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Vier Worte machten Geschichte

Von Jürgen Petzold

Politik

Niemals ist ein US-Präsident in Deutschland so euphorisch empfangen worden wie John F. Kennedy 1963 in Berlin: Der Staatsmann aus Übersee kam am 26. Juni 1963 an die Spree und wurde von Hunderttausenden Berlinern wie ein Popstar bejubelt. Kennedys auf Deutsch gesprochener Satz "Ich bin ein Berliner" hat Geschichte geschrieben. So prägte der US-Präsident maßgeblich jene "Frontstadt"-Mentalität der West-berliner im Kalten Krieg mit, die vom "Durchhalten" und der zuweilen verzweifelten Hoffnung auf Wiedervereinigung geprägt war. Von der Popularität Kennedys bei den Berlinern konnten seine Nachfolger nur träumen - und das ist bis heute so geblieben.


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"Es war eine überwältigende Begegnung", berichtet der Historiker Andreas Etges von der Freien Universität Berlin. Er hat zum 40. Jahrestages eine Ausstellung konzipiert, für die auch Zeitzeugen befragt wurden. Deren "Augen leuchten noch immer", berichtet er über die Befragten. Schließlich war Kennedy in einer für West-Berlin schwierigen Zeit an die Spree gekommen: Zwei Jahre nach dem Mauerbau waren alle Hoffnungen auf baldige Wiedervereinigung zunichte gemacht. Und auch der Status des Westteils schien immer wieder in Gefahr zu geraten: Schließlich hatte die Sowjetunion bereits mit dem Chruschtschow-Ultimatum von 1958 auf eine Entmilitarisierung Berlins gedrängt - was das Ende eines eigenständigen Westberlins hätte bedeuten können.

Gegen derlei Befürchtungen setzte Kennedy ein deutliches Signal: Er landete am Morgen des 26. Juni zu einer rund achtstündigen Visite in Berlin, und schon kurz nach seiner Ankunft überschütteten ihn die begeisterten Menschen mit Konfetti und Papierschlangen. Sie säumten die gesamte 50 Kilometer lange Route Kennedys durch die Mauerstadt, so bekam ihn schätzungsweise jeder zweite West-Berliner zu sehen. Nachdenklichkeit beherrschte da nur die Szenerie am Brandenburger Tor, wo der Präsident mit der Mauer konfrontiert wurde. Der Kurzaufenthalt an der Demarkationslinie beeindruckte den Staatsmann: Nach dem Anblick der Grenzbefestigungen schrieb er kurzerhand seine Rede um, die er später vor dem Rathaus Schöneberg halten sollte. "Die Mauer ist die abscheulichste und stärkste Demonstration für das Versagen des kommunistischen Systems", rief er schließlich den Hunderttausenden zu, die sich vor dem Amtssitz des Regierenden Bürgermeisters und späteren Bundeskanzlers Willy Brandt versammelt hatten. Für seinen in Deutsch gehaltenen Abschlusssatz, der die Begeisterung auf die Spitze trieb, hatte Kennedy einen handgeschriebenen Zettel dabei. Darauf stand wörtlich: "Ish bin ein Bearleener."

Bei Kennedys Beratern erzeugte die abgeänderte Rede alles andere als Jubel: Dem Stab des US-Präsidenten gingen die Worte zu weit, wie Historiker Etges berichtet. Schließlich war die US-Regierung in dem Jahr nach der Kuba-Krise auf Entspannung im Verhältnis zur Sowjetunion erpicht. Dazu passte Kennedys Kalte-Kriegs-Rethorik vom Rathaus Schöneberg so gar nicht. Deshalb fand er dann bei seiner anschließenden Ansprache an der Freien Universität wieder gemäßigtere Worte über das Verhältnis zur Sowjetunion.

Den Westberlinern blieben vor allem die deutlichen Worte vom Rathaus Schöneberg in Erinnerung. Hilflos wirkte da der Versuch der DDR, mit einem Besuch des damaligen Sowjetführers Nikita Chruschtschow am 28. Juni 1963 in Ostberlin gegenzuhalten. Doch auch Kennedys Amtsnachfolger wurden nie so euphorisch begrüßt in Berlin: Nicht selten waren die Berlin-Besuche der US-Präsidenten auch von deren jeweiliger Außenpolitik geprägt: Als Richard Nixon 1969 an die Spree kam, wurde seine Wagenkolonne wegen des Vietnam-Krieges mit Farbbeuteln beworfen.

Und der derzeitige Präsident George W. Bush war bei seinem Besuch im vergangenen Jahr nicht zuletzt wegen seiner Irak-Politik mit wütenden Protesten konfrontiert. Einige Bush-Gegner zogen sogar den direkten Vergleich mit John F. Kennedy und zeigten ein Transparent mit dem Spruch: "You are no Berliner" ("Sie sind kein Berliner").