Podiumsdiskussion in der WKO Wien. | Krebs-Patienten in Pension gezwungen? | Forderung nach Teilzeitkrankenstand. | Wien. "Gesundheitspolitik ist immer auch Teil der Sozialpolitik." Dieses Zitat des bekannten Wiener Arztes Julius Tandler hat auch heute - rund 75 Jahre nach seinem Tod - nichts an Aktualität eingebüßt. Wie eng medizinische Diagnosen mitunter mit sozialen Schicksalen verknüpft sind, hat die Selbsthilfegruppe "Darmkrebs" im Rahmen einer von ihr veranstalteten Podiumsdiskussion im Hauptgebäude der Wiener Wirtschaftskammer aufzuzeigen versucht. Titel: "Leben mit Krebs - ist unsere Gesellschaft auf chronisch Kranke vorbereitet?"
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Geht es nach den Initiatoren und anderen unterstützenden Selbsthilfegruppen, die seit Jahrzehnten gegen die tödliche Krankheit ankämpfen, besteht vor allem im Bereich der sozialen Absicherung für die Patienten dringend Handlungsbedarf. "Zahlreiche Menschen verlieren im Laufe der Krebserkrankung den Job und dürfen ihn nach der Behandlung nicht mehr ausüben", kritisierte Elfi Jirsa von der "Myelom- und Lymphomhilfe Österreich". Stattdessen würden die Betroffenen als "Behinderte abgestempelt" und in die Pension gezwungen, obwohl sie gerne beruflich tätig wären. "Warum lässt man sie nicht von zu Hause aus, über das Internet arbeiten?", fragte Jirsa und forderte Sozialminister Rudolf Hundstorfer auf, arbeitswilligen Patienten die gesetzliche Möglichkeit zu geben, in "Teilzeitkrankenstand" gehen zu dürfen.
"Ducken vor dem Arzt"
"Außerdem wäre es schön, wenn auch die Selbsthilfegruppen etwa mehr unterstützt würden", betonte sie. Jirsa regte an, dass Spenden an solche Vereine wie den ihren zukünftig steuerlich absetzbar sein sollten.
"Das nehme ich mit", versprach wiederum Minister Hundstorfer, stellte aber im gleichen Atemzug klar, dass es über die Frage des Teilzeitkrankenstandes keinen Konsens innerhalb der Sozialpartnerschaft gebe. Dafür sei es immerhin gelungen durchzusetzen, dass behinderte Arbeitnehmer in Zukunft ab vier Dienstjahren im Betrieb nicht mehr gekündigt werden dürfen, legte der Minister nach. Dass hingegen viele Kranke nur mit einer niedrigen Invaliditätspension in der Höhe von bis zu 744 Euro monatlich auskommen müssen, sei ihm aber bewusst. "Es gilt hier das Versicherungsprinzip und dafür wird das letzte Aktiveinkommen herangezogen", so Hundstorfer.
Darauf, dass Einkommen und Bildungsgrad entscheidende Faktoren im Behandlungsprozess bilden, wies wiederum Alexander Gaiger von der Abteilung für Hämatologie an der Uni-Klinik Wien in seinem Statement hin. Demnach seien laut einer aktuellen Studie sozial schwache und bildungsferne Krebspatienten eher von Depressivität betroffen als etwa Besserverdiener und Akademiker. "Personen mit niedrigem Einkommen und geringerer Bildung können sich nicht gut artikulieren und ducken sich vor dem Arzt, anstatt offen über ihre Krankheit zu reden", sagte der Oberarzt. "Es soll nicht so sein, dass jene, die lauter schreien, deshalb mehr bekommen."
Broschüren helfen nicht
Als Lösung schlug Gaiger vor, während der Behandlung mehr Zeit in die psycho-onkologische Beratung zu investieren und das direkte Gespräch mit den Betroffenen zu suchen. Anstatt in den Spitalsambulanzen Broschüren aufzulegen, sollten die Patienten direkt über die Angebote der Bundessozialämter oder Selbsthilfegruppen informiert werden. "Nutzen wir diese Leerzeit", meinte Gaiger.
In Österreich erkranken jährlich 5000 Menschen an Darmkrebs. Die Krankheit ist die am häufigsten auftretende Krebsart nach dem Prostata- und Brustkrebs.