Tropenmediziner fordert mehr Aufklärung, vor allem bei Kindern.
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Wien. Es ist Sommer. Und der Österreicher bricht auf in fremde Länder. Auch den Österreicher mit Migrationshintergrund packt das Fernweh. Oder besser das Heimweh. Und das wiederum bedeutet im Herbst viel Arbeit für Herwig Kollaritsch. Er ist Facharzt für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin sowie Facharzt für Hygiene und Mikrobiologie und Leiter der Arbeitsgruppe Epidemiologie und Reisemedizin am Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin an der Medizinischen Universität Wien. Jeden Herbst eröffnet sich ihm das gleiche Bild: Infizierte Patienten, die sich vor Antritt ihrer Reise immun wähnten.
"Das Problem ist, dass Personen mit Migrationshintergrund gar nicht auf die Idee kommen, vor einer solchen Reise ’nach Hause’ medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen", sagt Kollaritsch. Für sie sei die Heimat kein exotisches Urlaubsland, mit allerlei potenziellen Krankheiten und Erregern, vor denen man sich schützen müsste, sondern schlichtweg ihr altes Zuhause, wo sie aufgewachsen sind. Impfen sei nur etwas für Touristen. Doch gibt Kollaritsch zu bedenken, dass man beispielsweise die Semi-Immunität gegen Malaria bereits nach einem halben Jahr Aufenthalt in Österreich verliert. Eine Infektionsimmunität sei nur durch eine ständig wiederkehrende Infektion möglich, die wiederum nur durch den ständigen Aufenthalt in einem Malariagebiet aufrechterhalten wird. Diese hält das Immunsystem auf einem bestimmten Level, der garantiert, dass die Person, die in diesem Gebiet lebt, nicht schwer krank wird. Lebt sie aber in Österreich, so ist die Infektionsimmunität nicht mehr gegeben.
Die vernachlässigte Impfung macht diese Personen somit zu einer Risikogruppe. Aufschlussreiche Untersuchungen dazu kommen aus Deutschland. "Vom Jahr 2000 bis 2010 haben sich dort die Malariafälle insgesamt halbiert, was die Importe anbetrifft", erklärt Kollaritsch, "und dasselbe Bild haben wir auch in Österreich, aber innerhalb der Fallzahl der Malaria ist der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund von 45 auf 70 Prozent gestiegen." Sein Fazit: Einheimische sorgen eher vor, als Migranten, wenn sie ins Ausland reisen.
Türkischstämmige Dänen, dänischstämmige Dänen
Auch andere Studien belegen Kollaritschs These. So haben dänische Wissenschafter verglichen, ob ein unterschiedlich hohes Risiko an Hepatitis A zu erkranken gegeben ist, wenn türkischstämmige Dänen und dänischstämmige Dänen in die Türkei fahren: "Die Differenz ist mit 600 zu 1 eindrucksvoll, und zwar zuungunsten der Personen mit Migrationshintergrund." Soll heißen: türkischstämmige Dänen haben ein weitaus höheres Risiko mit einer Hepatitis A Erkrankung nach Hause zu fahren, als ihre dänischstämmigen Reisekumpanen. In Österreich sieht es ähnlich aus.
Ein besonderes Risiko krank aus dem Urlaub zurückzukehren, haben laut Experten oft Kinder von Migranten. Denn im Gegensatz zu ihren Eltern waren sie jenen Krankheitserregern in der Heimat noch nie ausgesetzt. Während ihre Eltern sämtlichen Infektionen in ihrem Heimatsland unter Umständen durchgemacht haben und ihr Körper dadurch eine gewisse Immunität aufbauen können, sind ihre Kinder, die in Österreich geboren wurden, den Viren schutzlos ausgeliefert.
"Es gibt schon seit Jahrzehnten Daten aus Österreich, die zeigen, dass wir jedes Jahr im Frühherbst zu Beginn des Septembers bis etwa Ende November Kleinraum-Epidemien von Hepatitis A in Kindergärten und Volksschulen haben", erzählt Tropenmediziner Kollaritsch. Die Kinder würden in der Inkubationszeit der Krankheit aus den Ferien zurückkommen und in der Folge andere Kinder anstecken. Das gelte natürlich für alle Kinder, wenn sie nicht dagegen geimpft wurden.
"Ein weiteres Beispiel für spezielle Risikosituationen für Migranten sind jene Personen, die zu Pilgerreisen nach Mekka fahren", erklärt Kollaritsch. "Es ist nicht möglich ihnen zu vermitteln, dass impfen wichtig wäre. Das liegt vielleicht auch daran, dass sie von ihren Vertrauensleuten keinen Hinweis bekommen haben, dies zu tun." Auch von außen würden diese Leute kaum darüber informiert werden, sich vor einer Reise in das Heimatland entsprechend zu schützen.
"Hinzu kommt, dass Migranten im heimischen Gesundheitssystem oft benachteiligt sind und öfters mit sprachlichen Barrieren zu kämpfen haben", sagt Kollaritsch. Es wäre also äußerst wichtig, dass diesem Personenkreis mehr Beachtung geschenkt werde, appelliert er an die Regierung. "Die Politik hat es mittlerweile zur Kenntnis genommen, aber es kann nicht von heute auf morgen passieren, denn dies ist ein langsam wachsender Bewusstseinsbildungsprozess", meint er, "denn es geht nicht nur um Infektionen, sondern auch um ein Kommunikationsproblem."