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Vom Kalimandscharo zum Meer

Von Markus Kauffmann

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Fahren Sie von Hannover rund 40 Minuten nach Nordwesten, können Sie den deutschen | Kilimandscharo besteigen und von da aus auf ein Meer schauen, das eigentlich gar keines ist.


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Der Volksmund nennt den in der Ebene von weitem sichtbaren weißen Berg "Kalimandscharo". Denn die riesige Abraumhalde des Kali-Bergbaus mit einem Volumen von 33 Millionen Tonnen und einer Höhe von 140 Metern erinnert tatsächlich an die schneebedeckten Gipfel des afrikanischen Bergmassivs.

Zu seinen Füßen breitet sich - mitten in einem Naturpark - der größte Flachsee Deutschlands aus, das Steinhuder Meer. Bei einer Fläche, die dem Wörthersee plus dem Wolfgangsee entspricht, ist dieses "Meer" im Schnitt nur 1,35 Meter tief. Zum Vergleich: Der Wörther See erreicht 85, der Wolfgangsee sogar 114 Meter Tiefe. Man kann sich die Proportionen an einer Wasserlache klarmachen, die bei einer Fläche von drei mal drei Metern nur einen Millimeter "tief" ist.

Und dennoch kann das seichte Wässerchen ganz schön wild werden. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts trat es mehrmals aus den Ufern. Noch heute überschwemmt es bei Sturm die Strandpromenaden.

Das Steinhuder Meer ist das Herzstück des gleichnamigen Naturparks und stellt rund 10 Prozent von dessen Gesamtfläche. Weitere 23 Prozent sind bewaldet und 25 Prozent sind Moore und Feuchtwiesen. Dort gedeihen vor allem das typische Wollgras, die Torfmoose, die den Torf bilden, und der fleischfressende Sonnentau.

Natürlich zieht der größte See Nordwestdeutschlands Touristen an wie ein Magnet. Dennoch hat man es durch geschickte Besucherlenkung verstanden, die ökologischen Belastungen in Grenzen zu halten. Und deshalb bleibt der Binnensee ein Eldorado für seltene Pflanzen und Tiere. Allein an Vogelarten hat man 250 verschiedene gezählt, darunter Haubentaucher, See- und Fischadler, Eisvogel, Bekassine, Neuntöter, Löffelente oder Grauschnäpper. Im sumpfigen Gebiet rund um den See fühlen sich asiatische Wasserbüffel recht wohl. Damit auch Wasserfreunde auf ihre Rechnung kommen, legte man in den 70er Jahren eine 35.000 Quadratmeter große Badeinsel künstlich an - mit einem gepflegten Sandstrand und ausgedehnten Liegeflächen. Das moorhaltige Seewasser gilt als biologischer Gesundbrunnen.

Der seltenste Fisch dieses Meeres ist der "Steinhuder Hecht", der nur ein einziges Mal - im Jahre 1772 - gesichtet wurde. Er war allerdings nicht aus Gräten und Schuppen, sondern aus Holz: Das erste in Deutschland gebaute U-Boot, in der Form eines Hechts mit beweglicher Schwanzflosse. Zwölf Minuten soll man damit getaucht sein. Und zwar vor der Inselfestung Wilhelmstein. Zu Zeiten deutscher Kleinstaaterei konnten sich so winzige Fürstentümer wie Schaumburg-Lippe nur behaupten, wenn sie sich militärisch wappneten. So entwickelte der pfiffige Graf Wilhelm seine eigene "Verteidigungskriegskunst", ließ einen Kanal vom "Meer" bis Hagenburg graben, wo er ein kleines Schlösschen besaß. Um 1767 legte er ein System künstlicher Inseln an und verband sie später zur befestigten Insel Wilhelmstein, eine damals unbesiegbare Festung, die sich bei der versuchten Annektion des kleinen Fürstentums durch Hessen bewährte. Später diente der Wilhelmstein vor allem als Militärschule, berühmtester Schüler wurde Gerhard Scharnhorst.

Wer als Inhucker (Zuwanderer) zum echten Steinhuder werden will, muss mindestens zehn bis fünfzehn Jahre im Ort wohnen und sich beim jährlichen Fischerkreidag, dem Gerichtstag der Fischer, mit einer Brasse ins Gesicht schlagen lassen: Witsch-watsch, rechts-links, rauf-runter. Danach tröstet ein guter Schluck gut gekühlten Wacholderschnapses "mit Gunst" (Prost).