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Drei Migranten haben eine reale Chance, in den Nationalrat einzuziehen.
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Wien. Auch wenn sich die Parteien nur sehr zaghaft annähern. Eines steht fest: Die Gruppe der Migranten wird in diesem Wahlkampf stärker umworben als noch in den Wahlkämpfen zuvor, wie auch der Markt- und Meinungsforscher Peter Hajek beobachtet hat. Ob die Parteien bei den Migranten auch punkten, darf allerdings bezweifelt werden: "Nur durch die Art des Zugangs sieht man, dass die Politik noch nicht weiß, wie sie mit den Migranten umgehen soll", sagt er bei einer Podiumsdiskussion mit dem Thema "Migranten im Wahlkampf - unterschätze oder überschätze Größe?", veranstaltet vom Verein Wirtschaft für Integration.
Dass sich die Parteien bei dem Thema nicht ganz wohl fühlen, lässt sich auch daraus ablesen, dass mit Alev Korun (Grüne), Nurten Yilmaz (SPÖ) und Asdin El-Habbassi (ÖVP) nur drei Migranten eine reale Chance haben, nach der Wahl in den Nationalrat einzuziehen. Die Unternehmensberaterin Ksenija Andelic würde den derzeitigen Bemühungen der Politiker daher auch nicht viel abgewinnen können. Auch wenn Politiker jetzt diverse "Folklore-Veranstaltungen" besuchen würden, so würde nach der Nationalratswahl nichts davon übrig bleiben, auch weil zu wenige Politiker eine Migrationsgeschichte haben."
Caglayan Caliskan, ebenfalls Unternehmensberater, ist da anderer Meinung. Auch wenn es mehr Migranten im Nationalrat gebe, wäre das für die Qualität der Politik nicht ausschlaggebend: "Ich glaube nicht, dass das Aufstellen von 100 Personen mit Migrationshintergrund in den Parteien was an der Glaubwürdigkeit der Parteien ändern würde." Allerdings sei es wichtig, dass möglichst viele Migranten im Wahlkampf für die Parteien werben. Denn auch Wahlkampf ist Politik. Caliskan stellt aber klar, dass er von den Parteien nicht als Migrant, sondern als österreichischer Staatsbürger angesprochen werden will.
Die neue Einsicht der großen Traditionsparteien
Dass sich die Parteien - vor allem ÖVP und SPÖ - nun verstärkt um Migrantenstimmen bemühen, kommt für Peter Hajek nicht von ungefähr. Diese neue Einsicht zeigt, dass die beiden Traditionsparteien im Gegensatz zu früher klein geworden sind, sagt der Markt- und Meinungsforscher. Daher zähle jede Stimme. "Bis vor ein paar Jahren wurden Migranten noch dazu verwendet, um auf sie hinzuhauen."
Die Unsicherheit der Parteien im Umgang mit Migranten liege für ihn darin begründet, dass "die Migranten" eben keine homogene Gruppe seien. "Diese Gruppe ist völlig unberechenbar, weil man nicht weiß, wie sie wählen", so Hajek. Deswegen sei die Politik auch gegen eine Ausweitung des Wahlrechts für Menschen mit Hauptwohnsitz und ohne Staatsbürgerschaft. Die Wirtschaft sei hier schon weiter, Stichwort Ethnomarketing.
Hajek ist derselben Meinung wie Caliskan: "Wenn Menschen so simple gestrickt wären, dass sie Migranten wählen, weil sie selber Migrant sind, dann würden etwa alle Frauen auch nur Frauen wählen."
Kenan Güngör, Soziologe, warnt davor, Migranten in der Politik nur für Migrantenthemen einzusetzen. "Diese intellektuelle Kastrierung halte ich für sehr problematisch." Dadurch würden Migranten nur auf ein Thema reduziert werden. Als Mann kann man etwa auch über Frauen-Themen reden. Und das sei gut so.
Ein Drittel Bauern und keine Angestellten
Derzeit ist Alev Korun die einzige Migrantin im Nationalrat. Hajek: "Wenn wir danach gehen, dass Politiker im Nationalrat alle Bevölkerungsgruppen repräsentieren, dann hätten wir ein Drittel Bauern im Land und keine Angestellten." Fehlende oder überproportionale Repräsentation habe keine unmittelbare Rückwirkung auf die Wahlbeteiligung, unterstreicht er.
Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch, beurteilt den derzeitigen Wahlkampf positiv. "Man sieht, dass sich in den vergangenen Jahren etwas bewegt hat." Ein kleiner Meilenstein sei für ihn die Nominierung des muslimischen Kandidaten Asdin El-Habbassi bei der ÖVP. Die Partei hätte erstmals einen Kandidaten ohne christlichen Hintergrund.
Migranten wurden im Wahlkampf als Zielgebiet erkannt, sagt Kenan Güngör. Nur würde man nicht dazu stehen. Das sei ein typisch österreichisches Phänomen. "Man holt Zuwanderer und schämt sich dafür, man tritt der Europäischen Union bei und schämt sich dafür."
Fritz Hausjell, Kommunikationswissenschafter, wünscht sich für die kommende Legislaturperiode ein Integrationsministerium. Erneut wiederholt er seine Kritik gegenüber der Regierung, die das Thema Migration im Integrationsstaatssekretariat und dieses im Innenministerium ansiedelte. "Das ist das falsche Signal. Man hat das Thema Frauen auch nicht beim Sport angesiedelt."
In ferner Zukunft sollte dann auch ein Integrationsministerium nicht mehr nötig sein, wünscht sich Hausjell. Nämlich dann, wenn Migration für die Politik und die Mehrheitsgesellschaft als selbstverständlich gilt.