Die Volksbefragung erfüllt auf jeden Fall einen Zweck. Und der Zweck wird in diesem Fall mit einem Spiel über verschiedene Sichtweisen vorangetrieben. Nach den Spielregeln der SPÖ.
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Der Wiener Bevölkerung soll vermittelt werden: Wir wollen euch einbinden. Wir wollen euch entscheiden lassen, was in der Stadt passiert. Den Medien soll vermittelt werden: Das ist wirklich so. Und der Eigennutz für die Urheber der Volksbefragung ist gleichermaßen omnipräsent wie unauffällig: Werbung für die Volksbefragung. Auf unzähligen Inseraten, im Radio, im Fernsehen, auf Plakaten. Überall. Werbung für die SPÖ. Aber das ist natürlich nur eine Sichtweise.
In den USA etwa werden Volksabstimmungen sogar am selben Tag abgehalten wie Kongresswahlen. Auch in Wien sei der zeitliche Zusammenhang zwischen Volksbefragung und Gemeinderatswahlen offensichtlich, meinte unlängst Fritz Plasser, Dekan der Fakultät für Politikwissenschaften an der Universität Innsbruck, in einem "Ö1-Mittagsjournal". Das ist auch eine Sichtweise.
"Die Volksbefragung hat mit der Gemeinderatswahl überhaupt nichts zu tun", wird dann Wiens Bürgermeister Michael Häupl nicht müde zu betonen. Und er scheint überzeugt davon zu sein. Schließlich könnte man angesichts der wahlkampfbedingten Sensibilisierung der Bevölkerung genauso gut von einem besonders geeigneten Zeitpunkt für eine Volksbefragung sprechen. Das ist eine andere Sichtweise.
"Es ist manipulativ, wenn über eine Citymaut abgestimmt werden soll, ohne im Vorfeld überhaupt zu wissen, wie diese einmal aussehen könnte", kritisierte ein Journalist beim Pressegespräch des Bürgermeisters diese Woche. Das ist eine Sichtweise.
"Je mehr im Vorfeld festgelegt wird, desto tendenziöser wäre das", antwortete die für die Volksbefragung zuständige Stadträtin Sandra Frauenberger. Das ist eine andere Sichtweise.
Und was für die einen eine suggestive Fragestellung bedeutet - etwa bei den Ganztagsschulen: "Internationale Studien zeigen, dass die Ganztagsschule der entscheidende Erfolgsfaktor für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie darstellt (sic!) sowie das Bildungsniveau der Bevölkerung deutlich hebt. Sind Sie für ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen in Wien?" - das ist für Häupl nur die Darstellung einer Tatsache; schließlich beruft man sich auf internationale Studien .. . eben alles eine Sache der Sichtweise.
Stellt sich nur die Frage, wie relevant die Sichtweisen überhaupt sind. Das Spiel läuft. So oder so. Denn egal, ob reine Wahlkampfstrategie oder das zufällige Nebenprodukt einer selbstlosen Aktion für das Wohl der Wiener Bevölkerung - eines steht fest: Von der Volksbefragung der SPÖ weiß mittlerweile fast jeder einzelne Wiener. Viele andere (vielleicht auch für die SPÖ unangenehme) Themen sind in den Schatten der Volksbefragung und deren Themen gerückt. Und am Ende bekommt die Wiener SPÖ direkt von der Bevölkerung die Legitimation für Projekte, die sie ohnehin umsetzen wollte. Und eine wichtige Botschaft ist auch angekommen: Uns interessiert die Meinung der (bald wählenden) Bevölkerung. Die Opposition kann bei dem Spiel nur zusehen und vor Wut schäumen.
Spiel gewonnen. Zumindest die erste Runde. Aber das ist auch nur eine Sichtweise.
Viel Lärm um des Volkes Meinung