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Vogelsang und Orgelklang

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

"Ihr Fleisch ist eine vortreffliche Speise, weswegen sie schon im alten Rom in grossen Vogelhäusern künstlich gemästet wurden", schrieb der Ornithologe J. F. Naumann über die Amsel.


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Inmitten einer fruchtbaren Ebene, zwischen Halle an der Saale und Magdeburg, liegt eine Stadt mit rund 30.000 Einwohnern, keine zehn Kilometer vom Biosphärenreservat Mittlere Elbe entfernt. Für die Landwirtschaft ideale Anbaufläche, für Naturfreunde ein Eldorado. Diese Stadt liegt abseits der Hauptachsen; man fährt an ihr vorbei. Schade, denn sie würde den Besucher mit einer erstaunlichen Fülle von Sehenswertem, mit Geschichten und Geschichte und mit einem besonderen Schloss belohnen.

In dieser blühenden Landschaft lebte vor 300 Jahren Bauer Naumann mit seinen drei Söhnen. Der älteste von ihnen, Johann Friedrich, zeigte schon mit neun Jahren Talent zum Zeichnen. Den Schulbesuch in Dessau musste er abbrechen, um dem Vater in der Landwirtschaft zu helfen. Dabei weckte der Vater in dem Knaben das Interesse für alles, was fleucht, für Sumpfmeise und Steinschmätzer, Rosenstar und Gelbspötter - und auch für Amseln.

Der Sohn begann, Vögel zu sammeln und mit einer eigens von ihm entwickelten Technik zu präparieren. In Kombination mit seiner zeichnerischen Begabung entstand ein riesiger Corpus von Präparaten sowie bunter und detailreicher Kupferstiche. Mit Sorgfalt und Kenntnis ordnete er die Sammlung. So reifte Johann Friedrich Naumann zum bedeutendsten Ornithologen Deutschlands. 25 Jahre arbeitete er an seinem Opus magnum, der "Naturgeschichte der Vögel Deutschlands". Neben der wissenschaftlichen Leistung beeindruckt vor allem die Schönheit seiner Vogelbilder. Alle 380 Illustrationen hat er selbst gezeichnet und in Kupfer gestochen. Der Schulabbrecher starb als Prof. Dr. Naumann.

Ab 1835 wurden seine Vogelpräparate ausgestellt. Und zwar in jenem Schloss, das wir eingangs erwähnten, im Schloss Anhalt-Köthen, wo sie noch heute zu besichtigen sind. Ja, das Naumann-Museum im Ferdinandsbau des Köthener Schlosses ist das einzige

ornithologiegeschichtliche Museum der Welt.

Die verschiedenen Vogelarten sind in gläsernen Vitrinen in einem Zusammenhang dargestellt, der nahe an die natürliche Umgebung herankommen sollte. Dies war ein für die damalige Zeit, das Biedermeier, neues Konzept. Bei der Ausgestaltung half Naumann seine künstlerische Ader. Gottlob ist die Sammlung mit ihren über hundert Vitrinen, ihren Manuskripten, Kupferstichen und Jagdgeräten, original erhalten.

Ein paar Meter weiter im gleichen Schloss erinnert eine moderne Mehrzweckhalle an das Musikgenie Johann Sebastian Bach, der hier sechs Jahre lang Hofkapellmeister war, bevor er seine Lebensstellung als Thomaskantor in Leipzig antrat. Seine Köthener Zeit war - trotz schwerer Schicksalsschläge - eine besonders fruchtbare: Hier entstanden Teile seiner "Brandenburgischen Konzerte" und das "Wohltemperierte Klavier".

Schloss Köthen hat eine uralte, askanische Tradition, die bis ins 12. Jahrhundert zurückreicht. Der berühmteste Bewohner war Fürst Ludwig I. von Anhalt, der sich im Geiste der Renaissance als Freund der Künste und Wissenschaften fühlte. Unter anderem übernahm er die Leitung des ältesten deutschen Sprachvereins, der berühmten Fruchtbringenden Gesellschaft, die sich der Pflege der deutschen Sprache widmete. An diese Tradition knüpft die Neue Fruchtbringende Gesellschaft an, die im 390. Jahr der Gründung ihres Vorbildes am 18. Januar 2007 in Köthen gegründet wurde.

Schloss Köthen - wer Phantasie hat, hört beides dort noch heute: den Klang der Bachschen Kantaten und den Gesang der Naumannschen Vögel.

Markus Kauffmann, seit rund 25 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.