Gedanken zum zehnjährigen Bestehen der Pädagogischen Hochschulen in Österreich.
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"Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen." - Diese (nach eigenen Angaben nicht ganz ernst gemeinte) Empfehlung des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt sollte wohl lieber nicht die Überlegungen der österreichischen Bildungspolitik leiten, wenn es um die Entwicklung des jungen Sektors der Pädagogischen Hochschulen (PH) geht. Immerhin haben diese im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens unter teils schwierigen Bedingungen bereits beachtliche Erfolge zu verzeichnen, was am Beginn des neuen Studienjahres zu Recht im Rahmen zahlreicher Festakte gewürdigt wird.
Dabei böte sich auch eine günstige Gelegenheit, von ministerieller Seite eine zugkräftige Vision für die Zukunft dieses Hochschulsektors zu präsentieren und so das Feld der Pädagogischen Hochschulen als zentrale Institutionen der Aus- und Weiterbildung von Lehrern sowie der Beratung von Schulen und Schulleitungen nicht der Konkurrenz zu überlassen - zumal es den Anschein hat, als würden das Wissenschaftsministerium und einige Universitäten auf ihre Chance zur (mehr oder weniger freundlichen) Übernahme warten.
Damit ließe sich auch wirksam jener Kritik begegnen, dass eher das Gegenteil der Fall sei, weil Visionen im Umfeld des Ministeriums (und mitunter an den Hochschulen selbst) nicht selten als Problem statt als Potenzial für die zukunftstaugliche Weiterentwicklung des Sektors gelten - ein Vorwurf, der durch das hohe Maß an Selbstreferenzialität im politisch-pädagogischen Komplex nicht gerade entkräftet wird: Fragen der Hochschulentwicklung sind hier Gegenstand einer vorrangig politischen und/oder pädagogischen Perspektive, obwohl diese der Komplexität systemischer Steuerung nur begrenzt gerecht wird (Stichwort "Governance").
Zudem richtet sich der Blick auf der Suche nach Vorbildern (Stichwort "Tertiärisierung") in stark eingeschränkter Weise auf das klassische Modell der Universität - was zwar naheliegend und angesichts politischer Setzungen im Rahmen der neuen Lehramtsausbildung nachvollziehbar ist, als Selbstbeschränkung aber nicht unbedingt die Entwicklung eines innovativen Hochschulmodells jenseits des Bestehenden (wie etwa der Fachhochschulen vor längerer Zeit) fördert.
Wünschenswert wäre demgegenüber zunächst einmal die Entdeckung der Kraft visionären Denkens, ausgehend von einem zugkräftigen Zukunftsbild, und gleichzeitig die Entmystifizierung des verklärten Bildes von Universitäten (das nicht selten auf Erfahrungen der Vergangenheit beruht und daher einer Prüfung auf Validität und insbesondere Viabilität bedürfte). Anschließend wäre die Entwicklung eines System- und vor allem auch eines Steuerungsmodells möglich, das die Besonderheiten der Pädagogischen Hochschulen berücksichtigt.
Hierarchische Steuerung
Zu diesen Besonderheiten zählt zumindest zweierlei: Einerseits werden verschiedene Formen der Praxis (vor allem der akademisch-wissenschaftlichen, einer schulisch-berufsfeldbezogenen und einer politisch-administrativen) verschränkt, andererseits ist die Dominanz der Hierarchie als Koordinationsmechanismus deutlich sichtbar - denn als Akteure, die auch in hoheitlichem Auftrag operieren (man denke etwa an Fragen der Berufsberechtigung), kann sich die Steuerung der Pädagogischen Hochschulen nicht im selben Maß wie jene der Unis oder der Fachhochschulen auf die Professionslogik berufen beziehungsweise am Markt und am Wettbewerb orientieren.
Während es also in Zukunft weiterhin die zentrale Aufgabe der Pädagogischen Hochschulen sein wird, die spezifische Kombination ihrer Praxisformen zu kultivieren, erwarten sich diese von ministerieller Seite in erster Linie eine zeitgemäße Gestaltung jener hierarchischen Steuerungsstrukturen, in die sie eingebettet sind. Wobei Hierarchie bedeutet, Spielräume durch wechselseitige Konditionierung von Systemebenen zu schaffen und nicht Freiheitsgrade durch bürokratische Befehlsketten von oben nach unten mit Berichtspflichten in entgegengesetzter Richtung zu beschränken - eine ministerielle Mechanik, die nur selten funktioniert.
Es mag irritieren, aber autonome Freiräume und ihre heteronome Begrenzung verbindet ein wechselseitiges Steigerungsverhältnis. Dieses muss auch in der Hierarchie zum Ausdruck kommen, um für komplexe Systeme funktional zu sein, also zum Beispiel, um Schutz vor Störungen (von oben oder unten) zu bieten - was für Ministerium und Hochschulen gleichermaßen attraktiv ist. Denn wie der renommierte deutsche Soziologe Dirk Baecker sagt: "Kontrollieren kannst du nur, wenn du dich kontrollieren lässt." Und, Hand aufs Herz, wer will das schon?