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Visafreiheit nur als Perspektive

Von Martyna Czarnowska, St. Petersburg

Europaarchiv

An einem "Europa ohne Trennlinien" will die Europäische Union gemeinsam mit Russland arbeiten. Beim Gipfeltreffen in St. Petersburg, zu dem Präsident Wladimir Putin am Wochenende über 40 Staats- und Regierungschefs geladen hatte, einigten sich die Gesprächspartner grundsätzlich darauf, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu schaffen. Verbessert werden soll auch die Zusammenarbeit im Bereich Inneres und Justiz. Auf die Abschaffung der Visumpflicht für russische StaatsbürgerInnen muss Moskau allerdings noch warten.


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Alle Flaggen und damit Gäste aus aller Welt wollte Zar Peter der Große laut Alexander Puschkin in St. Petersburg sehen. Dreihundert Jahre nach Gründung der Stadt hatte Wladimir Putin, Präsident der Russischen Föderation, einen ähnlichen Wunsch. Über 40 Staats- und Regierungschefs hatte er nach St. Petersburg geladen. Und sie folgten seinem Ruf. Die jetzigen und künftigen EU-Staaten - letztere wurden allerdings erst auf ausdrücklichen Wunsch der EU eingeladen -, die GUS, Kanada, Japan, China, Indien und die USA waren durch ihre SpitzenrepräsentantInnen vertreten. Das sichtbare Zeichen des Vertrauens in und der Anerkennung für Russland und Putin wird diesem wohl auch mehr wert sein als der Propagandazweck, den das Großereignis für die anstehenden Parlaments- und Präsidentenwahlen erfüllen sollte. Auch galt es St. Petersburg zu präsentieren, die herausgeputzte, um 1,5 Milliarden Dollar renovierte und den Vergleich mit potemkinschen Dörfern hervorrufende Heimatstadt des Präsidenten. All das dürfte Putin jedenfalls mehr bedeuten als die Ergebnisse des Russland-EU-Gipfels vergangenen Samstag.

Dabei haben sich die Union und Russland ein hehres Ziel gesetzt: Nach der Osterweiterung wollen sie ein "Europa ohne Trennlinien" schaffen. Grundsätzlich hätten sie sich auf die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraums geeinigt, berichtete Bundeskanzler Wolfgang Schüssel.

Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg, auch wenn seit Jahren bereits ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen besteht. Doch Strafzölle, Investitionshemmnisse, Dumpingpreise und rechtliche Unsicherheit verhindern eine derart enge Zusammenarbeit mit der EU, wie Moskau sie sich wünscht. Um die Beziehungen aufzuwerten, ist aber die Einrichtung eines ständigen Partnerschaftsrates geplant. Die neuen EU-Mitglieder sollten nicht automatisch darin aufgenommen werden, erklärte Putin - und beanspruchte damit eine Art Vetorecht. Er betonte aber gleichzeitig: "Die Erweiterung soll Russlands Beziehungen zu Europa stärken und nicht schwächen."

Im Schlusskommunique war nicht nur die Ratifizierung des Kyoto-Klimaschutzprotokolls aufgenommen sondern auch der Tschetschenien-Konflikt erwähnt. Bei dessen Beilegung und der Einhaltung der Menschenrechte könnten demnach internationale Organisationen "in enger Zusammenarbeit mit den russischen Behörden einen erheblichen Beitrag leisten". Ursprünglich wollte Moskau eine Erwähnung Tschetscheniens verhindern.

Gedrängt hatte Russland hingegen auf die Festlegung der Visafreiheit. Seit langem fordert Moskau Reiseerleichterungen für RussInnen, ebenso wie es die Einführung der Visumpflicht für Reisen nach Polen - geplant mit 1. Juli - verzögern möchte. Hinzu kommt die Visumpflicht für hunderttausende russische StaatsbürgerInnen, die zwar bald in der EU leben, doch ein Visum für Reisen innerhalb der EU brauchen werden: Allein in Estland betrifft dies an die 100.000 Menschen.

Den Wegfall des Reisevisums wird es jedoch im Jahr 2007, wie von Moskau gewünscht, wohl nicht geben. Er sei aber "als langfristige Perspektive" zu prüfen. Zu besorgt ist die EU über illegale Einwanderung und Drogenschmuggel. "Wir sollten nicht nur an der Visafrage arbeiten, sondern auch über die Kriminalität und die Grenzkontrollen sprechen", meinte EU-Kommissionspräsident Romano Prodi.

So gern Russland die Grenzen für seine BürgerInnen öffnen würde, so hermetisch abgeriegelt war der Ort des Gipfeltreffens. Der Plan, JournalistInnen im Hotel samt Pressezentrum unter Hausarrest zu stellen, ging dennoch nicht auf. Doch wie die meisten EinwohnerInnen St. Petersburgs hatten sie keinen Zutritt zu einem Großteil der Altstadt, während Putin seinen Gästen Konzerte, Besichtigungen und Festessen bot. "Das Volk steht hüben, und die Musik spielt drüben", sagte eine Frau. Zusammen mit anderen drängte sie sich am Ufer der Newa, um einen Blick auf die Schiffsparade zum Stadtjubiläum zu erhaschen.