Die Staaten des reichen Europas klagen über den Flüchtlingsansturm, doch viel ärmere Länder schultern viel größere Lasten.
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Rom/Genf. Pozzallo an der Südküste Siziliens zählt keine 20.000 Einwohner. Und auch wenn kaum jemand in Europa das kleine Städtchen namentlich kennt, steht es doch für eines der drängendsten und erschütterndsten Probleme des Kontinents. Allein im vergangenen Jahr kamen in Pozzallo rund 30.000 verzweifelte Bootsflüchtlinge aus Nordafrika an, das entspricht einem Fünftel aller in Italien angelandeten Flüchtlinge.
Orte wie Pozzallo, die mit einer großen Anzahl von Flüchtlingen konfrontiert sind, gibt es viele auf der Welt. Die wenigsten von ihnen liegen laut den Daten des UN-Flüchtlingshochkommissariats UNHCR aber in Europa. Viel mehr haben jene, die alles verloren haben, in Ländern Zuflucht gefunden, die oft selbst mit Armut und Not zu kämpfen haben.
Die mit Abstand größte Zahl an Flüchtlingen beherbergt derzeit Pakistan, wo noch immer knapp 1,6 Millionen Menschen leben, die vor Gewalt und Bürgerkrieg aus Afghanistan geflohen sind. Im Gegensatz zu den frühen 90er Jahren, als knapp sechs Millionen Vertriebene aus der Hindukusch-Region gezählt wurden, sind die Afghanen heute aber nicht mehr die größte Flüchtlingspopulation.
Mit mehr als drei Millionen kommen die meisten Flüchtlinge aus Syrien, einem Land, das vor zwei Jahren nicht einmal unter den Top 30 zu finden war. Und die meisten syrischen Vertriebenen finden in einem Land Unterschlupf, das alle europäischen Klagen über erreichte Kapazitätsgrenzen drastisch relativiert. Seit Beginn des blutigen Bürgerkrieges in Syrien im Jahr 2011 hat der gerade einmal vier Millionen Einwohner zählende Libanon knapp 1,2 Millionen Flüchtlinge aufgenommen.
Entsprechend wenig kann der selbst seit Jahrzehnten um Stabilität ringende Staat aber für die Syrer, die nicht in Lagern, sondern integriert in den Gemeinden untergebracht sind, tun. Trotz internationaler Hilfe leben daher viele Flüchtlinge im Libanon in bitterster Armut. Medikamente und warme Kleidung - mitunter aber auch eine sattmachende Mahlzeit - sind oft ein ferner Luxus. Hinzu kommen konfessionelle Spannungen zwischen Flüchtlingen und Ansässigen sowie die Angst der Einheimischen, die syrischen Vertriebenen könnten den Bürgerkrieg mit ins Land bringen.
Schweden als Spitzenreiter
Nicht viel besser ist die Situation im ebenfalls an Syrien grenzenden Jordanien, das so wie die Türkei rund 800.000 Flüchtlinge aufgenommen hat. Auf tausend Jordanier kommen damit 114 Vertriebene aus Syrien. In Schweden, jenem europäischen Land, das in Relation zu seiner Größe mit Abstand die meisten Flüchtlinge aufgenommen hat, sind es gerade einmal zwölf. Auch wenn man die absoluten Zahlen betrachtet, liegt Europa weit vom Spitzenfeld entfernt. Nimmt man die knapp 450.000 Asylwerber mit laufenden Verfahren dazu, dann beherbergte der Kontinent Mitte 2014 knapp 1,6 Millionen Flüchtlinge - knapp 30 Prozent mehr als der 120 Mal kleinere Libanon.
In Europa hat Deutschland mit knapp 360.000 die meisten Flüchtlinge und Asylwerber aufgenommen. Dahinter rangieren Frankreich (300.000) und Schweden (150.000). Österreich, das von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner zuletzt immer wieder als "Übererfüller" bezeichnet wurde, kommt laut UNHCR auf fast 80.000. Damit liegt man nur knapp hinter Italien, das mit Abstand die meisten Ankünfte von Bootsflüchtlingen verzeichnet.