Dienstagnachmittag hatte noch alles danach ausgesehen, als ob die lange erwartete Einigung zwischen Katholiken und Protestanten im seit gut dreißig Jahren von gegenseitiger Gewalt beherrschten Nordirland endlich stattgefunden hätte. Der britische Premier Tony Blair hatte die Freudenmeldung schon der Presse weitergegeben, als der lang ersehnte Frieden an Details zerbrach, bevor er noch begonnen hatte.
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Es war auf der Herrentoilette, als die Todfeinde Gerry Adams und David Trimble das erste Mal allein nebeneinander standen. "Wir müssen damit aufhören, uns immer nur so zu treffen", sagte Adams. Aber von der Seite kam nur ein eisiger Blick. Das war vor mehr als fünf Jahren. Seitdem hatte sich die Beziehung zwischen den beiden Schlüsselfiguren des nordirischen Friedensprozesses so weit entspannt, dass sie sich in den vergangenen Wochen sogar mit dem Vornamen ansprachen. Doch nun könnte das Verhältnis für immer zerbrochen sein.
Am Dienstagvormittag hatte in Nordirland noch die Sonne geschienen. Adams, der ehemalige IRA-Terrorist und heutige Sinn Fein-Präsident, hielt eine Rede, in der er indirekt die völlige Entwaffnung der IRA in Aussicht stellte. Dass Sinn Fein und die IRA ein und dasselbe sind, zeigte sich kurz darauf, als die Untergrundarmee in einer Erklärung versicherte, Adams habe ihre Position völlig korrekt wiedergegeben. Strahlend, wie man ihn lang nicht gesehen hatte, flog Premierminister Tony Blair nach Belfast, um sich dort endlich einmal wieder im Erfolg zu sonnen. Doch dann, so um die Teezeit, ging irgendetwas schief. Der Himmel über den grünen Hügeln verdüsterte sich.
Trimble sagte Frieden ab
Die genau einstudierte Abfolge von gegenseitigen Zugeständnissen riss ab. Sichtlich verärgert trat Trimble, der Chef der größten Protestanten-Partei UUP, vor die Kameras und blies den "historischen Tag" (Blair) ab. Die IRA habe nicht hinreichend klar gemacht, in welchem Umfang sie abgerüstet habe, kritisierte er. Folglich werde er den getroffenen Absprachen auch nicht nachkommen. Adams war fassungslos. Draußen begann es zu schneien.
Als Blair aus dem Flieger stieg, gab es keinen Durchbruch mehr zu feiern, sondern nur noch einen Einbruch abzufedern. Nie sah er blasser und älter aus, als an diesem Abend, als er in einem Schloss-Saal, der die Kulisse eines triumphalen Einigungstags hatte werden sollen, seufzte: "Ehrlich gesagt, das ist mehr als frustrierend."
In Nordirland zählen Details
Britische Regierungskreise sprachen von "absurdem Theater", in der Presse war von einer "unglaublichen Panne" die Rede. Doch in Nordirland geht es eben ums Detail. Schon wenn sich eine Seite nicht ganz so bewegt wie erwartet, ist das gesamte, genau ausbalancierte Kompromissgebäude vom Einsturz bedroht. Denn niemand kann es sich leisten, großzügig zu sein: Trimble muss fürchten, dann sofort von seiner eigenen Partei entmachtet oder bei den nächsten Wahlen von der radikalprotestantischen DUP überholt zu werden. Adams muss damit rechnen, dass die IRA-Anhänger "Verrat" rufen, was am Dienstag auch prompt schon geschah.
Schuldzuweisungen
Beide, Trimble und Adams, fühlen sich nun vom anderen hintergangen. Trimble behauptet, Adams habe ihm größere IRA-Zugeständnisse versprochen, als dann am Dienstag gekommen seien. Adams bestreitet das und klagt, er und die IRA hätten auf Trimbles Wort hin enorme Vorleistungen erbracht und seien dann von ihm sitzen gelassen worden. Im Kreise ihrer Getreuen werden sie am Mittwoch beide sehr Ähnliches gehört haben: dass sie dem anderen eben doch nie trauen dürften. dpa