Kohlmeisen stehen zum Partner, was ihnen langfristig Vorteile verschafft.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Oxford. Wildvögel lassen ihre Beziehungspartner nicht hängen. Sondern sie sind ihnen sogar wichtiger als Futter. Vor die Wahl gestellt, bleiben Kohlmeisen im Winter lieber bei ihrem Partner, als sich über eine Nahrungsquelle herzumachen, berichten britische Zoologen im Fachmagazin "Current Biology". Laut den Forschern bedeutet das aber nicht, dass die Vögel nur von Luft und Liebe leben. Sondern der Verzicht hat längerfristige Vorteile.
Die Kohlmeise zählt zu den häufigsten Vogelarten in Europa. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt von hier bis in den Nahen Osten, Asien und Fernost. Die Art lebt in den Ästen von Laub- und Mischwäldern, kann jedoch aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit auch in Höhlen nisten. Zum Überwintern hält sie sich meist in der Nähe menschlicher Siedlungen auf. Besonders zur Paarungszeit halten Kohlmeisen zusammen: Etwa holt das Männchen das Weibchen schon früh am Morgen vom Schlafplatz ab, um zu verhindern, dass sie von einem anderen begattet wird.
Neues Licht auf soziale Arten
"Im Spätwinter bereiten sich die Kohlmeisen auf die Paarung vor. Um mehr Nahrung finden und somit ihre Kondition schneller aufbessern zu können, suchen die Paare gemeinsam Futter. Im Experiment haben wir nun einen Konflikt zwischen Nahrung von Beziehungen geschaffen", berichten die Forscher um Joshua Firth vom Department für Zoologie der Universität Oxford.
Nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Kohlmeisen wurden mit Etiketten versehen, die Funkverbindungen zu automatischen Äsungsstellen in einem abgegrenzten Areal des Universitätsgeländes hatten. Die Etiketten an den Füßen des Federviehs waren mit geraden und ungeraden Zahlen nummeriert. Die eine Hälfte der Futterspender war darauf programmiert, sich für gerade Zahlen zu öffnen, die andere ging bei ungeraden Nummern auf. Da die Vögel die Fuß-Anhänger nach dem Zufallsprinzip erhielten, konnten sich manche Paare am gleichen Ort ernähren und andere nicht. Letztere nannten die Forscher "Konflikt-Paare".
"Wir wollten herausfinden, welche Auswirkungen soziale Beziehungen auf die individuelle Futtersuche, das größere Sozialgefüge und die Verhaltensentwicklung hat", erklärt Firth.
Erwartungsgemäß hielten sich die meisten Vögel länger in der Nähe von Futterspendern auf, an denen sie auch zu fressen bekamen. Jedoch kamen 60 Prozent der Futtersuche-Aktivitäten an den "verbotenen" Äsungsstellen von Kohlmeisen, die in einer Konflikt-Partnerschaft gebunden waren. Und da nur 12 Prozent der Vögel an den verbotenen Futterstellen Konflikt-Paare waren, war diese Aktivität sehr hoch. Konflikt-Vögel verbrachten 3,8 Mal so viel Zeit an Futterstellen, an denen nicht sie, dafür aber der Partner zu fressen bekam, wie futtermäßig "kompatible" Paare.
"Kohlmeisen sind loyal zum Partner", schreiben die Forscher. Eine sub-optimale Entscheidung ist dies aber nur auf den ersten Blick. Laut den Forschern ergeben sich daraus nämlich längerfristige Vorteile. Denn die Partnerbeziehungen der Vögel beeinflussten ihre Strategien zur Nahrungssuche und diese Flexibilität erhöhte die Überlebenschancen in widrigen Umständen. Konflikt-Partner lernten, an verbotenen Stellen Futter von anderen Vögeln, die dort zu fressen bekamen, zu schnorren. Noch geschickter wurden sie im Laufe der Zeit darin, ihren Partnern zu folgen und ihnen die Körnchen abzubetteln.
Da Kohlmeisen so viel Zeit wie möglich mit dem Partner verbringen, waren die Konflikt-Vögel von Artgenossen umgeben, in deren Gesellschaft sie normalerweise keine Nahrung fanden. "Die Aufrechterhaltung von Bindungen verändert das Verhalten", sagt Firth. Er sieht aber auch noch weitere Implikationen für unser Verständnis der Evolution. "Nur 18 bis 30 Prozent der Kohlmeisen sind länger als ein Jahr zusammen. Viele Tiere leben nicht länger, oder sie trennen sich. Für andere Arten, die lebenslange Paarbeziehungen unterhalten, könnte solches Verhalten eine noch größere Bedeutung haben", sagt Firth: "Die Bedeutung solcher Schlüsselbeziehungen wirft ein ganz neues Licht darauf, was bei sozialen Arten als optimales Verhalten gilt.