Zum Hauptinhalt springen

Völkerwanderung ins Museum

Von Markus Kauffmann

Kommentare
Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Die unvorstellbare Zahl von rund 105 Millionen Museumsbesuchern in einem Jahr weist die Statistik des Instituts für Museumsforschung für Deutschland aus. | In 6200 Museen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Einer der berühmtesten Museumsbesucher ist der 39-jährige Stéphane Breitwieser. Sechs Jahre lang zog der Elsässer durch die Museen und stahl mit Hilfe eines Taschenmessers 239 Gemälde und Objekte, die er unterm Mantel versteckt nach Hause trug. Er habe die Kunstwerke in seine Obhut bringen müssen, da sie nur in seiner Nähe wirklich sicher wären. Als seine Mutter von der Verhaftung ihres Sohnes erfuhr, zerschredderte sie dessen Beute, darunter Werke von Breughel und Cranach. Der Sohn unternahm daraufhin einen Selbstmordversuch. Im Januar 2005 wurden Sohn und Mutter zu je drei Jahren Haft verurteilt.

Die meisten Besucher jedoch lassen die Objekte ihrer Betrachtungen gottlob an Ort und Stelle. An den heiligen Tempeln der Namenspatroninnen, der Musen. Laut International Council of Museums ist ein Museum "eine gemeinnützige, ständige, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienst der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zu Studien-, Bildungs- und Unterhaltungszwecken materielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt".

Lange bevor 1779 das erste Museum Deutschlands (das Fridericianum in Kassel) seine Tore öffnete, wurden Raritäten aus Natur, Kunst und Technik gesammelt. Bereits ab 1550 entstand unter Herzog Albrecht V. die erste "Kunst- und Wunderkammer". Auf der Inventarliste von 1598 finden sich Gemälde und antike Münzen, Krokodil-Skelette und ein präparierter Elefant. Am Anfang ging es weniger um Erkenntnis als um das Staunen.

In den letzten Jahren ist jedoch die Idee der Wunderkammer in die Museumslandschaft zurück gekehrt. So plant die Humboldt-Universität mit ihren Beständen "Wunderkammern des Wissens" zu errichten. Besonders in ihren Angeboten für Kinder und Jugendliche entdecken die Museen wieder die Tradition des Staunens. Mit modernen Ausstellungskonzepten wird die Wunderwelt von Natur, Kunst und Technik für junge Menschen zum aufregenden Erlebnis.

72 deutsche Museen widmen sich dem Thema Spielzeug, 68 befassen sich mit Schmuck, Mode und Design, 87 widmen sich dem Essen und Trinken. Apropos: Ab 26. März zeigt das Berliner Museum für Kommunikation die Ausstellung "Kochen - essen - reden - satt?". Kochen und Essen seien immer Gemeinschaft stiftende Akte. Hunger und Überfluss, Ursprünglichkeit und Industrialisierung, Symbolik und Wissenschaft begleiten durch die Geschichte dieses gesellschaftlichen Vorgangs der Lebenserhaltung. Die Ausstellung mache deutlich, welchen zentralen Stellenwert das Essen als soziales

und kommunikatives Ereignis hat.

Die Hauptsparten der deutschen Museumslandschaft sind Naturkunde, bildende Kunst, Kunstgewerbe, Geschichte, Völkerkunde und - als jüngste Sparte - die Technik. Den Anfang bildete hier die Grundsteinlegung für das deutsche Museum 1906 durch die deutsche Ingenieursversammlung. Das "Deutsche Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik" entwickelte sich zu einem der umfangreichsten Technik-Museen weltweit. Ihm folgten einige Museumsgründungen (inzwischen 828 in ganz Deutschland), die sich zum Teil spezialisierten, wie zum Beispiel Luftfahrtmuseen. Hinzu kommen zahllose kleinere Museen, wie Stadt-, Heimat- oder Regionalmuseen, Gedenkstätten sowie Raritäten- und Kuriositäten-Sammlungen.

Und das Schönste ist: Fast 40 Prozent der Museen sind kostenlos zu besichtigen.

In unserer materialistischen Welt ist das Staunen zuweilen noch gratis.