Binnenmarkt als Minimalkonsens.
| Reformpapier: Eurobonds mittelfristig denkbar, wenn Disziplin garantiert ist.
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Brüssel. Einen glaubwürdigen Reformkurs für Europa beschließen: So lautet die Vorgabe für den EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag. Die Blaupause sollte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy liefern. Am Dienstag hat er nach Beratungen mit Eurogruppe, Europäischer Zentralbank und Kommission schließlich knapp sieben A4-Seiten vorgelegt. Das soll das Gründungsdokument für ein neues Europa werden? Die Vision für eine enger verflochtene und solidarischere Union?
Schwer vorstellbar. Das Papier ist wenig ambitioniert - ein Technokratensprech, wie er nahezu jeden Brüsseler Text kennzeichnet. Die vier Grundbausteine, die innerhalb des nächsten Jahrzehnts gelegt werden müssten, sind erwähnt als "integrierter Finanz-, Budget- und wirtschaftspolitischer Rahmen" sowie verstärkte demokratische Legitimation für mehr gemeinsame Verantwortung. Van Rompuy weist vorsorglich hin, dass "weitere Arbeiten" für den konkreten Fahrplan nötig sein werden. Immerhin: Ein Zwischenbericht könnte im Oktober präsentiert werden, der Bericht dem Dezember-Gipfel vorgelegt werden. Aber wird das reichen, um die Investoren zu überzeugen, dass es Europa ernst ist? Dass die 27 Nationen und insbesondere jene 17 mit gemeinsamer Währung an einem Strang ziehen und füreinander einstehen werden?
Starke EU-Bankenaufsicht
Vielleicht liegt in der unprätentiösen Verpackung die Chance - weil sich nur so die extrem gegensätzlichen nationalen Interessen unter einen Hut packen lassen. Womöglich ist nur ein so wenig ambitionierter Text mehrheitsfähig. Die Giftzähne sind darin sorgsam verpackt. Eurobonds? Mittelfristig könnte die Schuldenvergemeinschaftung ein Thema werden, heißt es - aber nur, wenn Budgetdisziplin und Wettbewerbsfähigkeit garantiert sind. Die Einführung sollte von Kriterien abhängen und phasenweise erfolgen. Das Papier erwähnt immerhin Ideen wie Eurobills mit kurzer Laufzeit oder einen Schuldentilgungsfonds.
Nur zart angedeutet ist, was der Reformplan für Europa als Ganzes bedeutet: Das Papier fokussiere auf die Eurostaaten, weil diese sich dank der gemeinsamen Währung von den anderen "qualitativ" unterscheiden. Der Integrationsprozess solle aber durch "Offenheit und Transparenz" gekennzeichnet und in allen Details mit dem Binnenmarkt vereinbar sein. Damit ist klar: Es wird ein Europa der konzentrischen Kreise entstehen. Im Kern werden die Eurostaaten sein, welche die meisten Kompetenzen abtreten. Am Rand könnten Länder verbleiben, die an wenig mehr als dem einheitlichen Markt interessiert sind. Das wäre wohl die natürliche Position für die Briten, die sich eher als Integrationsverweigerer hervortun.
Das Problem: Bei jener Bankenunion, wie sie in dem Papier vorgeschlagen wird, ist schwer absehbar, wie einheitliche Marktbedingungen gewahrt bleiben, wenn sich einzelne Länder dagegen aussprechen. Schließlich ist die Rede von einer europäischen Einlagensicherung, einer Aufsichtsbehörde mit Letztentscheidungskompetenz und Durchgriffsrechten sowie einem Abwicklungsfonds für Pleitebanken, der primär vom Finanzsektor selbst dotiert werden soll. Durch die Architektur soll der Steuerzahler nicht immer für Banken zur Kasse gebeten werden. Als letzter Topf solle allerdings doch der Euro-Stabilitätsmechanismus ESM dienen.
Faymann ist zufrieden
"Die österreichische Position zur Zukunft der EU deckt sich im Wesentlichen mit den Eckpunkten des Papiers", sagte Kanzler Werner Faymann nach dem Ministerrat. Das sei die Basis für "Diskussionen über eine künftige Banken-, Fiskal-, Wirtschafts- und Demokratieunion". Vor der Einführung von Eurobonds oder Kompetenz-Verlagerungen nach Brüssel brauche es eine Volksabstimmung.
Van Rompuy betont, dass beim gesamten Prozess die Bürger eingebunden werden müssten. Vizekanzler Michael Spindelegger meinte, diese Frage stelle sich bei der Weiterentwicklung der EU immer. Er denke an ein "Kommunikationskonzept".