Klima-Aktivist Kaluki Paul Mutuku über den notwendigen Wandel des Kapitalismus angesichts der Klimakrise.
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Auf 1.350 Metern auf der Bischofer Käsalm in Alpbach machte Klima-Aktivist Mutuku im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach auf die Notwendigkeit eines Wandels des Wirtschaftssystems aufmerksam.
"Wiener Zeitung": Sie sprachen beim Europäischen Forum Alpbach vorhin davon, dass es einen tieferen Wandel des Wirtschaftssystems braucht. Wie soll das passieren?Kaluki Paul Mutuku: Darauf habe ich keine abschließende Antwort. Tatsache ist: Die derzeitige wirtschaftlichen Realität in Afrika geht auf koloniale Strukturen zurück. Und was das Thema Klimagerechtigkeit betrifft: Europa wurde mithilfe fossiler Energieträger zu einer der höchst entwickelten Regionen der Welt. In Europa und den USA gibt es Wohlstand, während die Bewohnerinnen und Bewohner viele Länder des globalen Südens in bitterer Armut leben. Meine Schlussfolgerung: Das derzeitige kapitalistische Wirtschaftssystem muss von Grund auf neu gedacht werden. Wir müssen den Sprung von einer ego-zentrischen zu einer öko-zentrischen Weltwirtschaft schaffen, vom Ego-System zum Ökosystem.
Was meinen Sie damit?
Der Mensch sieht sich als Krone der Schöpfung. Ich. Ich. Ich. Das schnellste Auto, die schönste Kleidung, das beste Mobiltelefon. Doch die Idee, die Menschheit wäre die Krone der Schöpfung, ist vermessen. Ob wir es glauben oder nicht, wir sind Teil des Ökosystems. Wir müssen die Bedürfnisse unserer menschlichen Zivilisation an die Belastbarkeit des Planeten anpassen und können auf Dauer nicht über unsere Verhältnisse leben.
Zurück zur Frage: Wie reformiert man den Kapitalismus?
Es geht darum, dass das System nicht geeignet ist, die Herausforderungen des Klimawandels zu lösen. Wir müssen auch über das Konzept der Entwicklungshilfe nachdenken. Es geht nicht um Almosen, sondern darum, jene Länder, die in benachteiligten Klimazonen situiert sind, so mit Technologie zu unterstützen, dass sie die Energiewende schaffen. Denn wie sollen afrikanische Länder ihr Energiesystem umstellen, wenn die Technologie erst recht wieder von westlichen Ländern kontrolliert wird? Wenn zwar Energiesystem auf Basis erneuerbarer Technologien entsteht, das ganze aber erst recht wieder in ein neokoloniales Entwicklungsmodell eingebettet ist?
Was verpassen Europäerinnen und Europäer, wenn sie über Afrika diskutieren?
Im Diskurs über Afrika hören wir stets: "Achtung! Überbevölkerung!" Warum ist das so, dass man Afrika als Kontinent der Überbevölkerung, als Kontinent der Armut und als Kontinent der Düsternis darstellt? Ich sage jetzt nicht, dass Afrika keine Probleme hat. Ich sage auch nicht, dass Europa oder die USA die Allein-Schuld daran tragen, dass dieses Bild gezeichnet wird. Die USA oder Europa sind auch nicht die Alleinverantwortlichen dafür, was die Probleme Afrikas betrifft. Afrikanische politische Eliten tragen ihren Teil der Schuld. Ich darf Ihnen ein Beispiel für die Schieflage geben, in der Afrika gefangen ist: Afrika könnte genügend landwirtschaftliche Produkte erzeugen, um den gesamten Kontinent mit Nahrungsmitteln zu versorgen. Aber was passiert? In vielen Ländern werden Cash-Crops für den Export angebaut; Ackerflächen, Arbeitsressourcen und andere Inputs fehlen dann für die Erzeugung von Nahrungsmitteln. Da ist ein ganz übles Power-Play zwischen den Handelspartnern in Afrika und in Europa im Spiel.
Von welchem Machtspiel sprechen Sie?
Wo sind denn die Standorte der Industrien? Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn man Kakao in die EU exportieren will, dann ist das recht einfach. Wenn man aber in Afrika erzeugte Schokolade in die Europäische Union exportieren will, dann sieht die Sache schon anders aus. Auf Endprodukte gibt es hohe Zölle, auf Rohmaterial niedrige. Das Paradoxe ist, dass Afrika billige Rohmaterialien exportiert und teure Endprodukte importiert. Wir brauchen Fairness.
Meinen Sie auch Klima-Gerechtigkeit?
Natürlich. Nur vier Prozent der globalen Kohlendioxidemissionen entfallen auf Afrika. Hauptverursacher für die Kohlendioxidemissionen sind Europa, die USA und einige Länder im Nahen Osten und Asien. Jetzt dämmert uns, dass wir den Planeten ruinieren und wir weg müssen von fossilen Energieträgern. Doch woher soll Afrika jetzt die Energie für seine Entwicklung nehmen? Afrika verfügt über Kohlelagerstätten, über Ölfelder, Gasfelder. Man wird darüber nachdenken müssen, afrikanische Länder dafür zu bezahlen, dass sie diese Lagerstätten nicht ausbeuten, damit nicht noch mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen wird. Mit diesen Kompensationen für nicht verbrannte fossile Brennstoffe könnte man die Energiewende in Afrika finanzieren, die natürlich mit Erneuerbaren erfolgen muss.
Können wir ohne Verzicht, ohne drastische Maßnahmen das Ruder herumreißen?
Nein. Es wird einen radikalen Wandel brauchen. Wir müssen unseren Lifestyle ändern. Das kann bedeuten, dass in Europa weniger Bananen aus Afrika auf den Tisch kommen. Gibt es denn in Europa keine leckeren Früchte? In Afrika wird es dann weniger Bananenplantagen geben. Stattdessen wird für den lokalen oder nationalen Markt erzeugt. Wir werden viel mehr lokal erzeugte Lebensmittel einkaufen und essen. Es wird weniger Monokulturen geben, weniger Regenwaldzerstörung. Wir müssen die Pausetaste drücken und einmal reflektieren, wie wir aus dem Klimaschlamassel wieder herauskommen.
Die Klimakrise ist Realität. Gleichzeitig: Russland führt einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Spannungen zwischen den USA und China nehmen zu. Was geht ihnen angesichts dessen durch den Kopf?
Es ist zum Verzweifeln. Als Russlands Krieg gegen die Ukraine begann, kapierten viele erst, wie abhängig manche Länder von ukrainischen Getreidelieferungen sind. Afrika hat riesige Ackerflächen. Aber wir können nicht genug Getreide produzieren, um die Bevölkerung zu ernähren? Wie konnte es dazu kommen? Das ist doch unglaublich.
Gibt es ein Umdenken?
Ja. Afrika muss für Lebensmittelsicherheit auf dem Kontinent sorgen. Es gibt aber auch eine moralische Frage: Wie kann es sein, dass die Menschheit Milliarden für den Krieg ausgibt, während Kapital für den Klimaschutz fehlt. Ich denke: "Leute, wie kann es sein, dass man mit Panzern und Soldaten herumspielt, während das Klima vor die Hunde geht? Wir stecken in einer ernsten Krise, sehr ihr das nicht?"