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Vogelstimmen und Kettensägen

Von Thomas Veser

Reflexionen

Wie man Urwälder nachhaltig bewirtschaftet und intakt hält, führt das Schweizer Unternehmen Precious Woods im Gebiet Zentral-Amazonas vor Augen. Allerdings kämpft die Firma gegen die Billigkonkurrenz.


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Holzfäller Nedio Silva in den Diensten des Schweizer Unternehmens Precious Woods.
© Foto: Veser

Regengüsse in den Tropen sind meist kurz, dafür aber heftig. Solche Schauer bringen im Urwald nahe der Stadt Itacoatiara keine Erleichterung, bei einer konstanten Temperatur von knapp 40 Grad wirken sie vielmehr schweißtreibend. Von einigen Vogelstimmen abgesehen, herrscht in der üppig sprießenden Vegetation aus Bäumen, Lianen und anderen Pflanzen am frühen Nachmittag eine gespenstische Stille.

Da kündigt ein feines Sirren weitere Prüfungen an: Moskitos. Wenigstens von den Blutsaugern bleibt Nedio Silva verschont. Als Holzfäller in den Diensten des Unternehmens Precious Woods trägt der stämmige Mann eine Bekleidung, die den gesamten Körper wirkungsvoll schützt. Sicherheitsschuhe, eine aus mehreren Nylonschichten bestehende Hose und Handschuhe gehören dazu. Mit seinem glänzenden Oberkörperschutz und dem Helm wirkt der 35-Jährige wie ein utopischer Ritter, der sich auf dem morastigen Waldboden mit schwerfälligen Schritten auf einen unbeweglich verharrenden Gegner zubewegt, und innehält, um das Visier seines Schutzhelmes zu schließen.

Nedio Silvas Waffe ist eine Kettensäge, seine Herausforderung ein Urwaldriese, dessen Zeit nach acht Jahrzehnten gekommen ist. Silva wirft den Motor an und sägt in der geplanten Fallrichtung einen "Bocca" (Mund) genannten Holzkeil aus dem Stamm, den er im unteren Teil zuvor auf mögliche Hohlräume abgeklopft hatte. An der geplanten Sägelinie entfernte er rund um den Baumstamm die Rinde, um Verunreinigungen der Kette zu vermeiden.

Nur kurze Zeit benötigt er, bis der kerzengerade Stamm von einem Ende der Bocca bis zum anderen durchgefräst ist. Nachdem seine Gehilfen kleine Metallkeile in die Schnittlinie geschlagen haben, kann sich der Koloss nicht mehr halten: Knirschend und ächzend kippt er im vorgesehenen Winkel um und landet mit einem gewaltigen Donnern auf dem Erdboden, der kurz erzittert.

Hohe Schutzstandards

João Cruz, Forstingenieur und Geschäftsführer von Precious Woods, begutachtet den gefallenen Riesen, dessen Ausmaße er ziemlich richtig eingeschätzt hatte. Das Exemplar der Baumart Massaranduba (Manilkara huberi), auf Deutsch auch Blutholz genannt, weist eine Höhe von über 20 Metern auf. Die ausladende Krone, die gut fünf Tonnen wiegt, misst alleine 15 Meter. "Wir versuchen, möglichst viel Schnittholz zu gewinnen, in der Regel eigenen sich dafür 35 Prozent des Stammes. Davon wird etwa die Hälfte exportiert", informiert Cruz.

"Der Holzeinschlag ist und bleibt eine gefährliche Sache", bekräftigt der Geschäftsführer von Precious Woods, das etwa 1200 Arbeitskräfte bei der Holzernte und im Sägewerk beschäftigt. Arbeitstechniken und Schutzbekleidung entsprechen europäischem Niveau. Nach dem Fällen wird die mächtige Krone abgesägt, mit Stahlseilen zieht ein Traktor den Stamm sodann aus dem Wald.

Seit 1996 bewirtschaftet Precious Woods mit Hauptsitz in der Schweiz rund um die 80.000 Einwohner zählende Stadt Itacoatiara am Amazonas ein Waldgebiet mit einer Ausdehnung von etwa 5000 Quadratkilometern. Und zwar nach den Grundsätzen der Nachhaltigkeit. "Das bedeutet, dass wir gezielt waldschonende Holzernte betreiben", versichert Katharina Lehmann, Angehörige des Verwaltungsrates und Besitzerin eines holzverarbeitenden Unternehmens in der Schweiz.

Als Grundlage dient ein jährlich aufgestellter Holzbewirtschaftungsplan, eine Art Bauminventur. Er wird von der brasilianischen Umweltbehörde IBAMA überprüft, bevor grünes Licht erteilt wird.

Das tropische Klima lässt Wälder ganzjährig, aber nicht endlos wachsen. Sind einzelne Exemplare voll entfaltet, haben sie ihren Reifezustand erreicht und sterben schließlich ab. "Wo auf unserem Einzugsgebiet Bäume reif sind, wird durch systematische Erkundungen festgestellt", vermerkt Finanz- und Verwaltungschef Rudibert Rueckert. Er beziffert die jährliche Holzernte auf etwa 135.000 Kubikmeter, die überwiegend nach Europa exportiert werden. Dem Bewirtschaftungsplan zufolge dürfen Holzfäller nach dem Einschlag erst 35 Jahre später an dieselbe Waldstelle zurückkehren. Das hat gute Gründe: Der nährstoffarme Waldboden erlaubt nur einen geringen Zuwachs, der bei jährlich 1,3 Kubikmeter Festholz pro Hektar liegt.

"Weil wir Tropenholz gezielt entnehmen, tragen wir zur Qualität der Wälder bei", bekräftigt Katharina Lehmann. Beim Fällen der ausgewählten Exemplare und deren Transport aus den Wäldern achte man darauf, die nachwachsenden Bäume in der Umgebung so weit wie möglich zu schonen. Dank Prüfnummern, die an den Stämmen und den entsprechenden Baumstümpfen angebracht werden, lasse sich die Herkunft später lückenlos zurückverfolgen. Dieses Vorgehen entspricht den Regeln der internationalen Holzzertifizierungsorganisation Forest Stewardship Council (FSC), die zweimal jährlich vor Ort prüft, ob die Vorgaben eingehalten werden. Wer das FSC-Siegel führen will, kommt um diese kostspieligen Audits nicht herum und übernimmt zudem soziale Verpflichtungen gegenüber Bewohnern der Anrainerzone. Acht Gemeinden sind in das Netzwerk eingebunden. Man unterstützt die Menschen etwa beim Erlernen von Berufen oder schult sie dabei, ihre Produkte zu vermarkten. Für die Düngung ihrer Kulturflächen erhalten Sie die Holzasche aus dem Thermokraftwerk der Sägerei.

Zertifiziert nachhaltig: Das Gros der Holzernte geht nach Europa.
© Foto: Veser

Waldschutz mit Wirtschaftlichkeit unter einen Hut bringen: Dieses Ziel konnte Precious Woods bislang nicht erreichen. Dass die Firma nicht wie erhofft seit 2008 schwarze Zahlen schreiben kann, begründet Katharina Lehmann mit den im Vergleich zur Konkurrenz höheren Verkaufspreisen. Die seien jedoch unvermeidbar, da man sich an die FSC-Vorgaben halte und den Angestellten mit einem Monatslohn von umgerechnet 370 Euro fast das Vierfache des gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohns zugestehe. Zudem betreibe man eine Krankenstation sowie Kantinen und Unterkünfte. "Weil die allermeisten Konkurrenten diese hohen Standards nicht anstreben, können sie ihre Produkte billiger absetzen", stellt sie fest. Während sich die Konkurrenz oftmals auf die gängigsten und marktfähigsten Sorten beschränke, nütze ihr Unternehmen bis zu 40 verschiedene und oftmals unbekannte Baumarten. "Das ist ein grundlegender Beitrag zur Erhaltung der Artenvielfalt", bekräftigt sie.

Die selektive Nutzung liefert Lehmanns Worten zufolge die Gewähr dafür, dass die Wälder intakt bleiben. Wird der Wald indessen wahllos abgeholzt, etwa um Flächen für die Viehzucht oder Soja- und Palmölplantagen zu gewinnen, erodieren die nach kurzer Zeit ausgelaugten Böden und gehen damit definitiv verloren. Weltweit verschwinden auf diese Weise Jahr für Jahr über zehn Millionen Hektar Naturwaldfläche, auf 65 bis 70 Prozent entstehen Weiden und Monokulturen. Auf das Konto der Holzgewinnung geht lediglich ein Anteil von zwei bis drei Prozent.

Neueren WWF-Schätzungen zufolge werden rund 80 Prozent des angebotenen Tropenholzes illegal geerntet. Verglichen mit den brasilianischen Bundesstaaten Mato Grosso und Pará, die Böden mit besserer Qualität für den Ackerbau besitzen, stehen die Chancen für den Naturwald im Gebiet Zentral-Amazonas besser; es fällt schwieriger, in dem weniger gut erschlossenen Riesengebiet Straßen für den Transport anzulegen, zudem mangelt es an Sägewerken.

Emissionsarme Sägerei

Precious Woods betreibt unweit von Itacoatiara seine Sägerei. Dort entsteht Schnittholz, dessen betörende Gerüche an Parfüm erinnern. Getrocknet wird der Rohstoff mit Dampf aus einem Kleinkraftwerk, in dessen Heizkessel die nicht weiter verwertbaren Bestände an Restholz und Sägemehl Verwendung finden. Die 2001 in Betrieb genommene Anlage, die als eigenes Unternehmen mit Beteiligung von Precious Woods firmiert, deckt nicht nur den Strombedarf der Sägerei. Gut 40 Prozent des Energiebedarfs von Itacoatiara stammen von dort.

Die Schweizer Klimaschutzorganisation myClimate, die sich dem privaten Handel mit Emissionsrechten widmet, hat das Thermokraftwerk inzwischen in ihre Förderung aufgenommen. Verursacher von Kohlendioxid-Emissionen können sich über myClimate die jeweilige Schadstoffmenge berechnen lassen und haben dann die Möglichkeit, pro Tonne gegenwärtig etwa 24 Euro als Spende zu überweisen. MyClimate honoriert mit diesen Kompensationsgeldern Unternehmen, die ihre Emissionen verringern.

Weil durch diese Art der Energiegewinnung 2013 zwischen 12 und 14 Millionen Liter Dieseltreibstoff eingespart wurden, ließ sich der CO2-Ausstoß des Kraftwerks um fast 50.000 Tonnen reduzieren. Halden aus verrottendem Restholz, das klimaschädliches Methangas in den Himmel über dem Amazonas aufsteigen ließ, gehören seither der Vergangenheit an.

Thomas Veser, geboren 1957, lebt als Journalist in Konstanz. Er ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft "Pressebüro Seegrund".