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Visafreiheit für Balkan in Gefahr

Von WZ-Korrespondent Wolfgang Tucek

Europaarchiv

Belgien ortet Missbrauch der Reisefreiheit. | Formelle Verwarnung für Serbien, Mazedonien. | Österreich von Asylanträgen kaum betroffen. | Brüssel. Die Aufhebung der Visapflicht für die Länder des Westbalkan - mit Ausnahme des Kosovo - wurde von Erweiterungskommissar Stefan Füle und Innenkommissarin Cecilia Malmström noch letzten Herbst als "historisch" und "greifbarer Fortschritt in Richtung EU" für die Bürger der Region bejubelt. Anlass war die Visaliberalisierung für Bosnien-Herzegowina und Albanien Mitte Dezember. Schon ein Jahr zuvor waren Serbien, Mazedonien und Montenegro in diesen Genuss gekommen.


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Demnächst könnte der Zauber allerdings zumindest vorübergehend wieder der Vergangenheit angehören. Denn "Tausende missbrauchen die Visaliberalisierung, und das ist ein Problem", sagte ein hochrangiger Diplomat im Vorfeld des heute, Donnerstag, stattfindenden Sondertreffens der EU-Innenminister zur Migration.

Und so feilen Malmström und die Mitgliedstaaten hinter den Kulissen bereits an einer Änderung des Schengen-Visakodex, welche die vereinfachte Wiedereinführung der Visapflicht auf Zeit ermöglichen soll. Konkret werde ein Kriterienkatalog ausgearbeitet, hieß es in EU-Kreisen. Tritt einer der darin vermerkten Anlassfälle ein, könne das betroffene EU-Land die Aufhebung der Visafreiheit für "einige Monate" auf den Weg bringen. Ganz oben auf der Liste stehe der Missbrauch der Reisefreiheit für aussichtslose Asylanträge, um Sozialleistungen im Gastland zu kassieren.

Mehrheit für Änderung bei Visa in Sicht

Vor allem Belgien leidet offenbar unter einem anhaltenden Andrang serbischer Staatsbürger, die fast ausschließlich zur Minderheit der Roma gehören sollen. Experten berichten von 50 einschlägigen Asylanträgen pro Tag. Laut Angaben von Eurostat wurden 17.700 der 257.000 Asylanträge in der EU im Vorjahr mit serbischen Pässen beantragt. Bereits letzten Herbst hätten sich Frankreich und die Niederlande formell über "falsche Asylwerber" aus Serbien und Mazedonien beschwert, hieß es in Kommissionskreisen. Auch Deutschland und Schweden seien zeitweise massiv betroffen; Österreich sei es dagegen kaum.

Diplomaten schätzen, dass es bereits eine solide Mehrheit für die Änderung des Visakodex gibt, deren Veröffentlichung durch Malmström noch für Mai erwartet werde. Es handle sich schließlich um eine Art Gesetzeslücke, weil Abkommen mit Nicht-EU-Ländern ansonsten auch Ausstiegsklauseln für Notfälle und Verstöße beinhalteten.

Vor der Einführung der neuen Klausel muss allerdings auch das Europäische Parlament zustimmen, das dem Ansinnen kritischer gegenüberstehen dürfte. Schließlich soll die Entscheidung über die vorübergehende Aussetzung der Visafreiheit künftig auf Antrag eines betroffenen EU-Landes möglichst nur von den Mitgliedstaaten gefällt werden.

Und um es gar nicht so weit kommen zu lassen, hat Innenkommissarin Cecilia Malmström Serbien und Mazedonien bereits formell verwarnt. Der "alarmierende Anstieg" bei Anträgen von Asylwerbern aus den beiden Ländern seit der Aufhebung der Visapflicht sei "extrem beunruhigend" und "könnte den gesamten Prozess der Visaliberalisierung am Westbalkan ernsthaft gefährden", schrieb sie den zwei Innenministern. Sie erwarte "unverzüglich" adäquate Gegenmaßnahmen.

Die Bürger der Länder müssten dringend über ihre Verantwortung im Zusammenhang mit der Visafreiheit informiert werden. "Einige Tausend schaffen ein Problem für Millionen von Menschen", ärgerte sich ein Diplomat.