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Grabmäler und Inschriften transportieren vielfältige Botschaften. Eine Rundschau zwischen posthumer Inszenierung, letzten Grüßen - und etwas Ironie.
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Wien ist reich an Friedhöfen, welche die Vielfalt des untergegangenen Vielvölkerstaates und der multinationalen Gegenwart dokumentieren. Wer eine Nekropole wie den viel besungenen Zentralfriedhof begeht, erkennt in Denkmälern und Symbolen höchst unterschiedliche Mentalitäten und Gebräuche, welche oftmals mehr erahnen lassen, als die Gravuren semantisch aussagen.
Inschriften und andere Erinnerungsträger vermitteln auch subkutane Botschaften, dasselbe gilt für Beigaben wie Schirmmützen oder Teehäferl. Romantisch-kitschige Engelsgestalten, Plüschtierzoos und ziselierte Grablaternen indizieren unfreiwillig eine Trauer-Unkultur, die dennoch rührend sein kann. Wie alle Texte und Symbole sind Grabinschriften interpretationsbedürftig und hinterfragbar. Aus dem Jenseits hallen dem Adressaten auch Misstöne entgegen: "Er bemühte sich, ein guter Mensch zu sein" - das heißt nicht, dass zu des Betrachters Füßen ein Philanthrop beerdigt liegt. Die um 1900 beliebte Formel "Tief betrauert von ihrem treuen Gatten" kann auf eine Person hinweisen, die die arme Verstorbene womöglich mit notorischen Seitensprüngen ins Grab gebracht hat.
Heutzutage ist es technisch möglich, durch Sonnenkollektoren gespeiste Speicher-Chips mit einst vom Verstorbenen geliebten Melodien oder einer gruseligen Grußbotschaft zu bestücken. Diese Art postmortaler Kommunikation eröffnet ein breites Feld für makabere Messages. Ob dies eine pietätvolle Alternative zur traditionellen Grabsteininschrift ist, bleibe dahingestellt, doch können etwa QR-Codes an Ehrengräbern den Zugang zu Biografien erleichtern.
Machtdemonstration
Gravuren und Skulpturen sind dennoch die beliebtesten Formen posthumer Botschaften. Der Wunsch, einem lieben Verstorbenen ein Motto, eine pietätvolle Gedichtzeile oder eine ehrende Konnotation mit auf den letzten Weg zu geben und diesem ein Denkmal zu errichten, bedarf aus ethischer Sicht keiner Begründung.
Anders als flüchtige Worte, die bei Feiern und Nekrologen gesagt werden, sichern Inschriften und dauerhafte Steine die Erinnerung. Für die Ewigkeit sind sie aber nicht, wie das Verwittern und Verfallen von Grabmalen zeigt. Beim Restaurieren oder bei archäologischen Arbeiten lebt oftmals eine Botschaft wieder auf, die posthum an alle gesandt wurde, die eine Inschrift betrachten oder das Grabmal wahrnehmen. Ägyptische und kleinasiatische Grabstätten, die oftmals ohne Pietät und Respekt geöffnet wurden, sandten ihren kritischen Widerhall bis in die Gegenwart.
Alle Kulturen kennen das Weinen und Trauern um die Dahingeschiedenen und machen das Gedenken zur moralischen Pflicht. Mitunter gerät das Grabmal zum Symbol einer Machtdemonstration und versucht, die unüberwindbare Hierarchie, die die "plebs" von Hochgestellten trennte, ins Jenseits zu retten. Einfache Gemüter mag es trösten, eine "Hausbesitzerwitwe" oder einen "Staatsbahnrevisor" als Vorfahren zu haben. Der Banker Rudolf Sieghart und der Industrielle Heinrich Munk ließen am Döblinger Friedhof Ganzkörperskulpturen und Riesenamphoren erbauen. Die von einem Hofburgmaler ebendort bezogene Adelsgruft weckt Gefühle, die dem Gedenken eher abträglich sind.
In Hietzing hat Franz Grillparzer eine imposante Liegestätte mit Ausblick, die von den Riesengrüften in der Nähe nicht egalisiert wird. Gerade auf den Wiener Nobelstätten für die Ewigkeit herrschte eine Art Wettstreit der Eitelkeit: posthumer Geltungsdrang als grenz- und kulturüberschreitendes Phänomen. Selbst ein Wort wie "Verfassungsgerichtshofpräsident" kann einen schlichten Grabstein sprengen. Das Weglassen von Titeln und Ämtern indiziert Bescheidenheit, der Name spricht oft für sich.

Sitten und Gebräuche variieren ebenso wie der sozial geprägte Umgang mit Grabdenkmälern. Die mexikanischen Nekropolen laden am Día de Muertos zu bunten Feiern ein, US-amerikanische Totenorte offenbaren sich als eindrucksvolle Hügel voller Helden oder als puristische Ruheorte mit minimalistischen Botschaften an die Nachwelt. In Los Angeles trägt das Grab von Frank Zappa (1940-1993) keinen Namen, sein Schweigen ist auch eine Form der Kommunikation. Präsident Vaclav Havel ehrte den Musiker einst fulminant in Prag, als er bereits todkrank war. Auf demselben schlichten Gottesacker in Los Angeles ruht übrigens Roy Orbison (1936-1988), der ebenfalls Millionen Menschen mit seiner Musik ansprach. Andere Grabmale von Musikern, die unsere Jugend begleiteten, führten zu Ausbrüchen der Fan-Kultur und zu Verunstaltungen. Das gilt für das Plexiglas-Monument, das in Wien an Falco erinnert, ebenso wie für Elogen am Pariser Friedhof Père Lachaise, die Jim Morrison galten. Romantische Beschaulichkeit herrscht hingegen an den Grabstätten verstorbener Exilanten am römischen Cimitero acattolico. Hier liegen Percy Bysshe Shelley, John Keats und Goethes Sohn August von Goethe unweit der Pyramide in schlichter und berührender Atmosphäre.
Multikonfessionell
Wer ist es, der uns aus dem Jenseits anspricht? Meist ist es nicht der Bestattete selbst, sondern es sind die Angehörigen, die post mortem über die Gestaltung entscheiden. Künstler, Politiker, Magnaten und Patriarchen bestimmen gerne zu Lebzeiten, was der Nachwelt an der letzten Ruhestätte mitzuteilen (oder zu verschweigen) ist. So wünschte sich der als Stendhal bekannte französische Schriftsteller Marie-Henri Beyle, der am Montmartre ruht, die italienische Inschrift "Milanese|Scrisse|Amo|Visse" und galt fortan als Mailänder, der lebte, schrieb und liebte, was einer Kurz-Biografie, aber nicht der Wahrheit entsprach. Der Bewunderer, "Egotist" und Beamte Napoleons hatte klare Vorstellungen von der Inschrift wie auch vom Schreibstil. Einst hatte er den "Code Civil" als Vorbild schlichter Prosa erwählt und sein Pseudonym von der deutschen Stadt Stendal abgeleitet.

Kehren wir aber nach Wien zurück. Am Döblinger Friedhof ruhten einige der "Heimat großer Töchter und Söhne", auch der Kenotaph von Theodor Herzl steht hier. Obwohl das Leichenbegängnis im Juli 1904 das größte war, das der Bezirk je erlebt hatte und der kilometerlange Kondukt bis in die Währinger Haizingergasse zurückreichte, wünschte sich Herzl, in der Erde Israels bestattet zu werden, was im Jahr 1949 auch auf dem Herzlberg bei Jerusalem geschah.
Vera Kreiskys sterbliche Überreste wurden in das Ehrengrab des Kanzlers transferiert, in ihrer ehemaligen Ruhestätte wartet nun Kurt Sowinetz auf die Auferstehung. Theodor Billroth, Moriz Kaposi und Lorenz Böhler, der Röhrenerfinder Robert von Lieben und der Philosoph Friedrich Jodl blieben auf der Anhöhe, die zum Hermannskogel und zum Kahlenberg blickt, zurück. Politische Unterschiede machte der multikonfessionelle, kleine Friedhof nie: Februarkämpfer, Nationale und Klerikale befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander. Justizminister Josef Gerö, Nationalbankpräsident Reinhard Kamitz und drei Staatsrechtslehrer wurden hier bestattet.
In Wien sind die Evangelischen, die Muslime, Orthodoxen und Juden in der Minderheit, ihre Grabmäler sprechen eine eigene Sprache. Am Evangelischen Friedhof Simmering liegen Egon Friedell, die Klimt-Geliebte und Designerin Emilie Flöge, die Philosophen- und Industriellenfamilie Salzer-Wittgenstein und der Bergsteiger Emil Zsigmondy begraben. Diese Gräber lassen den Betrachter leise zurück. In schlichter Größe leisteten die Genannten das Ihre, ohne dass es großer Steine oder ausführlicher Inschriften bedurfte.
Vom evangelischen ist es nicht weit zum jüdischen Wien. Die eigenartige Anlage der Simmeringer Nekropolis will es, dass der Besucher, der aus der Innenstadt mit der symbolträchtigen Linie 71 anreist, am ersten Tor den fast verfallenen alten jüdischen Friedhof, nach den zwei Eingängen zum riesigen Zentralfriedhof den kleinen Evangelischen Friedhof und am äußersten Ende stadtauswärts den neuen jüdischen und einen islamischen Teil vorfindet.
A schöne Leich’!

Während es am alten jüdischen Teil die Grabmäler von Arthur und Julius Schnitzler und das Grabdenkmal von Karl Kraus zu sehen gibt, im Übrigen ein Bombenangriff aber die Steinmonumente in eine Trümmerstätte verwandelte, wirkt die neue israelitische Ruhestätte beim Tor IV aufgeräumt und offen. Wer diese Ruhestätte betritt und dabei pietätshalber eine Kopfbedeckung aufsetzt, findet sich auf einer noch lose belegten Anlage wieder, die auf den ersten Blick außer Natur wenig zu bieten hat. Doch die mit Erinnerungssteinen versehenen Grabmäler der jüdischen Verstorbenen sprechen, von den hebräischen Inschriften ganz abgesehen, eine nicht weniger interessante Sprache als jene der christlichen. Sie transportieren oft letzte Grüße ("Diesen Grabstein haben Dir Deine treuen Freunde gewidmet"), aber auch Sinnsprüche, die berührend, mitunter aber fast ironisch wirken. Ein archetypisches Beispiel am Grabmal einer in hohem Alter verstorbenen Dame lautet: "Man braucht im Leben vor allem Gesundheit und ein bisserl Mazel."
Bei aller Trauer muss angefügt werden, dass der Wiener stets ein ambivalentes Verhältnis zum Tod hatte, was in Ausdrücken wie "a schöne Leich’" für eine würdige Beerdigung ebenso zum Ausdruck kommt wie in der von der französischen Agentur "les pompes funèbres" abgeleiteten Berufsbezeichnung Pompfüneberer, die für die Wiener Bestatter zum geflügelten Wort wurde. Der Tod, dessen Folgen einen krisenfesten Geschäftszweig für die einen begründet, wie auch die Möglichkeit zur pompösen Inszenierung für die anderen, hat viele Facetten. Doch die unfreiwillige Unterdrückung von Pietätsgefühlen durch eine allzu gewollte Inszenierung oder eine hypertrophe Symbolik zeigt, dass der Mensch auch bei den letzten Dingen mit der Außenwelt kommuniziert und dabei achtsam sein muss.
Literaturhinweise:
Andreas Schindl/Bernd Matschedolnig: Korvettenkapitän & Mundwäscherin. Was man in Wien einmal werden konnte. Metroverlag, Wien 2016.
Werner T. Bauer: Wiener Friedhofsführer. Falter Verlag, Wien 2004.
Gerhard Strejcek, geboren 1963, ist Professor am Institut für Staats- und Verwaltungsrecht an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.