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Volksaufstand schockt Investoren

Von Peter Muzik

Wirtschaft

Ex-Präsident stürzt Land in Krise. | Zahlreiche Projekte sind akut gefährdet. | Österreichs Pioniere reagieren abwartend. | Tunis. Die OMV hatte Pech mit dem Timing: In einer Ad hoc-Meldung teilte der österreichische Mineralölkonzern am 6. Jänner mit, dass er sein Explorationsgeschäft in Tunesien um 605 Millionen Euro ausbauen wolle. Die Übernahme des Öl- und Erdgasförderers Pioneer Tunisia wurde just zu einem Zeitpunkt angekündigt, als im nordafrikanischen Land eine schwere politische Krise ausbrach.


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Schon wenige Tage danach befand sich Tunesien im Ausnahmezustand, und die gewaltsamen Proteste gegen die Regierung zwangen den verhassten Präsidenten, das Land fluchtartig zu verlassen. Der 74-jährige Diktator Zine El Abidine Ben Ali, der 23 Jahre lang autoritär regiert hatte, haute samt seiner Frau Leila und 1,5 Tonnen Goldbarren im Wert von fast 50 Millionen Euro ins Exil nach Saudiarabien ab.

Die gewaltsamen Proteste seit Mitte Dezember richteten sich vor allem gegen die hohe Arbeitslosigkeit und die teurer gewordenen Grundnahrungsmittel. Den Unmut der Tunesier hatten weiters die mangelnden Freiheiten, die Unterdrückung der Presse sowie die Zensur im Internet erregt, was in Verbindung mit der Wut über die weit verbreitete Korruption das Fass schließlich zum Überlaufen brachte. Der machtgierige Clan rund um Ben Ali - besonders die skrupellose Familie seiner Frau - hatte etwa bei Privatisierungen in den vergangenen Jahren kräftig mitgeschnitten und ein geschätztes Vermögen von rund fünf Milliarden Dollar an sich gerissen.

Man sagt der Familie Trabelsi, die von den Tunesiern als "die Mafia" bezeichnet wird, zahlreiche Missetaten nach: Belhassen, der älteste Bruder der First Lady, soll etwa an mehreren Hotels, Radio- und TV-Sendern und einer Airline beteiligt sein und obendrein vom Autohandel, bevorzugt mit den Marken Fiat, Ford und Porsche, und einer Immobilienfirma profitiert haben. Obendrein zählen große Handelsketten, industrielle Produktionsstätten und Geldhäusern wie der Zitouna-Bank - die am Montag verstaatlicht wurde - zu den permanent sprudelnden Geldquellen der Family, die es laut Fritz Edlinger, Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen, "zu weit getrieben hat".

Österreich half mit"Soft loans" aus

Die EU hat auf die blutigen Ausschreitungen kaum reagiert, aus Frankreich etwa, wo 600.000 Tunesier leben, waren zunächst so gut wie keine politischen Kommentare zu hören. Erst relativ spät stellte sich Präsident Nicolas Sarkozy "auf die Seite des tunesischen Volkes". Offenbar sollten die guten Wirtschaftsbeziehungen mit Tunesien nicht gefährdet werden. Die EU erwies sich bisher, so die spanische Tageszeitung "El Pais", "als Faulenzer und brachte nicht mehr als ihre euromediterrane Rhetorik zustande".

Als wichtigster Handelspartner des Maghreb-Staates - ihr Anteil macht sowohl bei tunesischen Exporten als auch bei Importen mehr als 70 Prozent aus - setzte die EU stets auf das beliebte Urlaubsland und duldete das repressive Regime stillschweigend. Erst im Vorjahr schloss Brüssel ein Freihandelsabkommen für Industrieprodukte ab.

Österreich, das für immerhin 6000 Tunesier zur neuen Heimat geworden ist, war Tunesien ebenfalls immer besonders zugetan. Im Jänner 2007 trat ein bilaterales Rahmenabkommen über finanzielle Kooperationen zwischen den beiden Ländern in Kraft. Vereinbart wurde die Gewährung österreichischer Soft Loans für Exportgeschäfte im Ausmaß von 75 Millionen Euro. Via Kontrollbank und Geschäftsbanken wurden Exporteure beim Markteintritt in Tunesien unterstützt. Die öffentliche Hand gestand dabei eine Schenkungskomponente von mindestens 35 Prozent zu - wenngleich die Republik Tunesien "unwiderruflich und unbedingt die Erfüllung aller (.. .) Zahlungsverpflichtungen" garantierte.

Die Wirtschaftskammer ortete im idyllischen Ferienparadies, das die sozialen Spannungen stets konterkariert hat, große Chancen für heimische Unternehmen, von denen erst wenige vor Ort sind, darunter die OMV, Mayr Melnhof Karton oder die zur Mondseer Christ Water Technology gehörige Aqua Engineering N.A. Sarl in Tunis, die auf Trinkwasseraufbereitungs-, Abwasserbehandlungs- und Meerwasser-Entsalzungsanlagen spezialisiert ist. Erst im vergangenen November besuchte eine aus 21 Teilnehmern bestehende Wirtschaftsmission unter Führung der kämmerlichen Außenwirtschaft Österreich (AWO) den Maghreb-Raum, um bestehende Geschäfts- und Investitionschancen zu sondieren.

Auch Weltbank und EBRD finanzierten

Erst vor kurzem hatte Tunesien mit der Weltbank eine Vereinbarung über neue Kredite in Höhe von 176 Millionen US-Dollar unterfertigt. Mit dem Geld sollte unter anderem das Abwassersystem im Norden von Tunis erneuert, die Qualität von Agrarböden verbessert und ein Programm für Arbeitslose finanziert werden. Auch die Europäische Investitionsbank zeigte sich mehrmals freigiebig. Die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) wiederum gewährte dem Land seit 2007 Kredite über 1,5 Milliarden Euro, mit denen das Straßennetz erneuert werden sollte.

2500 Auslandsfirmen im Billiglohnland

Präsident Ben Ali, der 1987 seinen Vorgänger Habib Bourghiba nach 31 Regierungsjahren mit der Begründung aus dem Amt getrieben hatte, dieser sei "zu alt, zu krank und zu senil", schrieb den wirtschaftlichen Aufstieg des Landes auf seine Fahnen, ohne auf die sozialen Probleme Rücksicht zu nehmen.

Zu seiner Freude haben sich internationale Investoren scharenweise im Billiglohnland niedergelassen. So etwa siedelten sich mehr als 200 Autozulieferer in Tunesien an, unter ihnen Dräxlmaier, Valeo, Leoni, Kromberg und Schubert oder der Reifenhersteller Pirelli. Sie stellen Kabel, Elektrokomponenten, Kunststoff- oder mechanische Teile überwiegend für europäische Abnehmer wie Daimler, Audi, VW, Renault, Peugeot und Fiat her. Der Präsident wollte das Land zuletzt auch für Luftfahrtzulieferer zum attraktiven Produktionsstandort machen: Ein 20 Hektar großes Industrieareal in El Mghira, wo die französische Airbus-Tochter Aerolia Komponenten für den Airbus herstellen möchte, ist als Kompetenzzentrum für rund 150 Airline-Lieferanten konzipiert.

Insgesamt sind in Tunesien derzeit mehr als 2500 internationale Unternehmen mit immerhin 270.000 Mitarbeitern präsent, darunter Weltkonzerne wie Unilever, Nestlé, Siemens oder Caterpillar.

Trotz herbem Rückschlag im Krisenjahr 2009 schien der Invest-Boom 2010 wieder anzuspringen, rund 130 Firmen mit ausländischer Beteiligung starteten die Fertigung. Ben Ali, dessen Clan auch Investoren bisweilen zur Kasse bat, versprach erst vor kurzem 160.000 neue Arbeitsplätze, die bis 2016 allein im High-Tech-Bereich entstehen sollten. Die blutigen Unruhen könnten allerdings etliche Projekte jäh stoppen oder zumindest massiv verzögern (siehe Kasten).

Auch rot-weiß-rote Unternehmen waren geschockt: Die OMV ließ fast alle tunesischen Mitarbeiter ausfliegen, auch der niederösterreichische Schalungsspezialist Doka zog seine Leute aus Zarzis und Tunis ab. Die für Februar geplante nächste Reise der AWO, die dem Thema Schienenverkehr gewidmet werden sollte, wurde ebenso abgesagt wie ein AWO-Forum am 23. Februar - geplanter Titel: "Tunesien: Ein verlässlicher Partner Europas in Nordafrika".

Manche scheint es indes keineswegs zu stören, sollte sich in Tunesien kein grundlegender Machtwechsel abzeichnen. Das australisch-österreichische Explorationsunternehmen ADX Energy etwa schloss soeben einen Vorvertrag zur Erschließung des Sidi Dhaher-Projekts in der Nähe der Hafenstadt Sfax ab und möchte schon Ende Februar mit der Bohrung starten - sofern, wie Managing Director Wolfgang Zimmer einschränkt, "die tunesischen Behörden die entsprechenden Genehmigungen erteilen". Auch bei der OMV herrscht keine Panik: Das Closing des neuesten Deals, ist man überzeugt, werde demnächst stattfinden.

Milliardenprojekte bleiben vorerst auf Eis

Österreich rangiert in Tunesien noch unter ferner liefen: Nur wenige rot-weiß-rote Unternehmen haben sich dort angesiedelt, darunter die OMV, Mayr Melnhof Karton, Doka, VA Tech Wabag oder Aqua Engineering. Der Warenaustausch bewegt sich ebenfalls in bescheidenen Dimensionen: Nach einem massiven Rückschlag 2009 - Importen von 88 Millionen Euro standen Ausfuhren von 67 Millionen gegenüber - stiegen Österreichs Ausfuhren im Vorjahr wieder um rund 16 Prozent an, womit der Maghreb-Staat für Österreichs Wirtschaft als Exportdestination in etwa so wichtig wie Neuseeland ist.

Die Importe aus Tunesien gingen 2010 erneut um fast 20 Prozent zurück, die Handelsbilanz war nahezu ausgeglichen. Als beliebtes Urlaubsparadies lockte das Land 2010 rund 60.000 Österreicher an.

In Scharen haben sich indes in den vergangenen Jahren vor allem Investoren aus EU-Staaten wie Frankreich, Italien und Deutschland im nordafrikanischen 10,4 Millionen-Einwohner-Staat niedergelassen: Bei Stundenlöhnen von nicht ein einmal zwei Euro ist Tunesien für etliche Autozulieferer, aber auch die Modefirmen Benetton oder Gardeur, die französische Zodiac Aerospace sowie asiatische Giganten wie Sumitomo oder Hutchinson zur Alternative von Osteuropa geworden.

Unternehmen aus aller Herren Länder errichten oder planen gerade Produktionsstätten, darunter Philips, Mitsui, die Energieriesen ENI und Linde, der deutsche Autozulieferer Dräxlmaier und die französische Textilkette Zannier. Auch im Tourismusbereich - die RIU Hotels etwa sperrten kürzlich in Djerba ihre zehnte Hotelanlage auf - tut sich viel.

Etliche riesige Projekte im Planungsstadium sind jetzt gefährdet, beispielsweise die Errichtung eines Windparks mit einer Kapazität von 60 Megawatt, der Bau eines eine Milliarde Euro teuren Ferienareals in Bizerte oder die von der Europäischen Investitionsbank finanzierte Renovierung des tunesischen Erdgasübertragungs- und -verteilungsnetzwerks.

Die Aktienkurse an der mit einer Marktkapitalisierung von 10 Milliarden US-Dollar ohnedies bescheidenen Börse Tunis sind abgestürzt, die staatliche tunesische Telekom kann den geplanten Börsengang in Paris vorerst vergessen. Alles deutet darauf hin, dass Tunesien von ausländischen Investoren so lange links liegen gelassen wird, bis es eine stabile politische Situation, sozialen Friede und Rechtssicherheit gibt.