassen. Warum sollen die Leute das nicht wissen?

"Wiener Zeitung": Muss Ihrer Ansicht nach der Sozialstaat europäisiert werden?

Hans-Peter Martin: Auf EU-Ebene können wir allenfalls Bedingungen verbessern, minimale Sozialstandards bringen da wenig. Interessant wäre hier das Konzept von Bandbreiten anteiliger Sozialausgaben gemessen am Bruttosozialprodukt. Aber in Europa wird es noch zu viel größeren Verteilungskonflikten kommen. In den letzten Jahren ist mir der Glaube, dass der Staat ein guter Transferverteiler ist, weitgehend abhanden gekommen. Heute halte ich mich für einen liberalen sozialen Demokraten - vor fünf Jahren wäre noch das soziale vorne gestanden.