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Volk der Freiheit mit zwei Seelen

Von WZ-Korrespondent Julius Müller-Meiningen

Politik

Bildung einer neuen Fraktion der PdL-Dissidenten wurde aufgeschoben.


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Rom. Als "historisch" hatte Premierminister Enrico Letta das bezeichnet, was sich am Mittwoch im italienischen Parlament abgespielt hatte. In Senat und Abgeordnetenhaus hatte die Regierung mit großer Mehrheit das Vertrauen ausgesprochen bekommen. Am Ende musste Silvio Berlusconi, der Urheber allen Ungemachs der letzten Wochen, einlenken.

Tagelang hatte der 77-Jährige provoziert, erst den Rücktritt der Abgeordneten für den Fall seines Ausschlusses aus dem Senat angedroht. Dann den Rücktritt der Minister gefordert und von einem "Staatsstreich" schwadroniert. Am Ende blieb ein kleinlautes "Ja" für Letta und dessen Regierung, an der auch die Berlusconi-Partei "Volk der Freiheit" (Popolo della Libertà - PdL) beteiligt ist. "Italien braucht eine Regierung, die institutionelle und strukturelle Reformen voran bringt", behauptete der viermalige Ex-Premier bei seiner Erklärung im Senat plötzlich.

"Berlusconi verliert sein Gesicht", titelte die linke Zeitung "L’Unità" am Donnerstag. "Die Niederlage Berlusconis", schrieb "La Repubblica", auch der konservative "Corriere della Sera" hatte dessen "Kapitulation" beobachtet. Das letzte Wort, so wirkte es, ist aber noch nicht gesprochen in einer Krise, die von der erstarkten Regierung Letta auf die nun zerstrittene Berlusconi-Partei PdL übergegangen war. Die Frage ist nun, wie sich die Machtprobe vom Mittwoch auf die Zukunft des PdL auswirkt. Parteisekretär Angelino Alfano war es gelungen, Berlusconi seinen Kurs aufzuzwingen, der lautete: Trennung von politischen und juristischen Fragen, "Ja" zur Regierung Letta.

Alfano nun Mehrheitsführer

Der 42 Jahre alte Innenminister hatte sich lange von Berlusconi, der alle Entscheidungen im Alleingang fällte, vorführen lassen müssen. Mit der Organisation derjenigen, die den Konfrontationskurs des Parteigründers nicht mehr mittragen wollten, hat er sich nun Respekt verschafft. Und seinen politischen Ziehvater zum Einlenken gezwungen. Alfano ist nun Mehrheitsführer in der eigenen Partei. Im für die Mehrheitsverhältnisse entscheidenden Senat folgen etwa 50 von 91 PdL-Senatoren der Linie des Parteisekretärs.

Zwei Herzen wohnen nun in der Brust der Partei. Heute, Freitag, kommt der Immunitätsausschuss erneut zusammen, um über den Ausschluss des 77-jährigen Berlusconi aus dem Senat zu entscheiden. Die Vermischung seines persönlichen Schicksals mit politischen Fragen hatte letztendlich zur Regierungskrise geführt. Eine ursprünglich für Freitag geplante Protestdemonstration gegen den Immunitätsausschuss sagte Berlusconi ab. Diese Entscheidung wurde nach einem Treffen von Alfano und Berlusconi am Donnerstag mitgeteilt.

Anschließend brach Alfano nach Lampedusa auf, um sich ein Bild von der Flüchtlingstragödie zu machen. Eine Pressekonferenz der PdL-Minister, die alle auf Alfanos Linie liegen, wurde abgesagt. Trotzdem sickerten Neuigkeiten durch. Die Bildung neuer Fraktionen in Senat und Abgeordnetenhaus durch die Dissidenten, eine Option, die bereits am Mittwoch ins Spiel gebracht wurde, ist aufgeschoben. Das kündigte der Senator Roberto Formigoni an, der sich Alfano angeschlossen hatte.

"Berlusconi ist gesprächsbereit", sagte der ehemalige Regionspräsident der Lombardei. "Wir arbeiten innerhalb der Partei", sagte Formigoni und bestätigte damit die Linie Alfanos, der als Koordinator der inneren Gegenbewegung offenbar die Macht im PdL übernehmen will, ohne den Bruch noch offensichtlicher zu machen. In einer ersten Interpretation deutete das daraufhin, Berlusconi könnte seinen internen Opponenten Zugeständnisse machen. Formigoni sagte auch: "Wir standen in diesen Tagen immer in Kontakt zu Berlusconi, denn wir sind weiterhin überzeugte Berlusconianer."

Alfano und den zu seiner Strömung zählenden Abgeordneten geht es unter anderem um die Führung in der Partei, aber dem Vernehmen nach auch um die Einführung demokratischer Strukturen im PdL. Bisher wurden Sekretär und Funktionäre von Berlusconi ernannt und per Akklamation bestimmt.

Letztendlich dürfte auch die Frage der persönlichen Zukunft Berlusconis Verhandlungsgegenstand sein. Ende des Monats muss der Ex-Premier seinen Hausarrest in Rom antreten. Auch die zukünftige Rolle Berlusconis, etwa als wenig einflussreicher "Ehrenpräsident" außerhalb des Parlaments, wird bei den künftigen Treffen zu bereden sein.