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Stadtlärm zwingt Kohlmeisen zu lauteren und höheren Tönen. | Nachtigallen trällern an Wochenenden leiser. | Marne. Singvogel-Männchen haben's nicht leicht. Nicht nur müssen sie sich eine Menge einfallen lassen und sich mächtig ins Zeug legen, wenn sie mit ihren Gesangeskünsten begehrte Weibchen anlocken und beeindrucken und männliche Rivalen einschüchtern und in die Schranken weisen wollen. Leben sie in einer Großstadt, müssen sie außerdem damit rechnen, dass der Verkehrslärm immer wieder derart anschwillt, dass ihr Gezwitscher untergeht.
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#Höhere Frequenzen nötig
Die verschiedenen Singvogelarten haben jedoch schnell erkannt, was sie unternehmen müssen, um das zu verhindern. So hat sich vor einiger Zeit herausgestellt, dass Kohlmeisen gegen zu laute Straßengeräusche anzusingen versuchen, indem sie sich auf höhere Frequenzen umstellen.
Eine andere Strategie wenden die Nachtigallen an. Vor kurzem hat der Berliner Biologe Hendrick Brumm herausgefunden, dass sie sich manchmal in regelrechte Schreihälse verwandeln. So zwitschern sie in unmittelbarer Nähe von stark befahrenen Straßen um bis zu 14 Dezibel lauter als ihre Artgenossen in ruhigeren Gegenden. Doch die Nachtigallen verschwenden keine Energie. Wenn der Lärmpegel an Wochenenden ziemlich niedrig geworden ist, trällern sie erheblich leiser.
Aber nicht genug damit. Bei den Rotkehlchen sind Wissenschafter der Universität Sheffield kürzlich auf eine weitere Strategie gestoßen. Rotkehlchen sind alles andere als Nachtschwärmer, und deswegen haben sie für Serenaden nicht viel übrig. Doch immer dann, wenn sie sich tagsüber gegen den Verkehrslärm nicht durchsetzen können, verwandeln sie sich gezwungenermaßen in Schichtarbeiter und holen das Singen in den Abend- und Nachtstunden nach. Aber die Männchen haben noch nicht viel damit gewonnen, wenn sie so singen, dass sie gut zu hören sind.
Was von ihnen erwartet wird, sind in erster Linie technisch anspruchsvolle Gesangesleistungen. Denn die Weibchen glauben, dass diejenigen mit den besten Genen ausgerüstet sind, die am virtuosesten singen können.
Doch außer Virtuosität gibt es noch etwas, was die Vogelwelt von ehrgeizigen Sängern erwartet: Sie sollen gefälligst nur die allerneuesten Songs präsentieren, nicht irgendwelche Oldies. Zu dieser Erkenntnis ist unlängst die nordamerikanische Biologin Elizabeth Derryberry (Duke University in Durham) gelangt. Derryberry hat für ihre Experimente 28 und vier Jahre alte Aufnahmen von Dachsammer-Gesängen verwendet. Als sie diese Aufnahmen heute lebenden männlichen und weiblichen Dachsammern vorspielte, zeigte sich ein erstaunlicher Unterschied.
Alte Melodien langweilig
Auf die Jahrzehnte alten Melodien reagierten die Weibchen ebenso gelangweilt und träge wie die Männchen. Die ziemlich neuen Songs hingegen versetzten die Vögel in helle Aufregung. Die Männchen empfanden das Gezwitscher als derart bedrohlich, dass sie sofort anfingen, ihr Territorium äußerst aggressiv zu verteidigen. Und die Weibchen waren von den Gesängen derart entzückt, dass ihre Paarungsbereitschaft sprunghaft stieg.
Warum die einen Songs die Vögel kalt lassen und die anderen sie beeindrucken, ist nicht leicht zu erklären - denn außer durch ihr etwas langsameres Tempo und die geringere Zahl hoher Töne unterscheiden sich die modernen Versionen nicht von den antiquierten. "Uns", erklärt Elizabeth Derryberry, "ist schleierhaft, was in ihren Köpfen vor sich geht. Aber offenbar haben die Weibchen und Männchen das Gefühl, dass mit den alten Gesängen irgendetwas nicht in Ordnung ist oder dass sie nicht richtig vorgetragen werden." Vermutlich glauben die Vögel, es mit einem fremden Dialekt zu tun zu haben, wenn sie solch schräge Töne hören. Doch um Artgenossen, die einen merkwürdigen Akzent haben, machen sie einen weiten Bogen.
Fremde Dialekte sind eine Sache, fremde Sprachen eine ganz andere. Einige Vogelweibchen finden nämlich die Männchen am attraktivsten, die die Nachahmung artfremder Gesänge virtuos beherrschen. Zu diesen Virtuosen gehört zweifellos der in Australien und Neuguinea heimische Seidenlaubenvogel.
Die Männchen dieser Art sind dafür berühmt, dass sie prachtvolle Lauben errichten und sie mit allem dekorieren, was intensiv blau glänzt. Doch die Männchen begnügen sich nicht damit, jede Menge Zeit und Energie in den Bau ihrer Lauben zu investieren. Sie führen außerdem ziemlich wilde und verwegene Tänze auf. Und nicht zuletzt trällern sie unablässig Lieder, die sie bei Vögeln anderer Arten abgekupfert haben.
Imitatoren gefragt
Was es damit auf sich hat, hat der Biologe Seth Coleman (Texas A&M Universität) erforscht. Coleman konfrontierte Weibchen des Seidenlaubenvogels mit nicht weniger als 123 Balzgesängen von 29 Männchen. Das Ergebnis war eindeutig: Die Männchen, die über das umfangreichste Repertoire artfremder Gesänge verfügten und sie am besten imitieren konnten, hatten die meisten weiblichen Verehrer. Doch warum betätigen sich die Männchen nicht nur als Sänger, sondern noch dazu als Laubenbauer und Tänzer? "Weil sie genau wissen, dass sich die jungen Weibchen nicht an denselben Eigenschaften orientieren wie die älteren," erklärt Coleman. Die jungen, unerfahrenen Weibchen achten in erster Linie auf die Zahl der blauen Ornamente und empfinden die Tänze noch lange als beängstigend.
Die gewitzten älteren Weibchen setzen auf die Gesangesakrobaten. Denn, schlussfolgern sie, wer Lieder in fremden Sprachen trällern kann, der verfügt nicht nur über viel versprechende Erbanlagen, sondern auch ein sehr gutes generelles Lernvermögen.
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