Belgrad -Wenige Tage vor der Präsidentenwahl in Serbien am kommenden Sonntag scheinen die Siegeschancen des jugoslawischen Vizeministerpräsidenten Miroljub Labus deutlich im Sinken begriffen. Laut Umfragen liegt Labus weiter hinter dem jugoslawischen Präsidenten Vojislav Kostunica zurück. Den entscheidenden Punkt dürfte bei einer Stichwahl am 13. Oktober Letzterer machen. Nationalistische Töne ziehen im Wahlkampf immer noch. Daher kann Kostunica bei einem zweiten Durchgang mit den Stimmen jener rechnen, die im ersten Wahlgang die restlichen Kandidaten aus dem nationalen Lager unterstützen.
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Der Finanzexperte Labus, dem feuriger Nationalismus fremd ist, und der den Großteil seines Arbeitslebens in Führungsetagen verschiedener Belgrader Institute und in Uni-Lehrsälen verbrachte, hat dann keine Chancen. "Zwischen Labus und Djindjic besteht ein Ist-Gleich-Zeichen", versuchte der Herausforderer Kostunica mit seinen stark nationalistisch gestimmten Reden den Unterschied zwischen ihm und dem jugoslawischen Vizeministerpräsidenten in den vergangenen Tagen noch zu unterstreichen. Und dass er mit Djindjic spinnefeind ist, weiß in Serbien ohnehin jeder. Für rechtsnationale Kreise ist der serbische Ministerpräsident bereits seit Jahren ein Hassobjekt. Auch die Regierungserfolge und seine Arbeitswut vermochten daran nichts zu verändern.
Und am Land traut man mitunter den Pragmatikern rund um Djindjic ohnehin kaum über den Weg. Kostunica geht es dort aber auch nicht viel besser. Auf dem Flohmarkt von Pancevo, etwa 20 Kilometer östlich von Belgrad, wo Verkäufer aus Serbien, aber auch etlichen osteuropäischen Staaten ihren Kunden ihre Billigware anbieten, gelten weder Kostunica noch Labus als jene Kandidaten, die man am liebsten im Amt sehen würde.
"Ein Wunschkandidat wäre eigentlich eine Mischung aus Kostunica, (dem Führer der Serbischen Erneuerungsbewegung Vuk) Draskovic und (der durch Populismus aufgefallene DOS-Spitzenfunktionär Velja) Ilic", erläutert Bata die vorherrschende Meinung unter seinen Berufskollegen auf dem Flohmarkt. Der Mittvierziger, ein langjähriger Wähler von Draskovic, bietet an seinem Verkaufsstand T-Shirts mit den Konterfeis diverser "Volkshelden" an. Die früheren bosnisch-serbischen Führer Radovan Karadzic und Ratko Mladic sind auch darunter. Vor den Wahlen laufe das T-Shirt-Geschäft besser als sonst, stellt Bata fest. Was er sich wirklich wünschen würde, wäre die Privatisierung der staatlichen Firma, in der er einst tätig war. Ein ausländischer Geschäftsmann müsste den Fleischverarbeitungsbetrieb kaufen, meint er. In heimische Geschäftsleute, die sich unter dem Regime von Slobodan Milosevic bereichert hatten, und die jetzt mit Regierungsunterstützung etliche kleinere staatliche Betriebe aufkaufen sollen, hat er kein Vertrauen.
Der Wahlkampf ist wenige Tage vor dem "Tag X" in heftige wechselseitige Beschuldigungen der Spitzenkandidaten ausgeartet. "Wir oder er", tönt Kostunica und meint damit nicht Labus sondern Djindjic. Dieser ist Kostunica ein willkommener Reibebaum. Schon bei der gemeinsamen Gründung der Demokratischen Partei Serbiens im Jahr 1989 war man einander nicht wirklich grün, Jetzt wirft Kostunica Djindjic "schwärzeste Demagogie" vor. Stichfeste Argumente gegen Labus sind offenbar nicht vorhanden.
Für heftige Polemik sorgteKostunica im Wahlkampf mit seiner Aussage über die "vorläufige" Trennung der bosnischen Republika Srpska von der "Serbenfamilie", aber auch mit Kritik an Regierungsexperten, die "aus mehreren Bolivien" importiert worden seien. Gemeint war damit nicht nur die serbische Ministerin für Energiewirtschaft, Kori Udovicki, eine Nichte des bolivianischen Präsidenten Gonzalo Sanchez de Losada. Arbeitserfahrungen bei westlichen Firmen und großen Finanzinstitutionen haben mehrere serbische Regierungsmitglieder.
Am Montag trat Labus in Cacak auf, der Hochburg des DOS-Spitzenfunktionärs Velimir Ilic, der jetzt die Kandidatur von Kostunica unterstützt. Eier, die aus einem Teil des ihm abgeneigten Publikums gegen die Rednerbühne geflogen waren, hinnehmen. Zwei Aktivisten der Bürgerlichen Allianz, die in Belgrad die Labus-Poster anbringen wollten, waren fast gleichzeitig von Unbekannten krankenhausreif verprügelt worden. Am Mittwochabend wurden in Novi Sad, der Hauptstadt der Vojvodina zwei Anhängerinnen von Labus schwer verletzt.
Der serbische Premier gab sich die Mühe, die Kandidatur von Labus auf indirektem Weg zu unterstützen. Die Wahlzuckerl in der Art des Milosevic-Regimes wie billigeres Speiseöl, mehr Geld für Pensionisten, einmalige Finanzhilfe für kinderreiche Familien, erste Auszahlung der vor Jahren beschlagnahmten Devisensparanlagen bei zwei Privatbanken, die einst für hohe Zinsen bekannt waren, sind auch dieses Mal nicht ausgeblieben. Angesichts der heftigen Attacken hat sich Djindjic zudem für eine eigene Kampagne entschlossen, um auf die Regierungsergebnisse aufmerksam zu machen und den Vorwürfen der Mehrheit von Präsidentschaftskandidaten wegen "Ausverkaufes des Landes, Verarmung der Bevölkerung und Bereicherung der Regierungsfunktionäre" Paroli zu bieten.
"Wir haben einen weniger schmerzlichen Weg der Transition in Serbien gewählt, um die Bürger keiner Schocktherapie auszusetzen, mit der die Einwohner früherer kommunistischer Staaten konfrontiert wurden", teilte die Regierung am Mittwoch mit. In einer ganzseitigen Anzeige im Belgrader Blatt "Glas javnosti" wurden einige der Resultate der Regierungsarbeit übersichtlich präsentiert. Aber die Worte von Kostunica, der für "langsamere und gerechtere Reformen nicht nach Geschmack internationaler Finanzinstitutionen, sondern der Bürger Serbiens" plädiert, scheinen größeren Anklang zu finden. Auch die leeren Taschen und bescheidener Lebensstandard werden wesentlich zur seinem Wahlsieg beitragen.
Bei den Wahlen am Sonntag treten elf Kandidaten an, außer Kostunica und Labus die beiden Nationalisten Vojislav Seselj und Vuk Draskovic. Für die zerstrittene Sozialistische Partei von Slobodan Milosevic treten zwei Kandidaten an, der Schauspieler Velimir Bata Zivojinovic und der Architektur-Professor Branislav Ivkovic.