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Vom Lernen in der Werkstatt

Von Peter Slavin

Politik

Was tun mit Jugendlichen ohne Pflichtschulabschluss? Renate Belschan-Casagrande vom Pädagogischen Institut des Bundes in Wien weiß, dass "diese jungen Leute am schwierigsten in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind." Das dänische Modell der Produktionsschule könnte Abhilfe schaffen.


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In einer Produktionsschule steht, wie der Name schon andeutet, die Produktion von Waren und Dienstleistungen im Vordergrund. Hellhörig geworden vom Erfolg dieses Schultyps in Dänemark beauftragte der Wiener Stadtschulrat das Pädagogische Institut des Bundes, eine Machbarkeitsstudie für Wien durchzuführen. Projektleiterin Belschan-Casagrande berichtet im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" von den gewonnenen Erkenntnissen.

Lernen und arbeiten

Zielgruppe der Produktionsschule sind Jugendliche ohne Pflichtschulabschluss, die aufgrund von Schulmüdigkeit und vorangegangenen Frustrationserlebnissen vergeblich den Weg in die Berufswelt suchen. Hier setzt die Idee des einjährigen Schultyps ein. "In der Produktionsschule holen die Jugendlichen ihren Pflichtschulabschluss nach und werden gleichzeitig mit den Bedingungen des Arbeitsmarktes vertraut gemacht", erklärt Belschan-Casagrande.

Ein klassischer Produktionsbereich wäre etwa die Tischlerei, die in Dänemark sehr oft Aufträge von öffentlichen Einrichtungen und anderen Schulen erhält - aber nicht nur. "Genauso wichtig ist es, dass Produktionsschulen auch Aufträge aus der Privatwirtschaft annehmen dürfen und sich den Kriterien des freien Marktes unterwerfen." So dürften Produktionsschulen nicht wesentlich billiger anbieten als andere Betriebe.

Grob umrissen sieht der Tagesablauf so aus, dass einen halben Tag unterrichtet und einen halben Tag in der Werkstätte gearbeitet wird, wobei Belschan-Casagrande auf die Wichtigkeit der Gemeinsamkeit von Lernen und Arbeiten verweist. "Natürlich steht die Produktion im Zentrum, aber es ergeben sich zum Beispiel Rechenbeispiele aus der Werkstattarbeit - Synthese ist besser als Dualismus."

Da die Produktionsschule den Jugendlichen die reale Arbeitswelt näher bringen soll, ist sie auch betriebsähnlich aufgebaut. So schließen die Schülerinnen und Schüler einen Vertrag mit der Schule ab, in denen Rechte und Pflichten genau geregelt sind.

Eigentlich keine Schule

Weiters wird monatlich Schülergeld ausbezahlt, welches bei Fehltritten wie unentschuldigtem Fernbleiben eingezogen werden kann. Auch die Sommerferien sind analog zur Berufswelt kürzer, "auch weil einige Schülerinnen und Schüler bei einer zu langen Ferienspanne nicht mehr kommen würden. Regelmäßigkeit und Kontinuität sind aber äußerst wichtig", fügt Belschan-Casagrande hinzu.

An der Produktionsschule wird auch nicht in starren Schuljahren gedacht. Man steigt in den laufenden Betrieb ein, aber auch wieder aus. Wenn Jugendliche eine Lehrstelle angeboten bekommen, müssen sie nicht in der Produktionsschule bleiben. Eine Lehrstelle mit Hilfe der Produktionsschule zu ergattern, sei "überhaupt das Optimum".

Dass diese Rechnung nicht immer aufgehen kann, ist Belschan-Casagrande bewusst. Doch geht es ihr bei diesem Schultypus um mehr: "Die Jugendlichen müssen ja nicht alle Tischler werden. Von Bedeutung ist, dass sie auf den Arbeitsmarkt vorbereitet werden." Helfen sollen dabei auch Mentoren mit Kontakten zum Arbeitsmarkt, die den Jugendlichen die Scheu vor Ämtern oder Bewerbungen nehmen sollen. "Ich kenne viele engagierte, pensionierte Berufschullehrer, die ein bis zwei Schüler als Bezugspersonen unterstützen könnten", so Belschan-Casagrande.

Aber auch die seelische Befindlichkeit der Jugendlichen will die Projektleiterin nicht außer Acht lassen: "Vielen aus der Schule Ausgeschiedenen ist das Selbstvertrauen abhanden gekommen. In der Produktionsschule könnten sie es zurückgewinnen."

Ball beim Stadtschulrat

Nach Abschluss der Studie seitens des Pädagogischen Instituts des Bundes liegt der Ball nun wieder beim Stadtschulrat, wo sich Belschan-Casagrande auch auf Gegenargumente gefasst macht: "Eine Produktionsschule macht nur im kleineren Rahmen Sinn. Sie kann nicht 200 Jugendliche auf einmal aufnehmen." Die Projektleiterin am Pädagogischen Institut des Bundes in Wien würde sich aber zumindest über einen Probelauf des Projekts in Österreich freuen: "Die Produktionsschule würde unsere Schullandschaft sicher bereichern." n