Abgeordnete werden scheel angesehen, wenn sie zusätzlich einem Brotberuf nachgehen - dabei entspricht das doch der Idealform des Parlamentarismus.
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Medien und Politik schießen sich immer wieder auf die diversen "Nebenbeschäftigungen" von Abgeordneten ein. Doch schon dieses Wort muss Einwände auslösen. Gerät ein Volksvertreter denn wirklich in ein schiefes Licht, wenn er neben seinem Mandat auch einem Erwerb nachgeht? Es entspricht doch seit der Polis des alten Griechenland dem Idealbild der Demokratie: Bürger - heute beiderlei Geschlechts - versammeln sich, um den Willen des Volkes zu artikulieren. Als gleichsam "normale" Menschen, die mitten im Leben stehen, also auch in einem ordentlichen Beruf.
Die öffentliche Meinung vollzieht da einen merkwürdigen Schwenk. Schimpfte man früher über Leute, die nach der "Ochsentour" Berufspolitiker geworden sind, und pries man Quereinsteiger, so wünscht man sich heute offenbar im Gegenteil Mandatare weit weg von den Niederungen des Wirtschafts- und Erwerbslebens. Doch dabei sollte man nicht auf einem Auge blind sein. Ist es doch Tradition des österreichischen Parlamentarismus, dass die Parteien Interessenvertreter aller Art mit einem Sitz im Hohen Haus ausstatten und ihnen so die Möglichkeit bieten, ihre Klientel zu vertreten.
Sind nicht Gewerkschafts- und Kammerfunktionäre geradezu klassische Lobbyisten? Ihr Amt wird geradezu geheiligt durch die Sozialpartnerschaft, die sich längst als mächtige Konkurrenz des Parlamentarismus etabliert hat. Daneben finden bedeutende Bevölkerungsschichten und deren Anliegen keine Repräsentationen. So sehr ein Interessenausgleich der Demokratie und dem sozialen Frieden dient, werden so die Anliegen vieler Menschen übersehen, obwohl sie der Fürsprecher sehr bedürften.
Es ist klar, dass die Abgeordnetentätigkeit viel Zeit und Kraft in Anspruch nimmt, weswegen es schwer ist, gleichzeitig auch noch dem ursprünglichen Beruf nachzugehen. Diesen ganz aufzugeben, erscheint aber im Sinne eines wahrhaft volksnahen Parlamentarismus keineswegs wünschenswert. Es geht ja auch um die Rückkehr nach dem Ende der politischen Tätigkeit - ist doch nicht jeder im öffentlichen Dienst abgesichert. Die Abhängigkeit der Mandatare von Politik und Parteien ist ein Übel, das am besten vermieden wird, indem sie sich selbst eine bürgerliche Existenz aufbauen.
Freilich mag es bei einzelnen Berufen zu Kollisionen der Interessen kommen, und da gilt es dann natürlich aufzupassen. Doch warum sollte ein Arbeitnehmer, ein Gewerbetreibender, ein Bauer oder ein Freiberufler nicht Volksvertreter sein? Deutlich spürt man, dass da auch scheel auf übermäßiges Einkommen geblickt wird, obwohl durch die Progression vom Berufsertrag jedenfalls die Hälfte weggesteuert wird.
Wir sollten also eine im Sinne der Demokratie gefährlich einseitige Sicht vermeiden. Nämlich jene, die Aufgabe eines Parlamentariers als nicht vereinbar mit einem Erwerb anzusehen, sehr wohl aber mit einer Tätigkeit in der staatlichen Verwaltung, in einer Interessenvertretung oder gar in einer politischen Partei selbst.