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Vision statt Mutlosigkeit

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Die koalitionäre Klimakrise rund um das Klima vertieft sich.


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Der Klimawandel ist in eine neue, katastrophale Phase eingetreten, und von Grönland bis Griechenland sind die Folgen in Europa unübersehbar.

Und in Wien? Da vertieft sich die koalitionäre Klimakrise rund um das Klima: Nach der umstrittenen Aussage von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Klimaschutz sollte "kein Weg zurück in die Steinzeit sein", hat sich nun ÖVP-Staatssekretär Magnus Brunner zu Wort gemeldet: Er will, dass Anträge für Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) rascher durchgewunken werden, und kritisiert erneut, dass Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) Straßenbauprojekte evaluieren will.

Die koalitionäre Klimakrise ist auch ein Positionierungsschaukampf, der es beiden Seiten ermöglicht, ihre Parteiprofile zu schärfen: Die ÖVP will sich in der Frage als "vernünftige" Partei präsentieren, die den Bürgerinnen und Bürgern keine Unannehmlichkeiten durch den Umweltschutz zumuten will. Neue Technologien sollen das Klima retten, Verzicht ist aus ÖVP-Sicht nicht nötig. Die Grünen wiederum zeigen sich als "realistische" Partei, die schon heute erklärt, dass es morgen nicht ohne einen tiefgreifenden Systemwechsel gehen werde.

Das Problem der ÖVP: Der türkise Kanzler wird in der Frage als jemand wahrgenommen, der nur klar formuliert, was er alles nicht will. Das ist freilich die falsche Frage, die richtige lautet: Was will Kanzler Kurz?

Zumindest in der Klimafrage wirkt er, als würde er eine österreichische Tradition fortschreiben: Denn schon der im April viel zu früh verstorbene Philosoph Rudolf Burger - oder war es doch einst Kanzler Franz Vranitzky? - soll gesagt haben: "Wer Visionen hat, braucht einen Arzt."

Dabei wären Visionen billig zu haben: Wichtige Sektoren der österreichischen Industrie setzen auf Nachhaltigkeit, viele Konsumenten verfügen über ein erstaunliches Öko-Bewusstsein. Es sollte also gar nicht so schwierig sein, das Land auf ehrgeizige Klimaziele einzuschwören: Der Stromerzeuger Verbund (mit einem im Europavergleich sehr hohen Erneuerbaren-Anteil) hat im Chartvergleich den Öl- und Gaskonzern OMV längst hinter sich gelassen, Österreich gehört bei Eisenbahntechnologie und Wasserkrafttechnologie, aber auch bei Nischen wie der Kunstfaserherstellung aus nachwachsenden Rohstoffen zu den bedeutenden Playern.

Die Welt steuert auf ein neues Energieregime zu: Nach Kohle und Kohlenwasserstoffen steht Elektrizität im Zentrum des Energiesystems der Zukunft. Jene Länder und Blöcke, die sich am raschesten an dieses neue Energieregime anpassen und sparsamer mit Ressourcen umgehen, werden auch wirtschaftlich am erfolgreichsten sein. Da sind Visionen gefragt.