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Vom klassischen Griff in die Kassa bis zur Fälschung von Finanzdaten

Von Stephanie Dirnbacher

Wirtschaft

"WZ"-Interview über Kriminalität in der Wirtschaft. | "Nicht schwer aufzudecken". | "Wiener Zeitung":Ihr Buch, das Sie gemeinsam mit Joseph Wells geschrieben haben, handelt von Wirtschaftskriminalität in Unternehmen. Was soll das Buch bezwecken?


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 17 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Matthias Kopetzky: Im Zuge unserer Tätigkeit haben wir immer wieder festgestellt, dass das Wissen über Wirtschaftskriminalität relativ gering ist. Das Buch soll für diejenigen, die in dem Bereich tätig sind, eine Unterstützung sein, Fälle aufzudecken beziehungsweise Prävention zu betreiben. Es befasst sich mit einem sehr großen Bereich der Wirtschaftskriminalität, nämlich der Mitarbeiterkriminalität. Das sind Delikte von Angehörigen des Unternehmens gegen ihr eigenes Unternehmen.

Wer tendiert eher dazu, wirtschaftskriminelle Handlungen zu setzen: der kleine Mitarbeiter oder der Top-Manager?

Es gibt drei grobe Bereiche von Wirtschaftskriminalität: Vermögensmissbrauch, Korruption und die Fälschung von Finanzdaten. Beim Vermögensmissbrauch sind die unteren Mitarbeiterebenen von der Anzahl der Fälle her stark repräsentiert. Das fängt beim klassischen Griff in die Kassa an und geht über gefälschte Spesenabrechnungen bis hin zu Diebstählen aus dem Lager. Von der Anzahl ist der Vermögensmissbrauch mit Abstand der größte Bereich von Wirtschaftskriminalität. Vom Bedrohungspotenzial für das Unternehmen ist das aber im Regelfall am wenigsten risikoreich, weil die Schäden verhältnismäßig gering sind.

Korruption ist von der Anzahl der Fälle schon geringer, aber vom Bedrohungspotenzial größer.

An Korruptionsfällen ist wahrscheinlich das obere Management eher beteiligt als die kleinen Mitarbeiter...

Das ist logisch. Wenn ich im Unternehmen Entscheidungen fällen kann, dann bin ich irgendwo im Mittelmanagement. Bei der Fälschung von Finanzdaten sind wir dann an der Spitze der Pyramide. Das ist eher das Delikt von hohen Führungspersonen, aber von der Anzahl relativ gering. Das Bedrohungspotenzial für das Unternehmen ist gigantisch.

Und was sind die Motive?

Damit jemand eine wirtschaftskriminelle Tat setzt, braucht er zuerst einmal Gelegenheit. Wer keine Gelegenheit hat, in eine Kassa zu greifen, wird nie diesbezüglich kriminell werden. Das ist auch schon der erste Präventionsansatz. Unternehmen müssen durchforsten, wo Gelegenheiten sind und müssen diese einschränken.

Gelegenheit allein reicht aber noch nicht, um wirtschaftskriminell zu werden. Der typische Wirtschaftskriminelle ist einem Druck ausgesetzt. Er hat beispielsweise aus einer Scheidung Kredite, die er nicht mehr bedienen kann. Dann brauche ich noch die Rationalisierung. Der Täter muss für sich eine Rechtfertigung finden, dass er so handeln darf. Zum Beispiel fühlt er sich bei einer Beförderung übergangen. Dann rechtfertigt er den Griff in die Kassa damit, dass ihm das Unternehmen eigentlich etwas schuldet. Eine häufige Rechtfertigung ist auch: Ich borge mir das nur aus. Man will das Geld zurückgeben, aber es geht sich dann nicht aus.

Sie nehmen eigentlich die Täter in Schutz, wenn Sie behaupten, dass diese nicht aus einer böswilligen Intention heraus handeln.

Der Wirtschaftskriminelle sieht sich primär nicht als Krimineller. Deshalb wird ja auch immer wieder die Diskussion geführt, ob drakonische Strafen in dem Bereich überhaupt sinnvoll sind. Da müsste man eigentlich "nein" sagen. Wenn sich die Täter sowieso nicht außerhalb des gesellschaftlichen Rahmens sehen, dann fühlen sie sich auch von einer Strafe nicht bedroht.

Wie wird Wirtschaftskriminalität überhaupt aufgedeckt?

Bei fast allen Statistiken über die Aufdeckung stehen an erster Stelle Mitarbeitertipps. In der Regel haben Mitarbeiter den Fall schon wesentlich länger mitbekommen, als es dann gebraucht hat, ihn wirklich zu entdecken. Auch Tipps von Kunden und Lieferanten sind effizient. Wenn ich zum Beispiel von einem potenziellen Lieferanten höre: "Ich biete gar nicht mehr mit, weil da eh immer nur dieselben drankommen", ist das für mich ein Hinweis, dass vielleicht in meiner Einkaufsabteilung etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.

Ist Wirtschaftskriminalität schwieriger aufzudecken als andere Formen von Kriminalität?

Wenn man sich die Fälle im Nachhinein anschaut, muss man sich oft eingestehen: "Schwer war das nicht, wenn einer hinschauen hätte wollen." Es scheitert daran, dass bestehende Aufsichts- und Kontrollmechanismen versagen und nicht daran, dass es so schwer aufzudecken wäre. Auch was ich von der Bawag vom Hörensagen und aus den Medien weiß... Wenn ich höre, dass hier 2001 ein eindeutiger Bericht der Nationalbank verfügbar war, dann ist das Problem nicht, dass der Fall so schwierig war. Die Mittel waren da, aber es ist nichts passiert.

Also war es bei der Bawag ein Versagen der Finanzmarktaufsicht (FMA)?

Ein Versagen der Kontrollorgane, die Aufsicht hätten. Bei der FMA bin ich vorsichtig, weil diese eine sehr junge Behörde ist, die noch keine durchschlagskräftigen Rechte hat. Vor ihr haben die Banken keine Angst. Ich habe eher das Gefühl, dass sich die Banken da eine Aufsicht halten.

Was kann man an dieser Situation ändern?

Man muss die FMA so weit stärken wie möglich und autonom von Einflussmöglichkeiten machen. Die FMA muss wirklich alle Durchgriffsmöglichkeiten gegenüber einer Bank haben, die vorstellbar sind.

Wie kann man Wirtschaftskriminalität verhindern?

Unternehmen müssen beginnen, ihre Mitarbeiter auf das Thema zu sensibilisieren. Es ist für Mitarbeiter nicht immer einfach zu erkennen, wann etwas wirtschaftskriminell ist, wann Grauzone. Für das Unternehmen ist es wesentlich, die Grauzone so weit wie möglich einzuengen, sodass für die Mitarbeiter klar ist, was im Unternehmen noch akzeptiert ist und was nicht. Das ist auch wichtig, wenn Sie einen Täter vor Gericht bringen. Wenn der behauptet, ihm habe nie jemand gesagt, dass es verboten sei, ein Packerl Papier mit nach Hause zu nehmen... Wenn Sie nicht das Gegenteil beweisen können, dann werden Sie verlieren.

Bewusstsein schaffen ist ein wichtiger Punkt für die Prävention. Dann ist ein Minimum an Überprüfungs- und Kontrollstrukturen notwendig. Bei den Fällen, die ich kenne, hätten einfachste Kontrollen ausgereicht. Das Problem ist meistens, dass bestehende Kontrollen sträflichst vernachlässigt oder überhaupt ignoriert werden.

Hat das neue Unternehmensstrafrecht in der Praxis etwas geändert?

Zum Unternehmensstrafrecht gibt es nach meinem Wissen noch kaum Erfahrungen. Ich denke, dass das Unternehmensstrafrecht schon eine Bedeutung gewinnen kann - vor allem im Finanzstrafrecht. Der Beitrag des Einzelnen ist bei großen Unternehmen ja oft kaum messbar. Dann konnte man früher teilweise den Vorstand eines Unternehmens nicht belangen, weil der von den Details keine Ahnung hatte. Da fehlt die subjektive Tatseite. Das versucht das Unternehmensstrafrecht anzugehen. Es wird wahrscheinlich überall dort relevant werden, wo der einzelne Tatbeitrag schwer feststellbar ist.

Sollte man generell an den Strafrechtsbestimmungen etwas ändern?

Man könnte das Strafausmaß hinaufsetzen. Bei uns beträgt die Höchststrafe für Wirtschaftsdelikte immer zehn Jahre. Zehn Jahre können - wenn die Summen groß genug sind - für einen Täter möglicherweise schon zu einer kalkulierbaren Größe werden. Ich kann mich an einen Täter erinnern, der uns brühwarm gesagt hat: "Ich sitze zwar in Untersuchungshaft, aber so einen Stundenlohn bekomme ich mein ganzes Leben nicht mehr." Ab einem gewissen Schadensvolumen wird es zu einem Rechenbeispiel, ob sich die paar Jahre Gefängnis auszahlen.

Klären Unternehmen die Fälle lieber intern, weil sie Angst vor einem Imageschaden haben?

Das kommt auf die Unternehmensphilosophie an. Es ist möglich, dass man die Fälle sowohl intern als auch extern löst. Wichtig ist, dass die Message zumindest unternehmensintern klar ist. Es sollte ganz klare Konsequenzen geben.

Grundsätzlich ist es leider so, dass das Aufkommen eines Wirtschaftskriminalitätsfalls von der Unternehmensleitung als Niederlage betrachtet wird. Ich finde das schade, weil eigentlich jeder aufgedeckte Fall ein Erfolg ist. Das zeigt, dass die Prüfroutinen gut waren. Ich muss immer über die Unternehmen schmunzeln, die meinen, dass es bei ihnen keine Wirtschaftskriminalität gibt. Die, die keine Fälle haben, haben diese mit Sicherheit nicht entdeckt.

Kann man sagen, wie hoch der durchschnittliche Schaden bei den Fällen ist, die angezeigt wurden?

Nein. Denn was definieren Sie konkret als Schaden? Bei den Unternehmen, die in Konkurs gehen, kann ich den Gläubigerschaden nehmen. Aber was ist zum Beispiel der Schaden aus einer Ausschreibung, die ich nicht gewonnen habe? Wie definieren Sie den Schaden bei Wirtschaftsspionage? Eine seriöse Aussage kann ich deshalb nicht treffen.

+++ Zur Person

Matthias Kopetzky berät als geschäftsführender Gesellschafter der Business Valuation GmbH Unternehmen bei der Aufklärung und der Prävention von Wirtschaftskriminalität. Im Rahmen seiner Tätigkeit als gerichtlich beeideter Sachverständiger hilft er dabei, Fälle von Wirtschaftskriminalität aufzudecken.

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http://www.wienerzeitung.at/bilder/artikel/170411wirtschaftsgauner.gif

Joseph Wells/Matthias Kopetzky: Handbuch Wirtschaftskriminalität im Unternehmen. Lexis Nexis Verlag. / Institut für Interne Revision Österreich (Hrsg.): Wirtschaftskriminalität und Korruption in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Linde Verlag.