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In der Stadt der deutschen Klassik besteht eine Bildungseinrichtung, die sich der Kunst im Allgemeinen und der Architektur im Besonderen verschrieben hat und seit Jahrzehnten den Idealen der Moderne treu geblieben ist.
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Überrascht rieben sich die Passanten vor dem renovierten Kiosk aus DDR-Zeiten die Augen: Das ganze Sortiment beschränkte sich auf verschiedenfarbige Regenschirme, von einem Verkäufer weit und breit keine Spur. Bald darauf löste eine Kollektion von Strümpfen die Schirme ab, dann folgten Kleidungsstücke. Des Rätsels Lösung war noch nicht gefunden, da vernahmen die Benützer einer unterirdischen Passage in Weimar einige Wochen später plötzlich eine monotone Geisterstimme. Wer genau hinhörte, erhielt allerdings nur Einblick in den wöchentlichen Speisenplan einer studentischen Mensa. Da die rund 60.000 Einwohner zählende Stadt nur eine Universität besitzt, sprach sich schnell herum, wer hinter der für das klassische Weimar etwas ungewöhnlichen Aktionskunst stand: Es waren Studierende des Masterstudienganges "Kunst im öffentlichen Raum", den die dortige Bauhaus-Universität anbietet. Ihr Kurs ist Bestandteil des Studienprogrammes an der Fakultät Gestaltung, eine der vier Fakultäten der 1996 gegründeten Hochschule.
Mit knapp 5.000 Studierenden, wovon etwa die Hälfte aus anderen Bundesländern stammt, zählt die Weimarer Universität zu den kleineren Hochschulen; dafür ist sie die einzige Bildungsstätte, die sich durch ihre Namensgebung direkt auf die Architektur- und Kunstschulen der Stadt bezieht. Und die haben bekanntlich Leistungen von Weltrang hervorgebracht: Dank Architektur- und Kunsterbe aus dem klassischen Zeitalter und aus der Bauhaus-Epoche hat die Unesco der thüringischen Stadt gleich zwei Plätze auf der Welterbeliste eingeräumt.
Nach der Goldenen Epoche der Klassik und dem nachfolgenden "Silbernen Zeitalter" hatte der kunstsinnige Großherzog Carl Alexander 1860 zunächst die Weimarer Kunstschule begründet, 1902 wurde zur Förderung des Kunsthandwerks in Thüringen die Kunstgewerbeschule unter Henry van de Velde eingerichtet. Walter Gropius schließlich schuf 1919 aus beiden Schulen das Bauhaus, das in der Folgezeit nach einem neuen Ansatz zur Vereinigung sämtlicher gestalterischer Disziplinen suchte und der Moderne zum Durchbruch verhalf.
Ursprünglich Teil der Bauhausbewegung, hatte sich der Vorläufer der heutigen Universität, die traditionell ausgerichtete Hochschule für bildende Künste, schon 1921 vom Bauhaus gelöst. Während die Bauhaus-Leitung - aus politischen Gründen - zunächst nach Dessau, dann nach Berlin auswich, blieb die Hochschule Weimar treu. Seit 1926 bot die Bildungsstätte, die den Idealen der Moderne verbunden blieb, erstmals eine reguläre Architektenausbildung an. Bis nach der Wende wurde der Name viermal geändert, während der DDR-Zeit stand Architektur und Bauwesen im Vordergrund.
Kunst und Technik
Seit 1990 firmierte die Einrichtung als "Hochschule für Architektur und Bauwesen", deren Fakultäten eine neue Struktur erhielten. Drei Jahre darauf nahm die neue Fakultät Gestaltung den Lehrbetrieb auf, nach der Namensänderung in Bauhaus-Universität Weimar kam die Fakultät Medien hinzu. Damit wurde der Kerngedanke des Bauhausgründers Walter Gropius von der "Einheit von Kunst und Technik" in die Tat umgesetzt: "Nicht Kunst oder Technik, sondern Kunst und Technik ist das Ziel der Ausbildung", umschreibt Öffentlichkeitsreferentin Manuela Schulz den Auftrag der Universität.
Mit diesem Konzept hebe sich die Bauhaus-Universität von den herkömmlichen Ingenieur- und Kunsthochschulen ab. Nicht die "vordergründige Bewahrung des Bauhaus-Erbes" bezeichnet sie als Priorität der Universität, sondern "die aktive Teilnahme an aktuellen Entwicklungen."
Getreu dem Bauhaus-Prinzip der durchlässigen Grenzen zwischen den Fakultäten sind interdisziplinäre Studentengruppen tragendes Element des Lehr- und Lernbetriebs. Besonders deutlich wird das in der Fakultät Medien: Außer künstlerisch-gestalterischer Kompetenzen und kulturwissenschaftlicher Medienanalyse sollen dort technologiebezogene Medienkompetenzen vermittelt werden. Ein erstes Ergebnis in Form einer "Cubic mouse" konnte die Fakultät bereits vorweisen: Mit dieser Erfindung des ersten Professors für Virtuelle Realität, Bernd Fröhlich, lässt sich nach Experteneinschätzung der Umgang mit virtuellen Welten vereinfachen. Bisher nötige Hilfsmittel wie Datenhandschuh und Zeigestift werden überflüssig.
Und die Experimentierfreude hält ungebrochen an: Gegenwärtig arbeitet Fröhlich, zu dessen Lehrstuhl der Studiengang Mediensysteme gehört, mit seinen Studenten an der "virtuellen Vitrine" für Museen und Ausstellungen. Sie erlaubt bei der Präsentation nicht vollständig erhaltener Gegenstände, fehlenden Teile virtuell zu ergänzen.
Freie Kunst, Produktdesign und Visuelle Kommunikation bilden das Angebot der Fakultät Gestaltung. Seit 2002 beschäftigen sich Studierende im postgradualen Masterstudiengang "Kunst im öffentlichen Raum und neue künstlerische Strategien" mit der Frage, wie Kunstprojekte in der Öffentlichkeit konzipiert und umgesetzt werden können.
Nicht nur im Verhältnis zueinander fühlen sich die Fakultäten den Prinzipien der Offenheit und Durchlässigkeit verpflichtet, auch zur Wirtschaft hat man einen guten Draht: So wirbt die Fakultät Bauingenieurwesen mittlerweile 25 Prozent ihrer Drittmittel aus der Industrie ein. Um das Ausbildungs- und Forschungsprofil dieser Fakultät zu erweitern, wurden die Studiengänge Management (Bau, Immobilien und Infrastruktur) sowie "Infrastruktur und Umwelt" neu hinzugenommen.
Weltweite Kontakte
Aushängeschild der Architektur-Fakultät, an der die meisten Studierenden eingeschrieben sind, ist der in Deutschland einzigartige Masterstudiengang "Europäische Urbanistik". Dazu entstand ein eigenes Institut, das Kursteilnehmern zu Praktikumsplätzen im Ausland verhilft.
Heuer beginnt zudem der Studienaustausch zwischen der Bauhaus-Universität und der Shanghaier Tongij-University. Etwa ein Dutzend Studierende aus Weimar und Shanghai werden den Studienort wechseln und mit einem deutsch-chinesischen Doppeldiplom ihr Studium abschließen können. Dieses Angebot wurde inzwischen auch auf die Medienfakultät ausgeweitet, mit der Université Lumière (Lyon II) haben die Weimarer bereits 1998 gemeinsame Studiengänge und Abschlüsse vereinbart. Durch diese Doppelabschlüsse und die Einführung von Bachelor- sowie Masterstudiengängen, so hofft Manuela Schulz, "wird die Bauhaus-Universität der internationalen Nachfrage gerecht." Um die Hochschule über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt zu machen, findet im Sommer eine Europäische Sommerakademie statt.
Als staatliche Universität legt die Bildungsstätte, die 80 Lehrstuhlinhaber und Gastdozenten beschäftigt Wert darauf, Bewerber für Studiengänge, die Eingangsprüfungen unterliegen, zunächst zu einem persönlichen Gespräch einzuladen: "Es geht darum, unmissverständlich abzuklären, was man voneinander erwartet", fügt sie hinzu.
Wer den Zuschlag erhält, findet in der vorbildlich renovierten Stadt, die Madame de Staël im 18. Jahrhundert begeistert als "ein einziges Schloss" bezeichnet hatte, problemlos günstigen Wohnraum.
Bauhaus-Universität Weimar
Geschwister-Scholl-Straße 8
D-99421 Weimar
www.uni-weimar.de