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Die EU ist europaweit so unbeliebt wie nie zuvor. Das ist nicht die Schuld ihrer Gegner, sondern sie hat es sich weitgehend selbst eingebrockt.
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Die Deutschen, so wird in Brüssel gerne in einer Mischung aus Respekt und Amüsement gespöttelt, seien im Grunde die einzigen Europäer: weil sie über Jahrzehnte meist die Rechnung der Europäischen Integration übernommen und im Gegensatz zu allen anderen EU-Staaten ihr jeweiliges nationales Interesse in der Regel nur sehr behutsam vertreten haben; ein später Nachhall der dunklen Nazi-Jahre. Das Bekenntnis, Europäer zu sein, kam den Deutschen nach 1945 stets leichter über die Lippen als etwa Franzosen oder Briten.
Doch jetzt scheinen auch die Deutschen langsam die Lust zu verlieren, Europas einzige Europäer zu sein. Erstmals könnte im Herbst eine dezidiert EU-skeptische Partei in den deutschen Bundestag einziehen - die "Alternative für Deutschland". Und geradezu dramatisch ist das Kippen der öffentlichen Meinung: Fast 60 Prozent der Deutschen schenken laut Eurobarometer den EU-Institutionen kein Vertrauen mehr; vor fünf Jahren waren es bloß 36 Prozent. Damit sind die Deutschen jetzt von der EU sozusagen genauso angespeist wie (fast) alle anderen Europäer. Mit Ausnahme Polens überwiegt mittlerweile in den sechs größten Staaten der EU die Abneigung gegen diese massiv.
Wäre die EU ein Unternehmen, tagte der Vorstand angesichts derart alarmierender Zahlen wohl Tag und Nacht im Krisenmodus, um Ursachen und Lösungen zu finden. Umso bizarrer ist da, was der EU-Kommissionspräsident dazu jüngst anmerkte: "Populistische und nationalistische Kräfte" würden den "Traum von Europa" gefährden. Na klar, und der revanchistische US-Imperialismus war schuld am DDR-Untergang.
José Manuel Barrosos Einlassung ist Unfug. Denn die Diskreditierung und damit verbundene Delegitimierung der Union ist nicht irgendwelchen Mächten der politischen Finsternis geschuldet, sondern schwerem multiplen Versagen der EU und, last not least, ihrer Mitglieder. Nationalisten und Populisten können ihr Geschäft nur auf der Grundlage dieses politischen Versagens betreiben.
Dass die EU heute von der Bevölkerung mehr als Teil des Problems denn der Lösung empfunden wird, liegt in den Gläubigerstaaten vor allem an der legitimen Abneigung, für die Schuldnerstaaten zu zahlen, dort hingegen an den als Zumutung empfundenen Austeritätsappellen der Gläubiger. Die erzwungene Solidarität hat Gebern wie Nehmern die Laune verdorben. Weitgehend einig sind sie sich hingegen darin, dass die nationalen Demokratien durch das Handling der Eurokrise teils massiv ausgehöhlt wurden und man den demokratischen Prozess mit der Keule "alternativlos" erschlagen hat.
Dazu kommt, als wäre all das noch nicht genug, dass die europäischen Institutionen trotz dieses multiplen Versagens noch immer jede Menge Zeit und Kraft aufbringen, den Bürger dort zu bedrängen und zu behelligen, wo sie absolut nichts verloren haben. Solange die europäischen Institutionen und ihre Master in den nationalen Regierungen nicht begreifen, dass nicht primär Populisten und Nationalisten das Problem sind, sondern sie selbst - solange wird Europa nicht zu heilen sein.
ortner@wienerzeitung.at