Warum Wirtschaftsforscher mit ihren Prognosen danebenlagen, sie aber dennoch nicht irrten.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Es war einmal. Im September vor einem Jahr haben die beiden Wirtschaftsforschungsinstitute Wifo und IHS sehr vorsichtig ihre Konjunkturprognose für das Jahr 2017 angehoben. Ihre Rechenmodelle hatten ein Wachstum zwischen 1,4 und 1,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausgeworfen, und im Vergleich der vorangegangenen Jahre bedeuteten diese Zahlen tatsächlich so etwas wie gute Nachrichten.
Dabei hätten genau die gleichen Zahlen vor der großen Krise eher ein Tal im Konjunkturzyklus markiert. Doch damals, im September 2016, war man froh, dass sich nach Jahren des Darbens nahe dem Nullwachstum eine gewisse Stabilisierung abgezeichnet hat. Der Ausblick der Forscher war dennoch getrübt: "Wir müssen uns an ein bescheidenes Wachstum und leider auch an hohe Arbeitslosenraten gewöhnen", sagte der damals frisch berufene Wifo-Chef Christoph Badelt.
Von Prognose zu Prognose wurden im Vorjahr dann die konjunkturellen Erwartungen nach oben korrigiert. Und vor Weihnachten dann das: 3 Prozent für das Jahr 2017, drei Prozent für heuer (das IHS prognostizierte 3,1 und 2,7 Prozent). Diese Zahlen erinnern viel eher an frühere Zeiten, vor dem Crash, und noch ehe von langfristigem Niedrigwachstum oder gar von "säkularer Stagnation" die Rede war. War alle Besorgnis also umsonst?
"Die Grundaussage ist für mich noch immer richtig, aber sie gilt nicht mehr so stark wie damals", sagt Badelt heute. Und IHS-Chef Martin Kocher ergänzt: "Das Szenario war zu pessimistisch. Die Erwartung war, dass es schwierig werden wird, Wachstumsraten von über zwei Prozent zu sehen." Genau die gibt es jetzt, und zwar nicht nur in Österreich.
Deutschland hat das Vorjahr mit einem 2,2-prozentigen BIP-Zuwachs abgeschlossen, und der gesamte Euroraum entwickelte sich wie seit zehn Jahren nicht mehr. Der "Pessimismus" der Ökonomen war aber damals fundiert. "Der Niedrigzins hat nicht wirklich gewirkt, es gibt Überalterung, es wurde zu wenig investiert, und auch Ungleichheit war ein Thema, dass eben zuviel des Wachstums in den Bereich der Topverdiener fließt, die aber nicht mehr konsumieren", sagt Kocher.
Diese Rahmenbedingungen haben sich seither nicht umgekehrt. Es ist heute nicht alles anders. Doch möglicherweise wurde diesen Effekten ein bisschen zu viel Gewicht beigemessen. Dass Österreichs Bruttoinlandsprodukt im Vorjahr mit vermutlich mehr als drei Prozent gewachsen ist, ist jedoch auch einem Aufholbedarf geschuldet. Jahrelang war die Investitionsbereitschaft der Unternehmen sehr gering, diese ist dann recht sprunghaft zurückgekehrt. "Wenn die Projekte einmal abgearbeitet sind, sinkt die Wachstumsrate wieder", sagt Kocher. So ist es in einem normalen Konjunkturzyklus. Einmal bisschen mehr, dann wieder weniger. Beide Institute, IHS wie Wifo, rechnen in den Jahren nach 2018 auch mit einem geringeren Wachstum.
Weltweit sinkendie Wachstumsraten
Sicher, auch diese Annahmen können sich in ein paar Jahren ex-post als zu pessimistisch herausstellen. Doch dass in den gut entwickelten Industrieländern die Wachstumsraten über einen langen Zeitraum gesehen sukzessive abgenommen haben, ist ein Faktum. Und daran haben auch disruptive Entwicklungen wie das Internet nichts geändert. Tatsächlich seien dafür die Produktivitätsgewinne in den 90er Jahren eher gering gewesen, sagt Kocher.
Doch zwischen geringen Wachstumsraten und einer "säkularen Stagnation", wie sie unter anderem von Nobelpreisträger Paul Krugman und dem Harvard-Professor und ehemaligen US-Finanzminister Larry Summer in Aussicht gestellt wurde, gibt es Unterschiede.
Stagnation wären Wachstumsraten, die dauerhaft unter dem Potenzialwachstum lägen, bei dem eine normale Auslastung der Produktionskapazitäten angenommen und fortgeschrieben wird. Diese These war und ist in der Ökonomie umstritten. Dass sich jedoch das Potenzialwachstum in entwickelten Volkswirtschaften reduziert (und mittlerweile auch in den Schwellenländern), ist weit weniger unsicher. Erst kürzlich hat auch die Weltbank auf diese Entwicklung hingewiesen.
Dies stützt auch die Erwartungen von Wifo-Chef Badelt aus dem Jahr 2016, wonach sich Österreich an "ein bescheidenes Wachstum gewöhnen" wird müssen. Die Zuwächse in diesem und dem vorherigen Jahr waren demnach konjunkturelle Ausreißer, unter anderem bedingt durch Aufholeffekte nach vier sehr schlechten Jahren.
Die Bevölkerung wuchs -der Konsum stagnierte
Eine konkrete Unsicherheit in der unmittelbaren Zukunft ist die für 2019 erwartete Anhebung in kleinen Schritten des Leitzinses durch die EZB. Welche Auswirkungen dies nach Jahren der Nullzinspolitik hat, lässt sich heute schwer vorhersagen. "Man muss hier sehr vorsichtig sein, denn das gab es noch nie", sagt Kocher.
Da die gesamte Weltwirtschaft heute eng verwoben ist, komplexe Wertschöpfungsketten bestehen, werden die Berechnungen für die Wachstumsprognosen immer schwieriger. Was für Badelt für die Konjunkturentwicklung aber zentral bleibt: die Nachfrage. Auf diese wirken die Einkommen und andere Faktoren wie zum Beispiel die Bevölkerungsentwicklung.
Bemerkenswert war aber, dass in Österreich der private Konsum nach der Krise trotz eines recht deutlichen Bevölkerungswachstums aufgrund der EU-Erweiterung nur sehr langsam gestiegen ist. "Das war ein Phänomen", sagt Badelt. Und es ist nach wie vor nicht ganz klar, warum das so war. In welchem Ausmaß die fortschreitende Digitalisierung die Produktivität erhöht, ist ebenfalls nur schwer zu prognostizieren, da sich der technische Fortschritt heute viel stärker auf den Dienstleistungssektor bezieht "Und da ist es sicher schwieriger, die gleichen Produktivitätsgewinne zu erzielen wie in der Industrie", sagt Kocher.
Dass Prognosen stets unsicher sind, liegt natürlich in ihrer Natur. Es ist aber deutlich wahrscheinlicher, dass die gegenwärtig guten konjunkturellen Daten eher die Ausnahme darstellen und eine baldige Wiederholung nicht zu erwarten ist. Wir müssen uns daher wohl wirklich an ein "bescheidenes Wachstum" gewöhnen, wie es Badelt formuliert hat.