Parteien bezeichnen Massaker an Armeniern durch Osmanen als "Völkermord."Ankara ist empört und beruft Botschafter ein.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien/Ankara. Nicht einmal ignorieren war die Devise: Während Armenier zu Hunderttausenden abgeschlachtet wurden, übten sich die Verbündeten des Osmanischen Reichs - Deutschland und Österreich-Ungarn - in Zurückhaltung. "Unsere freundschaftlichen Beziehungen (mit der Türkei) dürfen durch diese innertürkische Verwaltungsangelegenheit nicht nur nicht gefährdet, sondern nicht einmal geprüft werden", hieß es in einer deutschen Zensurvorschrift von 1915. "Über die armenische Frage wird am besten geschwiegen."
Doch über die Gräuel wussten Diplomaten und Regierungsbeamte genau Bescheid, ja sie dürften sogar am Anfang des Massakers gestanden haben. Der österreichische Generalkonsul in Trapezunt, Ernst von Kwiatkowski, berichtete am 22. Oktober 1915 nach Wien: "Aus deutscher Quelle erfahre ich, dass die erste Anregung zur Unschädlichmachung der Armenier von deutscher Seite erfolgt sei."
Hundert Jahre nach dem Mord an bis zu 1,5 Millionen Armeniern kommen erste Vorstöße, die ein Ende der Vogelstrauß-Politik bedeuten sollen. Als Erstes hat Frankreichs Parlament 2001 die Verbrechen per Gesetz als Völkermord eingestuft, Schweden folgte 2011. In beiden Fällen reagierte Ankara mit Abzug seines Botschafters. Jetzt, rechtzeitig zum Gedenktag des Massakers an den Armeniern morgen, Freitag, hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu am Dienstag die deutsche Einstufung der Massaker an den Armeniern als Völkermord erläutert. Das, nachdem die deutschen Regierungsfraktionen CDU/CSU und SPD in einem Papier für eine Gedenkstunde im Bundestag die Massaker erstmals als Völkermord eingestuft haben.
Auch in Österreich gibt es erste Vorstöße in Richtung Vergangenheitsbewältigung. Die Klubobleute der sechs Parlamentsparteien haben am Mittwoch eine Erklärung vorgelegt, "in der sie es aufgrund der historischen Verantwortung Österreichs als eine Pflicht ansehen, die Gewalt und den Mord an den Armeniern und deren Vertreibung durch das Osmanische Reich als Genozid anzuerkennen und zu verurteilen". Einen Völkermord müsse man auch als solchen bezeichnen.
Es ist ein politisches Bekenntnis, nicht mehr nicht weniger. Weitere (rechtliche) Konsequenzen sind fraglich. Österreichische Juristen glauben nicht, dass durch eine Anerkennung Reparationsansprüche gegen die Türkei auf Grundlage österreichischen Rechts möglich wären. Anders ist dies im Fall der USA. Denn der Alien Tort Claims Act ermöglicht es, Ansprüche, die sich auf das amerikanische Zivilrecht stützen, vor amerikanischen Gerichten zu verhandeln, auch wenn die Beteiligten nicht amerikanischer Nationalität sind und die Ereignisse, die die Anspruchsgrundlage darstellen, nicht auf US-Boden stattgefunden haben. In den USA ist die Regierung jedoch in Deckung gegangen: Hat Obama als Senator noch die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern gefordert, so hat er diesen Ausdruck als Präsident stets vermieden.
Doch bei der Weigerung der Türkei, das Massaker als Genozid einzustufen, stehen Reparationszahlungen und Gebietsansprüche ohnedies im Hintergrund. Es geht vielmehr um Ehrgefühl und ein Überwerfen von dem, was Generationen von Türken in der Schule gelernt haben. Minderheiten, wie die Armenier, hätten das Osmanische Reich von innen angegriffen und die feindlichen russischen Truppen unterstützt, ist die offizielle Diktion. Dass es Tote gegeben hat, wird nicht bestritten. Sehr wohl jedoch die Zahl (von "lediglich" 300.000 ist die Rede) und die Umstände: Es habe sich um eine Notmaßnahme als Antwort auf eine existenzielle Bedrohung gehandelt.
Die Erklärung des Nationalrats habe für "Empörung" gesorgt und werde die Beziehungen zwischen beiden Ländern "dauerhaft beschädigen", hieß es in einer Stellungnahme des Außenministeriums in Ankara. Der türkische Botschafter, Mehmet Hasan Gögüs, wurde aus Wien zu Konsultationen nach Ankara zurückberufen.