Kanzler Kern will 200.000 neue Jobs bis 2020 schaffen. "Vollbeschäftigung" aber bleibt reine Rhetorik.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 8 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Im ORF-"Sommergespräch" am Montagabend ließ Kanzler Christian Kern mit ambitionierten Zielen im Kampf gegen die hohe Arbeitslosigkeit aufhorchen. In vier Jahren, bis 2020, will Kern 200.000 neue Arbeitsplätze schaffen. "Das Ziel ist Vollbeschäftigung", so die vollmundige Ankündigung des SPÖ-Vorsitzenden.
Mit seinen hochgesteckten Zielen stößt Kern auch bei den Wirtschaftsvertretern auf Zustimmung. Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl unterstützt die Pläne des Kanzlers. Bei einem angenommenen Wirtschaftswachstum von jährlich 1,4 Prozent und einer Beschäftigungsnachfrage von 1,2 Prozent könnte es den heimischen Betrieben bis 2021 gelingen, fast 200.000 zusätzliche Jobs zu schaffen. Wirtschaftsforscher und Arbeitsmarktexperten wie Helmut Hofer vom Institut für Höhere Studien (IHS) halten das Ziel für "machbar", aber für ambitioniert.
Glaubt man Wirtschaftsforscher Hofer, wird es allerdings nicht der Kanzler allein sein, der das Plus an Beschäftigung schaffen wird. Die IHS-Prognose geht beim momentanen Wirtschaftwachstum ohnehin von einem Zuwachs von 150.000 Jobs bis 2020 aus - blieben also 50.000 Arbeitsplätze, die es zusätzlich zu schaffen gilt.
Maßnahmen im November
Dafür aber müsse Kern einiges tun, sagte Hofer am Dienstag im Ö1-"Mittagsjournal". Einen positiven Effekt auf das Jobangebot würden Investitions- und steuerliche Anreize oder eine Liberalisierung der Gewerbeordnung bringen. Letztere zu "deregulieren", wie Vizekanzler Reinhold Mitterlehner nicht müde wird zu betonen, steht ohnehin auf der Tagesordnung der Koalition. Wobei es fraglich bleibt, ob sich die Wirtschaftskammer in dieser jahrelangen Debatte öffnet. Dass mehr Arbeitsplätze auch gleichzeitig weniger Arbeitslose bedeuten und damit Kerns Ziel der Vollbeschäftigung zumindest denkbar wäre, hält Hofer für unwahrscheinlich. Durch den Zuzug von Flüchtlingen und Migranten auf den Arbeitsmarkt und der steigenden Beschäftigung von Frauen und Älteren könne die hohe Arbeitslosigkeit mit den zusätzlichen Jobs "kaum gesenkt" werden, sagt Hofer. Bestenfalls werde eine Stagnation auf hohem Niveau eintreten. Mit welchen Maßnahmen der Kanzler konkret Jobs schaffen will, war am Dienstag aus dem Kanzleramt nicht zu erfahren. Teile der Pläne seien zwar fertig, man wolle aber nicht mit unvollständigen Maßnahmen an die Öffentlichkeit gehen. Einen Monat muss sich diese also noch gedulden. Am 25. Oktober soll die Arbeitsgruppe "Wirtschaft und Arbeitsmarkt", am 2. November jene für "Deregulierung und Entbürokratisierung" die Maßnahmen vorstellen, die das von Kern angekündigte Mehr an Beschäftigung schaffen sollen. In den Bereichen Start-ups, Forschung und Technologie soll es am 8. November weitere Beschlüsse geben. Kerns "New Deal"-Vorhaben gehen also in die heiße Phase. Mit seiner Ankündigung, sich Vollbeschäftigung als Ziel zu setzen, greift Kern nun abermals auf einen Begriff aus einer Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs und positiver Grundstimmung zurück.
Zurück in die Zukunft?
Für den Wirtschaftshistoriker Dieter Stiefel ist das pure Rhetorik. Als am Ende der 1950er Jahre der Wiederaufbau abgeschlossen war, führte der Aufholprozess durch private Investitionen in langfristige Konsumgüter wie Autos oder Haushaltsgeräte schließlich in die "goldenen Jahre" der 60er und 70er und damit in die Vollbeschäftigung, ruft Stiefel in Erinnerung. Um die Arbeitslosigkeit gegen null zu senken, müsste sich der Staat - wie oft in der Vergangenheit in Zeiten konjunktureller Schwäche - verschulden. Dies sei in größerem Umfang heute aufgrund der Staatsschulden nicht mehr möglich.
Bliebe also ein stärkeres Wirtschaftswachstum. Gelänge es, die Wirtschaft stark anzukurbeln, würden durch den offenen Arbeitsmarkt innerhalb der EU erst recht zusätzlich Arbeitssuchende nach Österreich gelockt. Schon jetzt sei der "Mismatch" zwischen niedrigqualifizierten Arbeitssuchenden und dem Bedarf nach Hochqualifizierten ein Hauptproblem, wie auch IHS und Wirtschaftsforschungsinstitut betonen. "Es müssten also die großen Volkswirtschaften der EU stark wachsen, dann würden wir mitwachsen", sagt Wirtschaftshistoriker Stiefel.
Also doch nur "Soundbites", um das Wirtschaftsklima positiv zu beeinflussen und Journalisten zu beschäftigen, obwohl Kern das vermeiden wollte? So hart sieht das Stiefel nicht. Neue, positive Rahmenbedingungen hätten zumindest längerfristig einen Effekt auf die Arbeitslosigkeit.