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Vom Konsens zur Konkurrenz

Von Ina Weber und Katharina Schmidt

Politik

Rathkolb: Große Koalition nur in Krisenzeiten beliebt. | Konflikt "temporärer Theaterdonner". | Wien. Die Gräben zwischen den beiden großen Lagern SPÖ und ÖVP scheinen derzeit besonders tief. Doch von einem Bruch will Historiker Oliver Rathkolb nicht sprechen. Auch sein Kollege Stefan Karner beteuert: "Die Gräben zwischen dem katholisch-konservativen und dem linken Lager gehen weit in die 30er Jahre zurück. Sie werden zugedeckt, aber auch immer wieder aufgerissen."


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Für Karner ist die ÖVP sehr wohl in die Verhandlungen hineingegangen, mit der Überzeugung, diese gut zu Ende zu bringen. Aber: Die Forderungen der SPÖ, wie Grundsicherung oder Gesamtschule, führten jetzt - in der Phase der Regierungsbildung - zu einer "ideologischen Auseinandersetzung". Die SPÖ habe vielleicht nie geglaubt, dass sie in die Position des Ersten kommt. Ihre Forderungen seien nur umsetzbar, "wenn woanders Schnitte gemacht werden".

"Alte Gräben wurden wieder aufgerissen"

"Die ÖVP sagt, wir wollen eine Vielfalt von Schultypen, die SPÖ zementiert sich mit der Gesamtschule ein. Früher gab es bei Schulfragen eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Jetzt bricht das voll auf." Angesichts der umstrittenen U-Ausschüsse der SPÖ vermutet Karner: "Ich glaube, die SPÖ hat das Jahr 2000 noch nicht verkraftet, wo gegen ihren Willen eine Regierung mit der ÖVP und der FPÖ zustande gekommen ist. Und dieser Stachel sitzt noch sehr tief und hat alte Gräben aufgerissen."

Denn, so der Historiker, in der Zweiten Republik habe es nie die Situation gegeben, dass, wenn zwei Partner zusammengehen wollen, der eine Partner dem anderen mit dem schärfsten parlamentarischen Mittel, das man überhaupt habe, entgegenfährt. "Das entspricht meines Erachtens nicht der österreichischen parlamentarischen Kultur." Auch habe der Wahlkampf viel zur schlechten Stimmung beigetragen. "Dass der Bundeskanzler als Lügner bezeichnet wurde, das hat es noch nicht gegeben."

SPÖ und ÖVP in "Schock-Situation"

Für Rathkolb ist die Unterbrechung der Koalititionsverhandlungen eine "logische" Fortführung des Trends der vergangenen 20 Jahre. "Wir bewegen uns weg von der konsensualen Demokratie hin zu einer Konkurrenzdemokratie. Der Streit zwischen den Parteien wird immer heftiger, auch wegen der knappen Mehrheitsverhältnisse."

Laut Rathkolb gibt es keine neue Lagerbildung, vielmehr werde die Konkurrenz zwischen den Parteien einfach größer. "Das hat auch etwas mit der abnehmenden Bedeutung der Sozialpartner als vorgelagerte Verhandlungspartner zu tun." Ein Problem sei, "dass unser Verhältniswahlrecht keine klaren Mehrheiten begünstigt". "Die große Koalition ist offenbar eine Variante, welche die Politiker nur in Krisenzeiten gerne haben, auch wenn die Wähler selbst - wie das Ergebnis vom ersten Oktober eindeutig zeigt - die große Koalition auch in normalen Zeiten schätzen - trotz aller Probleme, die sich daraus ergeben könnten."

Generell ortet Rathkolb in der derzeitigen Situation der Verhandlungen einen temporären Theaterdonner. "Weder SPÖ noch ÖVP haben mit diesem Wahlergebnis gerechnet und befinden sich in einer Art Schock-Situation. Dazu kommt der Eurofighter-U-Ausschuss."

Trotz allem könne es noch eine große Koalition geben. "Die beiden Großparteien werden sich ein paar Wochen lang anschauen, wie die Idee von Neuwahlen bei der Bevölkerung ankommt - sind die Prognosen schlecht, dann wird man sehr rasch wieder an den Verhandlungstisch zurück finden."