Die Anpassung beruht auf falschen Grundsätzen. | Es gibt keine Mindestpensionen. | Ärger ist schon vorprogrammiert. | Wien. Die Wogen um die letzte Pensionsanpassung gehen hoch, und die maßgeblichen Politiker können ihre Ahnungslosigkeit über das, was sie beschlossen haben, nicht verbergen.
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Ihnen wird vorgeworfen, man könne doch Pensionen, die niedriger sind als "Mindestpensionen", nicht schlechter anpassen als diese. Die Aufregung hat gute Gründe. Zum einen haben die Politiker Grundlagen unseres Pensionssystems verletzt und zum anderen nicht einmal versucht zu erklären, was sie getan haben. Nun sehen sie sich dem Vorwurf ausgesetzt, sozial ungerecht vorgegangen zu sein.
Was aber ist sozial ungerecht? In erster Linie muss es darum gehen, dass die Grundlagen, auf denen ein Pensionssystem aufbaut, gerecht erscheinen. Dafür bieten sich zwei sehr unterschiedliche Systeme an.
Das erste geht davon aus, dass die Pension für alle gleich hoch sein soll, um den notwendigen Lebensbedarf zu sichern - also eine Grundsicherung darstellt. Finanziert werden soll sie nicht durch Beiträge, sondern aus Steuermitteln. Wo immer dieses System eingeführt wurde - zum Beispiel in Großbritannien -, zeigte sich allerdings bald, dass die Bevölkerung damit nicht zufrieden war, da die Pension für viele nicht ausreichte, um ihren Lebensstandard aufrecht zu erhalten. Die Folge waren Ergänzungen durch beitragsfinanzierte Zusatzpensionen, die zu unterschiedlichen Pensionshöhen führten.
Das andere System, das auch in Österreich eingeführt ist, ist das beitragsfinanzierte System. Dieses will erreichen, dass die Pensionshöhe möglichst einen Absturz aus dem im Erwerbsleben erreichten Lebensstandard verhindert. Daher hängt die Pensionshöhe von der Versicherungsdauer und von der Höhe der Beitragsleistungen ab.
Im Grunde genügt jedes der beiden Systeme den Gerechtigkeitsansprüchen.
Das System verliert jedoch in dem Augenblick diesen Anspruch, wenn seine Grundlagen durchbrochen werden. Die große Bewährungsprobe hierzulande war die Beantwortung der Frage, wie sichergestellt werden kann, dass auch ein Mensch, der weder lange genug versichert war noch hohe Beiträge eingezahlt hat und daher nur eine niedrige Pension erhält, im Alter leben kann. Zunächst versuchte man es mit einer Mindestpension, die zustehen sollte, wenn die nach der Pensionsformel berechnete Pension zu niedrig war. Bald erkannte man allerdings, dass die Pensionen oft deshalb so niedrig waren, weil der Versicherte seine hauptsächlichen Einkünfte aus anderen Quellen bezog: Viele Bezieher von Mindestpensionen hatten ein Gesamteinkommen, das eine Aufstockung entbehrlich machte. Das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz schaffte daher die Mindestpension ab. Wer von der Pension allein nicht leben konnte, sollte eine zusätzliche Fürsorgeleistung erhalten. Um es den Pensionisten jedoch zu ersparen, es mit zwei verschiedenen Sozialsystemen zu tun zu bekommen, baute man die Ergänzung in das Recht der Pensionsversicherung in Form der Ausgleichszulage ein.
Ausgleichszulage als Rettungsanker
Jedem Pensionisten wurde durch diese Zulage ein bestimmtes Mindesteinkommen gesichert. Dessen Höhe wurde im Ausgleichszulagenrichtsatz festgelegt - derzeit beträgt er monatlich 747 Euro für Alleinstehende und 1120 Euro für Ehepaare. Es gibt somit keine Mindestpensionen, sondern nur eine Zulage zur Pension, wenn diese zusammen mit anderen Einkommen und Unterhaltsansprüchen den Ausgleichszulagenrichtsatz nicht erreicht.
Um zu verhindern, dass das so garantierte Mindesteinkommen mit der Entwicklung der Pensionen nicht Schritt hält, wurde der Ausgleichszulagenrichtsatz gleichzeitig mit den Pensionen erhöht. Auf diese Weise wurden alle Versicherten gleich behandelt, ob sie nun Bezieher von Ausgleichszulagen, Zwerg-Pensionen oder hohen Pensionen waren. Mitunter erhöhte man jedoch die Ausgleichszulage stärker als die Pensionen, doch man blieb dabei, alle Pensionen gleich zu behandelt.
Erster Systembruch auf Drängen der FPÖ
Auf das Drängen der FPÖ erfolgte 2004 der erste Systembruch. Die Pensionen wurden nicht mehr einheitlich erhöht, wie dies in den Sozialversicherungsgesetzen ausdrücklich verankert war und notwendiger Bestandteil eines gleichheitskonformen Pensionssystems ist, vielmehr wurden höhere Pensionen nur mehr mit einem Fixbetrag erhöht.
Da dieser für alle Betroffenen einheitlich war, fiel die Anpassung bezogen auf die Pensionshöhe umso geringer aus, je höher die Pension war.
Das höhlte die Grundlagen des Systems aus, weil alle Versicherten zwar bei der Erstberechnung der Pension nach einheitlichen Grundsätzen behandelt, im Pensionsbezug jedoch in zwei Klassen geteilt wurden.
Überdies wurde ignoriert, dass Pensionshöhe und verfügbares Einkommen nicht identisch sind. Bei der Berechnung der Pension werden weder weitere Pensionsansprüche noch sonstiges Einkommen oder Unterhaltsansprüche berücksichtigt, sondern ausschließlich das während der Erwerbstätigkeit bezogene und der Versicherungspflicht unterliegende Einkommen.
Wenn jemand eine niedrige, aber den Ausgleichzulagenrichtsatz übersteigende Pension bezieht, kann er daher durchaus über ein hohes Gesamteinkommen verfügen. Die Gleichsetzung einer relativ niedrigen Pension mit einem relativ niedrigen Einkommen stimmt daher nicht; die soziale Gerechtigkeit wurde dadurch klar verletzt.
Die Proteste gegen diese Vorgangsweise hielten sich jedoch in Grenzen, da sie ja nur die "Reichen" betraf. Als man bei der Pensionsanpassung für das Jahr 2008 den Systembruch noch vertiefte, kam es zur großen Empörung. Diesmal behandelte man nämlich nicht nur die Bezieher hoher Pensionen schlechter, sondern nahm auch bei niedrigeren Pensionen Abstufungen vor.
Stein des Anstoßes war, dass zwar der Ausgleichszulagenrichtsatz um 2,9 Prozent erhöht wurde, Pensionen unter dieser Grenze aber nur um 1,7 Prozent, während Pensionen bis zu einer Höhe von 1050 Euro um 2,1 Prozent erhöht wurden. Nun wurde die Fehlvorstellung von "Mindestpensionen" schlagend. Erscheint es doch als schreiendes Unrecht, wenn ein Pensionist, dessen Pension niedriger als die "Mindestpension" ist, schlechter als ein "Mindestpensionist" behandelt wird. Tatsächlich gibt es aber keine Mindestpension.
Wer eine Pension erhält, die unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz liegt, dennoch aber keine Ausgleichszulage erhält, der verfügt über ein anrechenbares Gesamteinkommen, das über der Grenze von 747 beziehungsweise für ein Ehepaar von 1120 Euro liegt.
Allerdings ist es durchaus möglich, dass sein Gesamteinkommen etwa 1000 Euro beträgt; bestünde es nur aus der Pension, würde es dann um 2,1 Prozent erhöht werden.
Hier zeigt sich die Wirkung des Systembruches deutlich. Wollte man die Anpassung aus sozialen Gründen abstufen, dann müsste sie sich an der Höhe des verfügbaren Gesamteinkommens und nicht an der Pensionshöhe allein orientieren. Es müsste also für alle Pensionisten ihr Gesamteinkommen ermittelt und der Anpassung zugrunde gelegt werden.
Daher gehen alle Vorschläge noch weiter in die Irre, die verlangen, alle Pensionen unter 747 Euro stärker aufzuwerten. Damit würde das System weiter beschädigt und noch mehr Ungleichheit geschaffen.
Wer mehr Gerechtigkeit erreichen will, wird daher nicht umhin kommen, auf die Einhaltung der Grundlagen unseres Pensionssystems zu pochen. Dieses steht außerordentlichen Erhöhungen der Fürsorgekomponente in Form der Ausgleichszulage nicht im Wege, wohl aber Abstufungen nach der Pensionshöhe. Da allerdings Abstufungen auch für die nächsten Jahre bereits vorgesehen sind, sind künftige Auseinandersetzungen bereits vorprogrammiert.
Theodor Tomandl ist emeritierter Professor am Institut für Arbeits- und Sozialrecht an der Uni Wien.