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Der neue Lösungsansatz auf dem Weg zur Gleichstellung der Geschlechter heißt "Gender Mainstreaming". Was auf EU-Ebene im Vorjahr festgelegt wurde, soll nun in allen Mitglieds- und Kandidatenstaaten umgesetzt werden: die Rechte und Bedürfnisse von Männern und Frauen in allen Geschäfts-, Politik- und Lebensbereichen zu berücksichtigen. Im Sozialministerium wird derzeit an der Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe für Gender Mainstreaming gearbeitet.
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Die Theorie trägt der erweiterten Sichtweise schon länger Rechnung. Während vor dreißig Jahren der Schwerpunkt der Frauenforschung auf der Untersuchung von Problemen und Sachverhalten lag, die explizit Frauen betreffen, hat sich im Laufe der Zeit der Blickpunkt verschoben. Im Rahmen der Genderforschung, die das sozial fixierte Geschlecht in den Mittelpunkt rückt, sollten gesellschaftliche Rahmenbedingungen und das daraus resultierende Verhältnis von Männern und Frauen ebenso mitberücksichtigt werden.
So stellt auch der "Gender Mainstreaming"-Ansatz prinzipiell eine Erweiterung der bisherigen Frauenpolitik dar. Es geht dabei nicht nur um spezielle Fördermaßnahmen für Frauen; vielmehr werden Männer und ihre Rollen in die Überlegungen betreffend notwendiger Veränderungen miteinbezogen.
Ein Beispiel dafür wäre, beim Thema "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" nicht nur darüber nachzudenken, mehr Kinderbetreuungsplätze einzurichten, damit Mütter sich auch ihrem Berufsleben widmen können, sondern Anreize zu schaffen, Väter ebenso in die Kindererziehung einzubinden und somit eine gleichmäßigere Verteilung familiärer Pflichten zu erreichen.
Mehr als Frauenförderpolitik
"Frauenpolitik ist bisher großteils als Frauenförderpolitik betrieben worden", erklärt Andrea van Oers, Referentin für internationale Angelegenheiten im Wiener Frauenbüro. Gender Mainstreaming, als Ergänzung dazu, setze aber nicht nur auf punktuelle Aktionen sondern bei einer breiteren Basis an. Die Überlegungen reichen weit: Die Frage, ob Frauen entsprechenden Zugang zu Ausbildung haben, ist ebenso darin enthalten wie die nach dem Vorhandensein von abge-flachten Gehsteigen, über die ein Kinderwagen leichter geschoben werden kann.
Bei einer internationalen Konferenz zu Gender Mainstreaming, die heute in Wien zu Ende geht, erörterten Expertinnen aus Österreich, Ungarn, Tschechien und der Slowakei die Möglichkeiten und Risken, die das Konzept mit sich bringt. Organisiert hatte die Konferenz "Milena", das Ost-West-Frauennetzwerk, das 1997 vom Frauenbüro initiiert wurde. Der Gedanke dahinter war, schon jetzt Kontakte zu Nachbarstaaten zu knüpfen, um nach der EU-Erweiterung kompetente Ansprechpartner-Innen für die gemeinsame Arbeit zu haben, berichtet Andrea van Oers. Das Ziel sei es, aktive Frauenpolitik auf europäischer Ebene zu betreiben.
Gesellschaftlich verankert
Daniela Lessing (Frauenbüro), eine der Referentinnen, erläutert im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" die Zusammenhänge zwischen bisheriger Frauenpolitik und Gender Mainstreaming: "Gender Mainstreaming ist eine Ergänzung und Weiterentwicklung von Frauenpolitik; es ist kein 'Minderheitenprogramm'. Punktuelle Maßnahmen für Frauen sind wünschenswert, solange es Benachteiligungen gibt, doch sie haben nicht so eine feste Verankerung in der Gesellschaft wie Gender Mainstreaming, das in alle Bereiche eindringen soll."
Trotzdem sei dies nicht als Ersatz für frauenspezifische Maßnahmen zu sehen. Denn diese könnten dann leicht als überflüssig gelten. Gender Mainstreaming betrifft aber nicht nur Frauen, dementsprechend aufwändig ist die Methode, die bei der Datenerhebung beginnt - welche Bedürfnisse hat eine bestimmte Gruppe, wie können sie miteinbezogen werden?
Eine Berücksichtigung dieses Gedankens ortet Sonja Kato in der Wiener Frauenpolitik. Die Pressesprecherin von Stadträtin Renate Brauner, die unter anderem für Frauenfragen und Personal zuständig ist, verweist dabei auf zwei Beispiele. So hat Wien eine eigene Frauengesundheitsbeauftragte, die sich um Fraueninteressen im gesamten Gesundheitssektor sorgen soll. Das Gesundheitsfrauenzentrum FEM in der Semmelweis-Klinik zeugt bereits von einer "geschlechtssensiblen" Sichtweise.
Stadtplanung mit Rücksicht
Ein anderes Beispiel bietet die Leitstelle für alltags- und frauengerechtes Planen und Bauen. Es gehe nämlich nicht nur darum, breite Straßen für Autofahrer zu bauen, betont Kato: "Stadtplanung fängt an bei der Zentimeterbreite des Gehsteigs und hört auf bei der Beleuchtung." So reiche es oft, Lichtquellen zu verstärken - das Sicherheitsgefühl steigt. Auch Parkanlagen können Mädchenbedürfnissen entsprechend gestaltet sein und - abseits eines Ballkäfigs, den oft nur Buben nutzen - Angebote für alle Gruppen bereitstellen.
In Floridsdorf wurde ein ganzer Stadtteil, die "Frauenwerkstatt", den Bedürfnissen vieler Frauen entsprechend gebaut. Geplant von Architektinnen, sollte die Wohnsiedlung sich an alltäglichen Situationen richten. Breite Gänge, die das Schieben eines Kinderwagens erleichtern, gehörten da dazu.
Den Einwand, dass Frauen und Kinder dadurch wieder aneinander gekoppelt werden - Frauen als Alleinverantwortliche für Kindererziehung -, weist Sonja Kato zurück. "Wir können die Realität nicht dadurch verleugnen, dass wir sagen, wir bieten etwas nicht an." So sei es beispielsweise eine Tatsache, dass Frauen zwei Drittel der BenutzerInnen von öffentlichen Verkehrsmitteln ausmachen. Es habe aber lange gedauert, bis die Unternehmen dem Rechnung trugen - unter anderem durch Verbesserungen im Einstiegsbereich.
Gender Mainstreaming ist eine Politik der kleinen Schritte, wie es Andrea van Oers fasst. Denn das Konzept greift tief; es fließt in Gesetzesvorhaben und Beschlüsse ein, umfasst arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und muss sich auch seinen Weg in das Bewusstsein der Menschen bahnen.
Von der Theorie zur Praxis
Beschäftigungspolitik ist dabei ein wichtiger Aspekt. Ihm hat sich das Arbeitsmarktservice (AMS) Wien verschrieben. Im Juni wurde ein Arbeitskreis zu Gender Mainstreaming eingerichtet, an dem VertreterInnen sämtlicher arbeitsmarktpolitisch relevanter Institutionen teilnehmen. Das Ziel sei "institutionsübergreifende Maßnahmen zu erarbeiten, die für alle umsetzbar sind", erzählt die Leiterin des Arbeitskreises, Manuela Hargassner-Delpos. Zusätzlich ist eine Studie zu Gender Mainstreaming in Auftrag gegeben. Danach gehe es darum, die Theorie auf die Praxis "runterzubrechen".
Beim AMS ist der Gedanke ansatzweise bereits umgesetzt. So gebe es Ausschreibungskriterien für Qualifizierungsträger, berichtet Delpos. Will ein Unternehmen einen Aus- oder Weiterbildungskurs anbieten, muss es bestimmte Voraussetzungen - die Chancengleichheit von Männern und Frauen betreffend - erfüllen. Auch intern will das AMS den Bemühungen um Gleichstellung Rechnung tragen. Es gebe einen Nachwuchsführungskräftepool oder Qualifizierungsmaßnahmen für Frauen - teilweise mit Kinderbetreuung. Flexible Arbeitszeitmodelle oder Telearbeit seien ebenso Themen, legt Delpos dar. Auch die Förderung von Männer-Karenz ist im Gespräch.
Interministerielle Arbeit
"Gender Mainstreaming bedeutet, dass Auswirkungen auf Frauen und Männer untersucht werden", betont Marina Hahn vom Sozialministerium. Dort laufen derzeit die Vorarbeiten für eine Verankerung des Konzepts auf Regierungsebene.
Im Juli hat der Ministerrat die Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe für Gender Mainstreaming beschlossen, deren Vorsitz Sozialministerin Elisabeth Sickl übernimmt. Jedes Ressort soll eine/n Vertreter/in in die Gruppe entsenden. "Die Minister sind persönlich gebeten worden, jemanden zu nominieren, der in gehobener Position ist", erzählt Hahn: "Wir brauchen Personen mit Entscheidungs- und Vernetzungskompetenz."
Wünschenswert wäre, wenn die Gruppe sich je zur Hälfte aus Männern und Frauen zusammensetzt. Doch es werden wohl mehr Frauen vertreten sein, vermutet Hahn. Einige Ministerien haben ihre Gleichbehandlungsbeauftragte entsandt. Am 10. November findet die konstituierende Sitzung statt; die erste Veranstaltung wird sich an PolitikerInnen richten und soll der Bewusstseinsbildung dienen.
Eines sind sich jedenfalls alle bewusst, die sich mit Gender Mainstreaming befassen: Bis zur völligen Gleichstellung von Männern und Frauen ist es noch ein langer Weg, auf dem ein gesamtgesellschaftlicher Umdenkprozess liegt.