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Der Tod des 93-jährigen László Varga hat für den ungarischen Parlamentarismus Symbolwert: Der Alterspräsident der Nationalversammlung verschied tragisch just zur gleichen Stunde als die von ihm geführte Christ-Demokratische Partei in dem neu geschaffenen "Fidesz/Ungarisches Bürgerbündnis" als vereinte Rechts-Opposition aufging. Bei dem kürzlich abgehaltenen 15. Fidesz-Kongress wurden (reichlich spät!) die Lehren aus den unerwarteten Wahlniederlagen vom Frühjahr (Parlament) und Herbst des Vorjahres (Gemeinderat) gezogen. Die dominierende Persönlichkeit des rechten Lagers, Ex-Premier Viktor Orbán - der bisher nie den Parteivorsitz inne hatte, sondern nur quasi Primus inter Pares präsidierte - wurde zum Parteichef gekürt und soll den national-konservativen Kräften wieder zu Nummer 1 im Lande verhelfen. Auch im personellem Bereich soll der doppelten Wahlniederlage Rechnung getragen werden: Im neuen Bündnis sollen in Zukunft nicht wie bisher sieben sondern nur mehr zwei Stellvertreter den Chef unterstützen. Und gerade aus den Personen dieser beiden engsten Orbán-Mitarbeiter ist zu erkennen, dass die Fidesz-Mannschaft gewillt sein dürfte, auch den politischen Kurs der neu geschaffenen Organisation völlig neu zu gestalten.
Die "Fidesz" wurde vor 15 Jahren (noch in der kommunistischen Ära) von Jung-Akademikern, die ihr Post-Graduate-Studium an westlichen Hochschulen absolviert hatten, als liberales Debatten-Forum gegründet. Aus diesem Kreis entstand nach der Wende als ideologische Konkurrenz zur liberalen Bewegung des urbanen Bürgertums SzDSz (Bund der freien Demokraten) jene zum christlich-konservativen "Demokratischen Forum (MDF)" des großen Europäers József Antall radikal-oppositionell agierende Partei.
Antall hatte das politische Talent von Viktor Orbán erkannt und soll ihm kurz vor seinem Tod geraten haben, weg vom Liberalismus einen "europäischen Weg" zu suchen. Orbán scheint diesen "väterlichen" Rat befolgt zu haben und mauserte vom Radikalinski zu einem national und rational agierenden, sich von Rechts wie Links abgrenzenden erfolgreichen Regierungschef. Vor einem Jahr deutete alles darauf hin, dass es Orbán und den seinigen gelingen werde, Ungarn weiter als erste Kraft im Lande in die EU zu führen. Der Front-Mann der "Fidesz" strengte sich im Wahlkampf nicht mehr allzu sehr an und dies rächte sich. Orbán trachtete primär die führerlos gewordenen Wählerschichten des Koalitionspartners, der "Kleinlandwirte", für sich zu behalten und dem Ultranationalisten István Csurka die besonneneren Wähler abzuwerben. Beides gelang wohl, aber er verlor damit viel Sympathie beim städtischen Bürgertum, das der "arroganten Rotznase" die Gefolgschaft aufkündigte, womit für ihm der sicher scheinende Wahlsieg entglitt.
Die Ungarn sind im politischen Gedankengut ein vielschichtiges Volk und daher schwer in Parteien straff zu organisieren. Man muss ihnen Führerpersönlichkeiten mit zündenden Ideen bieten, denen sie dann zu folgen bereit sind. Oder Intellektuelle, die etwas bedeutendes geschaffen haben. Und Orbán und die seinigen hoffen jenen Mann gefunden zu haben, der im Stande sein könnte die Bürger (im Sinne von "Citoyen" und nicht "Bourgeois") dem "Bürger-Bündnis" als Gefolgschaft zu gewinnen: Zu seinem Stellvertreter wurde Fecht-Ex-Olympiasieger und -Weltmeister, Chef des Nationalen Olympischen Komitees und Ex-Botschafter in Madrid und Bern, Dr. Pál Schmitt gewählt - ein in allen Lagern und vor allem international hohes Ansehen genießender Mann, der in die neue "Bürger-Bewegung" sicher Bewegung wird bringen können.
Allerdings nicht der neuen politischen Sammelbewegung anschließen wird sich die bisherige urbane Schicht des Rechtslagers, Orbán's bisher verlässlichster und wertvollster Koalitionspartner, das "Demokratische Forum (MDF)".
Deren tüchtige und gewinnende Vorsitzende Dr. Ibolya Dávid wird dem neuen Konkurrenten Schmitt die ihr noch verbliebenen und treuen Wählerschichten sicher nicht kampflos überlassen. Womit in Budapest eine neue "Bewegung" im rechten Lager vorprogrammiert sein dürfte.