In London sorgt die Debatte um die Mitbestimmung des Parlaments beim britischen EU-Austritt für Zwistigkeiten.
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London. Bisher sind die Abgeordneten der konservativen Regierungspartei in London in den Brexit-Debatten gehorsam hinter ihrem Kabinett hergetrottet. Nun aber, da die Verhandlungen mit der EU stocken, denken einige Tories erstmals ernsthaft an Rebellion. Die Exekutive, die einen gefährlichen Weg eingeschlagen habe, dürfe nicht länger unangefochten den Brexit-Kurs bestimmen, meinen Abgeordnete wie Dominic Grieve, ein früherer Tory-Generalstaatsanwalt: Die Kontrolle über die Trennung von der Gemeinschaft müsse an Westminster, an die Volksvertretung, übergehen.
Zehn Tory-Parlamentarier erheben mittlerweile offen diese Forderung. Sie halten den Brexit-Kurs von Premierministerin Theresa May generell für "fatal". Gelegenheit zum Aufbegehren liefert ihnen das "Gesetz zum Austritt aus der EU", das just durchs Unterhaus geht. Gestern, Dienstag, begann die wichtige Ausschussphase der Gesetzesbehandlung, die sich bis Weihnachten hinziehen kann.
Mit Hilfe dieser Regelung soll sichergestellt werden, dass am Tage des Austritts aus der EU alles EU- in britisches Recht übergeht, damit die Abkoppelung von der Union glatt über die Bühne gehen kann. Das einkopierte Recht - ein Wust an Gesetzen, Direktiven und Urteilen - soll dann in den Jahren nach dem Brexit in London in Ruhe durchforstet werden, damit in eigener Regie entschieden werden kann, was zu behalten ist und was nicht.
"Eine der dümmsten Ideen"
Gegen dieses Austritts-Gesetz sind aber zahlreiche Einwände geltend gemacht worden. So widerstrebt es zum Beispiel Politikern aus allen Parteien, das von May gewählte Austrittsdatum, den 29. März 2019, in diesem Gesetz festzuschreiben - wie es die Regierung will.
So etwas, klagt Dominic Grieve, sei "eine der dümmsten Ideen", die er je gehört habe. Damit binde sich die Regierung an einen fixen Termin, statt sich für den Notfall weiteren Verhandlungsspielraum offen zu halten.
Die prominente konservative Hinterbänklerin Anna Soubry, früher Wirtschaftsstaatssekretärin, verdächtigt May und ihre Minister mittlerweile, den EU-Austritt in blindem Fanatismus durchdrücken zu wollen: "Die Regierung bereitet einen harten Brexit vor - oder einen Brexit ganz ohne Deal mit der EU."
Der Hauptstreit beim Austrittsgesetz dreht sich freilich um die Frage, welche Rechte dem Parlament zustehen, zum Abschluss der Verhandlungen mit der EU oder bei deren möglichem Kollaps. Um den Widerstand der Rebellen in der eigenen Partei zu brechen, bot Brexit-Minister David Davis am Montagabend an, den Parlamentariern werde, wenn es so weit sei, ein spezielles Gesetz mit dem Verhandlungsergebnis zur Begutachtung und zur Abstimmung vorgelegt.
Das sah zunächst nach einem Zugeständnis an Westminster aus. Labours Brexit-Sprecher Sir Keir Starmer etwa freute sich spontan über den "Rückzieher" einer "schwachen Regierung". Schnell wurde freilich klar, dass Davis keineswegs vorhatte, den Abgeordneten eine echte Wahl zu geben.
Angebot ohne Alternative
Sollten sie den von der Regierung ausgehandelten Deal mit der EU ablehnen, müsse Großbritannien eben ganz ohne Deal aus der EU ausscheiden, erklärte Davis. Auf die Frage, ob der Brexit am 29. März 2019 auch vollzogen werde, falls das Parlament seine Zustimmung verweigere, sagte Davis: "Ja."
Selbst Änderungsanträge, erklärte der Minister, könnten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr berücksichtigt werden. Eine Garantie dafür, dass dem Parlament der Deal überhaupt rechtzeitig zugestellt werde, verweigerte er. Und bei einem ergebnislosen Abbruch der Verhandlungen, fügte Davis hinzu, gebe es fürs Parlament selbstverständlich gar nichts zu besprechen: Dann werde den Abgeordneten auch kein Vertragsgesetz vorgelegt.
Empört reagierten nicht nur Oppositions-Politiker, sondern auch Tory-Hinterbänkler auf diese Finte der Regierung. Ein Angebot ohne jegliche Alternative, meinten sie, sei "die reinste Beleidigung". Davids Vorschlag sei "kein Zugeständnis", sondern "völlig bedeutungslos", urteilte die Tory-Abgeordnete Antoinette Sandbach. Die frühere Bildungsministerin Nicky Morgan nannte es "ein Zugeständnis nur dem Namen nach". Anna Soubry berichtete am Dienstag von "echtem Zorn" in der Tory-Fraktion.
Allerdings müssten mindestens ein Dutzend Tories gegen die eigene Regierung stimmen, wenn die Frage der Parlamentsbefugnisse, wahrscheinlich irgendwann im Dezember, zur Entscheidung kommt.
Unterdessen verstärkt die Regierung stündlich den Druck auf ihre unbotmäßigen Hinterbänkler - mit der Drohung, eine Unterhaus-Niederlage "für den Brexit" könne zu einer Neuwahl und zur Regierungsübernahme durch Labours Linkssozialisten Jeremy Corbyn führen.