Niederösterreich wählt am kommenden Sonntag. Das Land hat sich seit 1945 gewaltig verändert. | Eine Bestandsaufnahme.
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St. Pölten. "Bist a Tiroler, bist a Mensch." Ein solcher Spruch ist für Niederösterreich undenkbar. Das Land segelte stets im Windschatten von Wien. Erst allmählich gelang die Emanzipation.
Niederösterreich - ein Land, das jahrzehntelang geprägt war vom Eisernen Vorhang, der es im Norden und Osten umgab. Alle Straßen führten in eine Richtung: nach Wien. Erst 1986 hat sich das Land auch eine eigene Hauptstadt erlaubt. Der Vorschlag wurde damals als Anmaßung empfunden. Selbst in Niederösterreich war der Widerstand gegen eine Loslösung von Wien ursprünglich groß. In einer Volksbefragung wurde St. Pölten, Niederösterreichs größte Stadt, die gegen das schwarze Selbstverständnis des Landes seit jeher SPÖ-regiert ist, auserkoren. Viele Jahre hat es gebraucht, um die Stadt mit seinem neuen Regierungszentrum als selbstverständliche Hauptstadt zu betrachten.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nutzte Niederösterreichs Politik sehr rasch auf allen Ebenen - von den Bürgermeistern bis zum Landeshauptmann - die neuen Möglichkeiten. Grenzüberschreitende Projekte, Feste und auch Unternehmen entstanden. So zum Beispiel erweiterte Gebauer und Griller - der größte private Arbeitgeber im Bezirk Mistelbach - das Poysdorfer Kabelwerk in Tschechien: In Mikulov entstand ein ebenso großes Werk. Ein Modernisierungsschub, begleitet von einem neuen Selbstverständnis entwickelte sich. Das Land wurde offener - und widmete sich zunehmend den Künsten. Im Schloss Grafenegg entstand eines der bedeutendsten Orchesterfestivals Europas, die Kremser Kunstmeile und das Donaufestival sind weithin bekannt.
Leuchttürme der Wissenschaft
Mit der Ansiedlung des Institute of Science and Technology (IST) im Jahr 2009 in Klosterneuburg, mit dem steten Ausbau der Donau Universität in Krems und den Fachhochschulen in St. Pölten baut das Land Schritt für Schritt auch den Wissenschafts- und Forschungsstandort aus. Bildungsminister Heinz Faßmann nannte das IST in der Vorwoche als "Symbol für die erfolgreiche Transformation Niederösterreichs vom Bauernland zu einem wirtschaftlich breit aufgestellten Land mit wissenschaftlichen Leuchttürmen".
Langsam, langsam hat also auch der Osten Österreichs nachgezogen. Wirtschaftlich war das Land geprägt vom Weinbau (Weinviertel) und der Landwirtschaft, es gab und gibt noch immer relativ wenig Industrie, die hauptsächlich im Industrieviertel und Mostviertel angesiedelt ist. Die 25 in Niederösterreich ansässigen Produktionsleitbetriebe - beispielsweise SBO (Schoeller Bleckmann), Umdasch, Novomatic, Hirtenberger, Kotanyi, Bene - lösen in Österreich einen Produktionswert von 17,28 Milliarden Euro aus und generieren eine Wertschöpfung von 6,69 Milliarden Euro. An diesen Leitbetrieben hängen rund 63.000 Beschäftigungsverhältnisse und pro Leitbetrieb durchschnittlich 623 Zulieferbetriebe. Diese Zahlen liefert eine Studie des Industriewissenschaftlichen Instituts im Auftrag der Industriellenvereinigung.
Hohe Arbeitslosigkeit
Und in der Industrieregion ist denn auch die Arbeitslosigkeit am höchsten. Diese wird nur übertroffen von Wien und Kärnten.
Der Bezirk Lilienfeld und nahezu das gesamte Waldviertel zählen zu den Abwanderungsgebieten, während der Speckgürtel rund um Wien wächst.
Laut Statistik Austria verfügen die Niederösterreicher über das zweithöchste Einkommen pro Kopf in Österreich. Über 24.000 Euro konnte jeder der 1,7 Millionen Einwohner im Vorjahr verfügen, nur in Vorarlberg hatten die Menschen pro Kopf 200 Euro mehr zur Verfügung. Darin würden sich aber auch die Einkommen der nach Wien pendelnden Menschen wiederfinden. Auch das Bruttoregionalprodukt ist 2016 in Niederösterreich überdurchschnittlich gewachsen. Wien, Niederösterreich und Oberösterreich haben gemeinsam 58 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Niederösterreich ist Wien in Schwarz, könnte man sagen. Das kleinstrukturierte Land lebt durch seine Gemeinden. Diese werden umhegt und gepflegt von der Politik. Für nahezu alles gibt es Förderungen. Und wie in Wien eine sozialdemokratische Kultur vorherrscht, ist Niederösterreich christlichsozial geprägt.
Hohe Verschuldung
Die Aufholjagd des Landes macht sich auch im Schuldenberg bemerkbar: Niederösterreich hat mit 4900 Euro die höchste Pro-Kopf-Verschuldung Österreichs. Aber wie das mit staatlichen Schulden so ist: Sie werden von der Bevölkerung nicht wahrgenommen.