)
1,2 Millionen Flüchtlinge suchen in Syrien Zuflucht. | Damaskus. Kurz nach Ostern musste Jussif Khoury wieder einmal ausreisen. Nicht in den Irak, denn da traut sich der 53-jährige seit seiner Flucht nach Syrien vor zwei Jahren nicht mehr hin. Der Libanon war das Ziel, schließlich musste Khoury sein Visum erneuern. Wie ihm geht es rund 1,2 Millionen Irakern, die das Zweistromland in den vergangenen Jahren Richtung Syrien verlassen haben: Alle drei Monate läuft ihre Aufenthaltserlaubnis aus.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Tausende stehen täglich Schlange am syrisch-irakischen Grenzübergang al-Tanf oder eben in Maasna, dem Übergang nach Libanon, um den heiß begehrten Stempel in den Pass gedrückt zu bekommen.
Khoury nimmt die bürokratische Schikane klaglos hin. "Syrien ist ein so gastfreundliches Land", sagt der Vater von sechs Kindern. "Es ist verständlich, dass sich die Behörden durch die Kontrollen vor Unruhestiftern unter den Flüchtlingen schützen wollen."
Zu den Unruhestiftern, islamistischen Terroristen also, zählt Khoury nicht. Im Gegenteil: Bis vor einem Jahr noch kehrte der chaldäische Christ so oft es ging nach Bagdad zurück, um sich um seinen kleinen Laden zu kümmern. Doch irgendwann ließ die Sicherheitslage das nicht mehr zu. "Jeder kann entführt werden, und die Bombenanschläge sind einfach unberechenbar", sagt Khoury in seinem syrischen Exil.
In den 1990er Jahren sicherte noch ein Lebensmittelladen in Bagdad der Familie auch während des UN-Embargos gegen den Irak eine bescheidene Existenz.
Inzwischen aber sind die Ersparnisse fast aufgebraucht. Kein Wunder, musste Khoury doch nicht nur die Miete für das enge Apartment im Damaszener Stadtteil al-Seida Zeinab aufbringen. Seine Frau und die Kinder konnten in Syrien nicht bleiben, weil es dort keine Arbeit gab. In Libanons Hauptstadt Beirut hingegen fanden die drei erwachsenen Töchter Jobs in einer Druckerei. Damit ist das Auskommen für die geteilte Familie bis auf Weiteres gesichert.
Sozialer Sprengstoff
Immer mehr Irak-Flüchtlingen aber ergeht es schlechter. "Anfangs kam noch die Mittelklasse, die ihr Erspartes mitbrachte", erzählt Laurens Jolles, Direktor des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) in Syrien. "Aber das ist langsam aufgebraucht." Auch wenn die Armut nicht ins Auge sticht, weil die Iraker in Damaskus in Vororten und nicht in Zelten untergekommen sind, birgt der anhaltende Flüchtlingsstrom ungeheueren sozialen Sprengstoff: Unter 1,2 Millionen neuen Bewohnern in weniger als drei Jahren würden auch größere und wirtschaftlich florierendere Staaten als das 19-Millionen-Einwohner-Land Syrien ächzen. Und Woche für Woche kommen Tausende neu hinzu.
Die Hoffnung, bald nach Bagdad zurückzukehren, hat Khoury längst begraben. Für ihn und seine Familie sind Damaskus und Beirut inzwischen nur noch Zwischenstationen vor dem Beginn einer neuen Existenz, die ganz weit weg sein soll.
"In den USA haben wir Verwandte, da können wir hin", glaubt Khoury. Die Besuche US-amerikanischer Diplomaten und Politiker in den vergangenen Monaten sind für ihn ein deutliches Zeichen, dass man in Washington mehr für die Flüchtlinge tun wolle. Zudem habe der neue UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon kurz vor Ostern ebenfalls mehr Engagement für die in Iraks Nachbarstaaten Geflohenen angekündigt. Ganz überzeugt klingt es nicht, eher wie ein Hoffnungsanker in diesen hoffnungslosen Tagen.