Die vor 100 Jahren gegründete Organisation scheiterte zwar, erzielte aber gewisse Fortschritte in der internationalen Zusammenarbeit.
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Der Anstoß ging vom Demokraten und US-Präsidenten Woodrow Wilson aus. Noch während des Ersten Weltkriegs hielt er "im Namen der Menschheit" am 8. Jänner 1918 eine programmatische Rede vor beiden Kammern des Kongresses, dem Repräsentantenhaus und dem Senat. Dabei listete er "Vierzehn Punkte" für den Friedensschluss auf.
Der letzte sah vor: "Ein allgemeiner Verband der Nationen muss gegründet werden mit besonderen Verträgen zum Zweck gegenseitiger Bürgschaften für die politische Unabhängigkeit und die territoriale Unverletzbarkeit der kleinen sowohl wie der großen Staaten."
Längere Vorgeschichte
Die neue Organisation sollte "League of Nations", auf Französisch "Société des Nations" und auf Deutsch "Völkerbund" heißen. Allein schon die drei verschiedenen nationalsprachlichen Bezeichnungen signalisierten unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten und abweichende Verständnisse.
Überlegungen für einen Bund der Staaten wurden schon 1625 durch den niederländischen Juristen Hugo Grotius in seinem Werk "Über das Recht des Krieges und des Friedens" als Basis für das Völkerrecht ausgeführt. Der deutsche Philosoph Immanuel Kant entwickelte 1795 im Traktat "Zum ewigen Frieden" die Vorstellung einer "durchgängig friedlichen Gemeinschaft der Völker". Im 19. Jahrhundert entstand eine international ausgerichtete Friedensbewegung mit "peace societies", u.a. im Vereinigten Königreich und in den USA. Sie führten zu den Haager Friedenskonferenzen (1899, 1907), die jedoch am fehlenden Abrüstungswillen sowie dem deutschen Widerstand gegen eine verbindliche und zwingende internationale Schiedsgerichtsbarkeit scheiterten.
Die Satzung des Völkerbundes ging auf den britischen Juristen Lord Robert Cecil zurück, der ein "Memorandum über Vorschläge, wie die Gelegenheiten für künftige Kriege verringert werden könnten", ausgearbeitet hatte. Die Satzung wurde am 28. April 1919 von der Vollversammlung der Friedenskonferenz von Versailles angenommen. Mit dem Versailler Vertrag unterzeichneten die beteiligten Staaten am 28. Juni 1919 auch die Satzung des Völkerbunds. Mit seiner Ratifizierung am 10. Jänner 1920 war die offizielle Gründung vollzogen. Der Bund trat am 15. November zum ersten Mal zusammen.
Die Vollversammlung tagte einmal jährlich. Jedes Mitglied hatte eine Stimme. Die Beschlüsse erfolgten einstimmig. Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan und in Folge auch Deutschland und die UdSSR waren im Völkerbundsrat als ständige sowie zusätzlich zwölf nichtständige Mitglieder vertreten. Einstimmigkeit galt auch hier, während involvierte Konfliktparteien in der entsprechenden Abstimmung kein Stimmrecht besaßen. Als Präsident amtierte Robert Cecil von 1923 bis zum Ende (1946). Daneben gab es noch das Ständige Generalsekretariat mit einem Generalsekretär und ein Verwaltungsgericht für arbeitsrechtliche Belange der Bediensteten.
Generalsekretäre des Völkerbundes waren der britische Diplomat und Politiker Sir Eric Drummond, Earl of Perth (1919-33), der sich an der Pariser Nachkriegsordnung orientierte, und der französische Karriere-Diplomat Joseph Louis Avenol (1933-40), der den "Achsenmächten", dem faschistischen Italien und NS-Deutschland, nahestand. Zuletzt amtierte noch der irische Journalist, Diplomat und Politiker Seán Lester (1940-46).
Bittgesuch aus Wien
Österreich trat noch in seinem Gründungsjahr dem Völkerbund am 16. Dezember 1920 bei. Es hatte ihn bitter nötig. Am 6. September 1922 sprach Bundeskanzler Ignaz Seipel vor der Vollversammlung in Genf und führte aus: "Ich gestehe offen: Ehe das Volk Österreichs in seiner Absperrung zugrunde geht, wird es alles tun, um die Schranken und Ketten, die es beengen und drücken, zu sprengen. Dass dies ohne Erschütterung des Friedens und ohne die Beziehungen der Nachbarn Österreichs untereinander zu trüben, geschehe, dafür möge der Völkerbund sorgen!" Es war fast schon zu spät, um die junge Republik noch vor dem definitiven Zusammenbruch zu retten. Doch der Völkerbund hatte die Botschaft verstanden, was in Mitteleuropa auf dem Spiel stand: Umgehend im Anschluss an die Sitzung wurde in seinem Rahmen ein "Österreich-Komitee" eingerichtet, das sich unverzüglich an die Beratungen zur Lösung der brennenden Wirtschaftsfragen machte.
Seipels zweite Rede
Nach vier Wochen hielt Seipel am 4. Oktober 1922 neuerlich eine Rede vor dem Völkerbund. Die Delegierten wussten nun schon, welche Ausstrahlung den "Mann in der Soutane" (Klaus Koch) begleitete, der unter Beifall das Rednerpult bestieg, um noch einmal zu unterstreichen, mit welcher Entschiedenheit Österreich aufzutreten vermochte: "Heute können wir, Gott sei Dank, sagen, der Völkerbund hat nicht versagt. Die große Idee, dass eine Instanz, aus den Nationen selbst gebildet, da ist, die, wenn ein Volk in größerer Not ist, als dass es sich allein helfen könnte, wirksam die anderen zu Hilfe ruft, und die damit auch Schwierigkeiten, welche die Vergangenheit verschuldet hat, in aller Stille wieder aus der Welt schafft - diese große Idee lebt!"
Noch am gleichen Tag wurde zwischen Österreich, Großbritannien, Frankreich, Italien und der Tschechoslowakei ein umfangreiches, in drei Teile gegliedertes Vertragswerk unterzeichnet, das als "Genfer Protokolle" in den politischen und historischen Sprachgebrauch Eingang fand.
Das erste Protokoll garantierte die politische Unabhängigkeit, die territoriale Unverletzlichkeit und die Souveränität Österreichs; das zweite bildete den Rahmen für seinen wirtschaftlichen und finanziellen Wiederaufbau auf der Grundlage eines Kredits von 650 Millionen Goldkronen. Das dritte Protokoll enthielt schließlich das Reform- und Sanierungsprogramm, auf dessen Basis die Budgetkonsolidierung stattfinden sollte.
Aufgrund der Genfer Protokolle vom 4. Oktober 1922 erhielt Österreich die von den Regierungen Großbritanniens, Frankreichs, Italiens und der Tschechoslowakei besagte Anleihe, für die das Land die Erlöse der Zölle und das Tabakmonopol verpfänden musste. Die Genfer Protokolle kamen einem Staatsvertrag gleich, der neben Gewährung der Finanzhilfe Österreichs staatliche Eigenständigkeit im Sinne von Artikel 88 des Vertrags von St. Germain festschrieb, womit der Verzicht auf den Anschluss als "freiwillig" erscheinen konnte. Das war vor allem im Interesse Frankreichs, Österreich vom Deutschen Reich politisch und wirtschaftlich fernzuhalten.
Die Genfer Protokolle verpflichteten die Alpenrepublik zur fortgesetzten Aufrechterhaltung ihrer Selbstständigkeit und stellten die Sanierungsaktion unter Aufsicht des Völkerbunds. Damit war eine Finanzkontrolle verbunden, die durch einen Generalkommissär des Völkerbundrats, den Niederländer Alfred Zimmermann, bis zum 30. Juni 1926 ausgeübt wurde. Was innenpolitisch vom christlichsozialen Bürgertum als großartige Rettung Österreichs vor dem Staatsbankrott gutgeheißen wurde, rief bei Sozialdemokraten schärfste Kritik hervor.
Von einer "Entmündigung" des Landes war die Rede. Seipel sollte vor den Verfassungsgerichtshof zitiert werden. Die als "schwerste Demütigung" vor den "Feinden" des "deutschen Volkes" aufgefassten Genfer Protokolle führten zur kategorischen sozialistischen Ablehnung jeglicher Regierungsbeteiligung. Die Großdeutschen wetterten gegen den Versuch, aus Österreich eine "Völkerbundkolonie" zu machen.
Österreich war in der Folge für Krisen weiterhin überaus anfällig und es blieb angesichts der unbefriedigenden ökonomischen wie unentschiedenen politischen Lage kaum eine andere Wahl, als neue Kredite im Rahmen des Völkerbundes aufzunehmen. Der neue Vertrag von Lausanne vom 15. Juli 1932 gewährte dem Land immerhin eine neue Anleihe in Höhe von über 300 Millionen Schilling. Die Laufzeit sollte wieder 20 Jahre betragen und mit einem zeitlich gleichgelagerten Anschluss-Verbot gekoppelt sein.
Garanten waren jetzt Großbritannien, Frankreich, Italien und Belgien. Österreich verpflichtete sich, auf eine Zollunion mit Deutschland zu verzichten. Der neue, wieder aus Holland stammende Kontrolleur Meinoud Rost van Tonningen (ein Nationalsozialist und späterer NS-Kollaborateur in den Niederlanden) war bis 5. August 1936 im Amt.
Im Nationalrat wurde die neue Anleihe mit der denkbar knappsten Mehrheit von 81 zu 80 Stimmen angenommen. Die Regierung unter Führung des Christlich-Sozialen Engelbert Dollfuß, der seit 1932 das Bundeskanzleramt innehatte, besaß auch nur eine Stimme Mehrheit. Der Mitte 1933 zufließende Ertrag aus der Lausanner Anleihe wurde für die Rückzahlung schwebender Auslandsschulden und zur Tilgung von Verbindlichkeiten des Bundes und der Bundesbahn an die Nationalbank verwendet.
Der Völkerbund beabsichtigte einen zukünftigen Frieden durch schiedsgerichtliche Beilegung internationaler Konflikte und dauerhaft ein System kollektiver Sicherheit zu schaffen. Seine weiteren Absichten bestanden in Abrüstung und Kriegsverhütung. Die Abschaffung der Geheimdiplomatie, die Beschränkung staatlicher Gewaltpolitik und Sanktionen gegen Rechtsbrecher waren zusätzliche Ziele. Dass der Völkerbund integraler Bestandteil der drückenden Friedensverträge von 1919/20 wurde, wirkte belastend für sein Agieren und sein Image.
Erschwerend war ferner die Ablehnung der Friedensverträge durch den US-Kongress und das Fernbleiben der Vereinigten Staaten vom Völkerbund. Er litt daher an Integrität und Universalität. Frankreich wurde damit zur politischen Vormacht auf dem Kontinent und benutzte den Völkerbund für seine deutschlandpolitischen Interessen. Das schwindende Ansehen des Bundes entstand weiters durch Austritte (Deutschland 1933, Japan im gleichen Jahr, und Italien 1937), während die UdSSR 1939 wegen ihres Angriffskriegs gegen Finnland ausgeschlossen wurde.
Mitte der 1920er Jahre belebte sich noch die deutsch-französische Verständigung im Rahmen des Völkerbundes mit Aristide Briand und Gustav Stresemann. Der Vertrag von Locarno (1925) mit der Anerkennung der Westgrenzen des Deutschen Reiches sowie auch die Verleihung der Friedensnobelpreise an Briand und Stresemann und der Briand-Kellogg-Kriegsächtungspakt (1928) galten als Höhepunkte.
Ohnmacht & Niedergang
Nach Etablierung und ersten gelungenen Kompromissen (1924- 31) in der Oberschlesien- und Saarfrage, vor allem Erfolgen in der Flüchtlingshilfe (symbolisiert durch Fritjof Nansen und den nach ihm benannten Pass), folgte eine Phase nicht mehr beherrschbarer Konflikte (1931-39), die angesichts des Zusammenbruchs der internationalen Staatenordnung zu einem Schattendasein und zur Selbstauflösung des Völkerbundes (1939-46) führte.
Ab 1931 markierten der Mandschureikonflikt zwischen Japan und China die Wende zum Negativen, und der Äthiopienkrieg Italiens (1935-36) sowie der "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich (1938) das Ende der Idee einer kollektiven Sicherheit. Die Schweiz verließ den Völkerbund und ging von der "differentiellen" zur "integralen" Neutralität über.
Mit dem "Anschluss" von 1938 ging Österreich in Hitlers "Großdeutschland" auf. Die Mitgliedschaft im Völkerbund hatte keinen Schutz geboten. Am 18. März 1938 forderte zwar die Sowjetunion unter dem Volkskommissar für Äußeres, Maksim Litwinow, die USA, das Vereinigte Königreich und Frankreich zu "kollektiven Maßnahmen" im Rahmen des schon stark geschwächten Völkerbundes mit internationalen Sanktionen gegen NS-Deutschland auf - aber ohne Erfolg. Im September 1938 versuchte Josef Stalin, der für die Unabhängigkeit Österreichs eintreten wollte, nochmals zu einem konzertierten Vorgehen zu gelangen - wieder ohne Ergebnis. Das System der internationalen Beziehungen war zusammengebrochen und der Völkerbund praktisch handlungsunfähig. In Europa gingen die Lichter nach 1914 zum zweiten Mal aus.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Gründung der Vereinten Nationen (UNO) beschlossen die verbliebenen 34 Mitglieder am 18. April 1946 einstimmig, den Völkerbund mit sofortiger Wirkung aufzulösen. Seine zahlreichen Neben- und technischen Unterorganisationen hatten jedoch das weite Feld der Möglichkeiten der internationalen Kooperation aufgezeigt und dienten im Zuge der Gründung der UNO als Vorbild für ihre zahlreichen Sonderorganisationen.
Mittelfristig hat der Völkerbund damit zur Diversifizierung, Erweiterung und Spezifizierung der internationalen Organisationen beigetragen. Das "Prinzip der souveränen Gleichheit aller Mitglieder" und das Nichteinmischungsgebot führten jedoch wie beim Völkerbund zu einer Beeinträchtigung der Handlungsmöglichkeiten auch der UNO. Der Ost-West-Konflikt im Allgemeinen und der Kalte Krieg im Besonderen überschatteten ihre Arbeit und trugen zu einer Lähmung der Entscheidungsfähigkeit durch die Vetomöglichkeit im Sicherheitsrat bei.
Die Friedensregelung von 1919/20 ist trotz der Setzung wichtiger internationaler Rechtsnormen und der Schaffung internationaler Organisationen wie dem Völkerbund als groß angelegter Versuch gescheitert, den Ersten Weltkrieg mit einem umfassenden politische Sicherheit und Stabilität garantierenden Vertragswerk zu beenden. Der Völkerbund bewirkte zwar keinen Durchbruch, erzielte aber gewisse Fortschritte in der internationalen Zusammenarbeit. Er kannte noch kein zwingendes, sondern nur ein relatives Kriegsverbot. Als Rechtsfriede wurde die Pariser Friedensordnung von den Verlierern nicht wahrgenommen. Durch das Einstimmigkeitsprinzip waren dem Völkerbund die Hände gebunden. Gegen die Aggressionsakte Deutschlands, Italiens und Japans hatte er keine effektiven Mittel zur Hand.
Ausblick für die UNO
Nach 1945 lag die Leistung der UNO vor allem darin, die Entkolonialisierung sowohl ermöglicht als auch gefördert zu haben, was dem Völkerbund nicht gelungen war. Hinzu kam die Entsendung von Truppen für friedenssichernde Operationen, die sogenannten "Blauhelme", etwa in der Suezkrise 1956.
Zur Regelung militärischer Konflikte ergaben sich aber kaum Möglichkeiten. Der amerikanische Vietnamkrieg demons-trierte die Hilflosigkeit der UNO bei Konflikten mit direkter Supermachtbeteiligung wie auch die militärische Besetzung Afghanistans durch sowjetische Streitkräfte 1979, der "Kosovo-Krieg" 1999 oder der angloamerikanische Irakkrieg von 2003 - allesamt Völkerrechtsbrüche.
Dagegen steigerten sich die Aktivitäten unter dem Schlagwort "Entwicklungspolitik" und absorbierten nach und nach die gesamte UNO. Sie wurde zunehmend zum wichtigsten Träger multilateraler Entwicklungspolitik. In den 1980er Jahren geriet die UNO in eine schwere Krise, nicht zuletzt durch die Abstinenz und die Verweigerung der Beitragszahlungen seitens der USA.
Das Ende des Kalten Kriegs und die Reformpolitik Gorbatschows eröffneten den Vereinten Nationen neue Möglichkeiten. Der Sicherheitsrat mutierte zu einer Clearingstelle zwischen beiden Supermächten. Doch blieben auch in der Folge im Zeichen der unipolaren Machtstellung der USA und der multipolaren Weltordnung durchgreifende Erfolge der UNO aus.
Michael Gehler, geboren 1962 in Innsbruck, ist Historiker und seit 2006
Professor und Leiter des Instituts für Geschichte an der Universität
Hildesheim.