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Vision eines "Weltgerichts" nimmt langsam Gestalt an

Von Ines Scholz

Politik

Am 31. 12. 2000 ist die Frist zur Unterzeichnung des Statuts für den Internationalen Strafgerichtshof (ICC; International Crime Court) abgelaufen. Seit dem 1. Jänner 2001 ist ein Beitritt nur noch durch Hinterlegung der Ratifikationsurkunde beim Generalsekretariat der Vereinten Nationen in New York möglich. In sprichwörtlich letzter Minute setzten die Vereinigten Staaten am letzten Jahrestag ihre Unterschrift unter den Rahmenvertrag. Österreich hatte diesen Schritt bereits 1998 vollzogen und das Statut auch ratifiziert. Die Errichtung eines ständigen und unabhängigen Welt-Tribunals, unter dessen Agenda neben Kriegverbrechen auch die Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, des Völkermords und der "Verbrechen der Aggression" gehören, gilt gemeinhin als eines der ehrgeizigsten UN-Projekte seit der Gründung 1945.


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Doch noch ist es nicht soweit: Die Installierung des Gerichtshofs in Den Haag erfolgt erst, wenn 60 Länder das im Juli 1998 in Rom von 120 Ländern angenommene Statut ratifiziert haben; bis zum heutigen Tag sind es 27.

Die Menschenrechtsorganisation Human Right Watch ist zuversichtlich, dass bereits 2002 die Richter in Den Haag ihre Arbeit aufnehmen können. Amnesty international ist da schon vorsichtiger: "Ein Datum zu nennen, trauen wir uns nicht. Wir machen aber weiterhin Druck auf die Regierungen", erklärt Angelika Rädler von der Österreich-Sektion gegenüber der "Wiener Zeitung". Tatsächlich gibt es gegen einige Punkte des 128 Artikel umfassenden Vertragswerks, die noch im Detail auszuverhandeln sind, beträchtliche Vorbehalte - auch von Ländern, die den Rahmenvertrag unterzeichnet haben. An vorderster Front stehen dabei die USA.

Ihre Unterschrift gaben bisher 139 Nationen, darunter alle Länder der EU. Diese hatte sich seit Beginn für die Errichtung des ICC stark gemacht und ihren gemeinsamen Willen bekundet, dessen Statut bis Ende 2000 zu ratifizieren. Bisher folgten dem Vorsatz aber erst acht Unionsmitglieder.

Libyen, der Irak, China, Russland und Burma lehnten bisher eine Unterzeichnung ab.

Im Unterschied zu den UNO-Kriegsverbrechertribunalen für Ex-Jugoslawien und Ruanda wird das künftige Gericht permanent arbeiten. Seine 18 Richter werden von den Vertragspartnern, also den Ländern, die den Vertrag ratifiziert haben, auf neun Jahre gewählt. Zudem gibt es einen Chefankläger.

Grundsätzlich unterliegen der Jurisdiktion nur diejenigen Staaten, die das Statut ratifiziert haben. Allerdings gibt es einige Verschärfungen bei den Anwendbarkeits-Bestimmungen: So kann, wie Gerhard Hafner, Professor für Völkerrecht am Juridikum in Wien, erläutert, auch ein Angehöriger eines Nicht-Vertragslandes belangt werden - nämlich dann, wenn er das Verbrechen in einem Land begeht, das das Statut ratifiziert hat. Umgekehrt werden Staatsangehörige eines Vertragspartners auch zur Rechenschaft gezogen, wenn die Tat in einem Land geschieht, das nicht ratifiziert hat.

Die Staatengemeinschaft hat potentiellen Menschenrechtsbrechern noch eine weitere Rute ins Fenster gestellt: "Die Zuständigkeit des Internationalen Gerichthofs ist in jedem Fall dann gegeben, wenn der UN-Sicherheitsrat diesen mit einer Causa befasst", führt Irene Gartner vom Justizministerium gegenüber der "Wiener Zeitung" aus.

Neben dem Sicherheitsrat kann auch ein Vertragsstaat dem Gericht einen Fall übertragen. Darüber hinaus kann das Tribunal auch selbstständig tätig werden. Russland, China und die USA hatten dies vehement bekämpft, sich aber in Rom nicht durchgesetzt. Moskau und Peking haben das Statut daher erst gar nicht unterzeichnet.

Generell darf der ICC aber erst dann aktiv werden, wenn ein Staat "nicht willens oder nicht imstande" ist, Kriegsverbrechen und gravierende Verstöße gegen die Menschlichkeit selbst zu verfolgen. Ersteres gilt, wenn ein Land sich weigert, etwa gegen einen ehemaligen Staatschef vorzugehen, wie in Chile im Fall des Ex-Diktators Augusto Pinochet. "Nicht imstande" meint hingegen, dass in Folge eines Krieges oder Bürgerkrieges notwendige Institutionen fehlen.

Pinochet hätte allerdings, auch wenn das Statut des Internationale Strafgericht bereits in Kraft wäre, nichts zu befürchten: Verbrechen, die vor dem 17. Juli 1998, der Annahme des Statuts, begangen wurden, können nicht mehr geahndet werden. Dies hatten die Regierungen in Rom trotz heftigen Widerstands von Menschenrechtsorganisationen festgeschrieben, ebenso die Gewährung eines siebenjährigen Aufschubs, ab dem die Gerichtsbarkeit von Kriegsverbrechen gilt. Frankreich hatte sich vor seiner Zustimmung in Rom diese Klausel ausbedungen.

Alle übrigen Verpflichtungen, die ein Land mit Hinterlegung der Ratifikationsurkunde im UN-Generalsekretariat in New York eingegangen ist - etwa die Auslieferung von Angeklagten nach Den Haag, gelten, sobald das Statut in Kraft ist.

Die Albträume der USA

Die Vereinigten Staaten machen aus ihrer Ablehnung gegen die Etablierung des Internationalen Strafgerichtshofs keinen Hehl und waren bereits 1998 in Rom (in Koalition mit sechs weiteren Staaaten, unter ihnen Russland, Indien, Israel und China) vehement dagegen, nachdem sie mit zahlreichen Vorschlägen zur Kompetenzbeschneidung gescheitert waren. Unter anderem hatte die Clinton-Administration die Bedingung gestellt, dass vor dem Tribunal ohne ausdrückliche Zustimmung Washingtons keine US-Bürger zur Rechenschaft gezogen werden können. Jesse Helms, Vorsitzender des von den Konservativen dominierten außenpolitischen Senatsausschusses und einer der eifrigsten Wortführer gegen den ICC, spricht von einem "Känguru-Gerichtshof".

Bei der Formulierung des Strafbestandes der "Aggression", um die die Vorbereitungskommission (PrepCom) ringt, laufen US-Politiker ebenfalls Sturm. Vor allem Republikaner wittern Gefahr, dass Auslandseinsätze von US-Soldaten künftig aus politischer Opportunität als Angriffskriege gegeißelt werden könnten.

Die PrepCom, in der alle UN-Mitgliedsländer und Menschenrechtsorganisationen vertreten sind, wird sich ab Ende Februar neuerlich mit dieser Streitfrage befassen. "Die Aggressionsdefinition ist tatsächlich der Kernpunkt" bei den "gravierenden politischen Auseinandersetzungen", meint Hafner, der für Österreich an der Definition der Strafbestände selbst mitgefeilt hatte.

Die übrigen Ergängzungsbestimmungen zum Rahmen-Statut, mit der die Kommission befasst wurde, wie etwa die Beweis- und Verfahrensordnung des künftigen Strafgerichts und die Finanzgebahrung, seien weitgehend ausverhandelt.

Sie werden anschließend in der Versammlung erörtert und von den Vertragspartnern abgesegnet. Zugang hat zu diesem Gremium im Gegensatz zur PrepCom nur, wer das Statut bereits unterzeichnet hat. Darin liegt wohl auch der Hauptgrund, warum sich Washington in letzter Minute doch noch entschloss, seine Unterschrift unter das Dokument zu setzen - ohne dass eine Ratifizierung mittelfristig in Frage käme: George W. Bush hat bereits angekündigt, den Rahmenvertrag nicht an den Senat weiterzuleiten, solange nicht grobe Bedenken Washingtons ausgeräumt sind. Eine moralische Verpflichtung ist aber auch bereits durch die Unterschrift seines Vorgängers Bill Clinton gegeben: Nach völkerrechtlichen Gepflogenheiten ist ein Staat nach der Unterzeichnung eines internationalen Vertrages angehalten, dem Geist desselben nicht zuwider zu handeln. "Ein bösartiges Abschiedsgeschenk des scheidenden Bill Clinton", witzeln US-Strategen.